Montagmorgen, 5 Uhr. Bundesweit stand ein großer Teil des Bahnverkehrs still. Der Fernverkehr wurde sogar komplett eingestellt. Für vier Stunden hatte die Bahngewerkschaft EVG zum Warnstreik aufgerufen. Zuvor waren Tarifverhandlungen am Wochenende vorerst gescheitert. Die Gewerkschaft sagt, die Bahn sei den Beschäftigten bei der Lohnerhöhung nicht weit genug entgegen gekommen. Der Bahnkonzern sieht das naturgemäß anders.
Diese beiden verhinderten Reisenden nehmen es gelassen.Bild: imago
Der Hass auf die Streikenden
Die Gewerkschaft griff deshalb zu einem Mittel, das ihr in einer solchen Situation zusteht: Sie rief ihre Mitglieder zu einem Warnstreik auf. In Pendler-Deutschland kam das gar nicht gut an. Auf der Facebookseite der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sammelten sich am Montagmorgen Unverständnis und Hass.
Andreas H. wünscht allen streikenden Bahn-Mitarbeitern, dass sie ihren Job verlieren.
Bild: screenshot: facebook
Lukas M. wünscht ihnen, krank zu sein und nicht behandelt zu werden.
Bild: screenshot: facebook
Und Stephan H. fordert die komplette Abschaffung der Gewerkschaften.
Freie Gewerkschaften abschaffen? Das hielten auch die Nationalsozialisten 1933 für eine gute Idee.Bild: screenshot: facebook
Ein Streik muss wehtun
Nicht alle wollen das Streiken gleich ganz verbieten. Viele stören sich vor allem daran, dass der Streik ihren Alltag durcheinander bringt. Die Arbeit niederlegen, meinetwegen. Aber bitte so, dass ich davon nichts merke!
Wie wäre es zum Beispiel mit mittags?
Bild: screenshot: facebook
Diese Mentalität hat der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam schon 1907 in seinem Chanson "Der Revoluzzer" beschrieben. Ein "Revoluzzer, im Zivilstand Lampenputzer" geht darin "im Revoluzzerschritt mit den Revoluzzern mit". Als die Revolutionäre dann aber anfangen, Gaslaternen auszureißen, um Barrikaden zu bauen, empört er sich:
"Ich bin der Lampenputzer dieses guten Leuchtelichts. Bitte, bitte, tut ihm nichts! Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen, kann kein Bürger nichts mehr sehen, lasst die Lampen stehn, ich bitt! Denn sonst spiel’ ich nicht mehr mit!"
Erich Mühsam
Heute geht es nicht mehr um ausgerissene Laternen für den Barrikadenbau. Es geht darum, ein paar Tage im Jahr zu spät zur Arbeit zu kommen, oder einen Termin zu verpassen. Das kann natürlich ärgerlich sein.
Was viele verärgerte Kommentatoren aber verkennen: Ein Streik muss wehtun. Ein Warnstreik soll dem Arbeitgeber zeigen, was ihm blüht, wenn in der nächsten Verhandlungsrunde keine Einigkeit erzielt wird. Würde die EVG außerhalb der Stoßzeiten streiken, oder nur auf wenig befahrenen Nebenstrecken – dann könnte sie es auch gleich bleiben lassen. Denn ein Streik bedeutet immer: Wir haben Macht. Gewerkschaften machen damit deutlich, dass sie ein Verhandlungspartner sind. Ohne das Streikrecht wären Arbeitnehmer lediglich Bittsteller – so wie in den Anfangstagen des Kapitalismus.
Für das Streikrecht hat die Arbeiterbewegung gekämpft. Und mit dem Streikrecht hat sie Errungenschaften erzwungen, die wir heute als selbstverständlich ansehen. Dieser Streit für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen ist keiner, den man einfach für beendet erklären und zu den Akten legen kann.
Es ist Zeit für Solidarität
Denn ohne Gewerkschaften und ohne Streiks würde es immer ungemütlicher für Arbeitnehmer. Gewinnen würden allein die Arbeitgeber.
Anstatt sich also aufzuregen, wenn die Bahn wegen eines Streiks nicht fährt, oder die Kita geschlossen bleibt, sollten die Beschäftigten sich deshalb in Solidarität üben – und diese auch einfordern, wenn in ihrer Branche das nächste Mal um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gestritten wird.
So sahen Streiks in der Vergangenheit aus:
1 / 10
Historische Fotos von Streiks
Minenarbeiter bei einem Streik in "Nine Mile Point" in Wales am 21. Oktober 1935.
quelle: hulton archive/getty images / evening standard