In Köthen ist am Wochenende ein 22-jähriger Mann ums Leben gekommen. Aber verglichen mit dem sächsischen Chemnitz reagierten sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Politik sehr viel schneller.
Was lief in Köthen anders? Oberbürgermeister Bernd Hauschild, SPD, hat es watson erklärt.
Prolog: Es gibt kein vorgefertigtes Skript
Bernd Hauschild ist seit drei Jahren Bürgermeister von Köthen. Aber seine wichtigste Lehre für die Politik hat Hauschild als Vorsitzender eines Angelvereins gemacht:
"Wenn du nicht selbst vorne weg gehst, passiert nichts."
Also trat der Verwaltungsmann Hauschild, Jahrgang 1960, vor drei Jahren in die SPD ein und kandierte für das Amt des Oberbürgermeisters von Köthen. Mit Erfolg.
Köthens OB Bernd Hauschild, (l.), mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Bild: X02197
Doch seit Sonntag ist nichts mehr, wie es war, in der Stadt in Sachsen-Anhalt. In der Nacht zu Sonntag kam in Köthen ein 22-jähriger Mann ums Leben. Seither versuchen Rechte, den Tod des jungen Mannes zu instrumentalisieren.
Noch ehe die Rechte am Sonntagabend aufmarschierte, versammelte sich die Zivilgesellschaft der Stadt: Dreihundert bis vierhundert Menschen hatten sich in der St. Jakobskirche zu einem Trauergottesdienst eingefunden. Was lässt sich nach den Fehlern aus Chemnitz von Köthen lernen. Hauschild sagt:
"Chemnitz ist Chemnitz. Und Köthen ist Köthen. Jeder Fall liegt anders. Wir sind nicht dazu da, Ratschläge zu erteilen."
Bernd Hauschild, OB von Köthen
Es gibt also kein Drehbuch für zivilgesellschaftliches Engagement, trotzdem dürfte das Vorgehen der Bevölkerung und der Verantwortlichen geholfen haben, um zu deeskalieren.
6 Schritte, wie Köthen reagierte:
Gegen Fake-News – alle eigenen Infos teilen
Um 10 Uhr am Sonntag hat Hauschild nach eigenen Angaben vom Todesfall erfahren. Ein Stadtrat habe ihn angerufen und auf entsprechende Gerüchte in den sozialen Medien hingewiesen. "Ich hab mich sofort aufs Rad geschwungen und bin zur Polizei gefahren, um zu erfahren, was los ist", sagt Hauschild.
Die Rechte machte rasch mobil
Hauschild reagierte sofort, um die wabernden Gerüchte und Verschwörungstheorien in der Stadt zu entkräften. Sein Fazit lautet:
"Alles transparent machen. Ich habe alle Informationen, die ich erhalten habe an einem Runden Tisch sofort geteilt, um gar keinen Raum für Missverständnisse entstehen zu lassen."
Bernd Hauschild, OB von Köthen
Gerüchte und Mutmaßungen lassen sich rasch entkräften – wenn alle gesicherten Informationen sofort geteilt werden.
Eigene Netzwerke bilden
Die Rechte verfügt über ein eingespieltes Netzwerk. Hauschild setzte dem sein eigenes lokales Netzwerk entgegen. Um 13 Uhr stand er mit Blumen "aus meinem Garten und dem meines Nachbarn" (Hauschild) auf dem Spielplatz, auf dem der tödliche Zwischenfall passierte. Er stellte sich den Fragen der Menschen. Und riet gleich danach zu einem runden Tisch im Rathaus. Offen für Politiker aller Parteien, Vertreter der Kirchen und der Vereine.
"Dort habe ich alles mitgeteilt, was ich wusste. Alle, die da waren, sollten die Informationen weitergeben. An ihre Freunde, Kirchenangehörige oder Vereinsmitglieder."
Bernd Hauschild, OB von Köthen
Der Trauer Raum geben, nicht dem Hass
Rechte riefen für Sonntag, 19 Uhr, in Köthen zum Aufmarsch auf. Stadt und Kirche wollten schneller sein. Und so entstand die Idee, schon für 16 Uhr zu einem Trauergottesdienstes in der St. Jakobskirche zusammenzufinden. Hauschild kam. Und rund 300 bis 400 weitere Menschen aus seiner Stadt. Pfarrer Martin Olejnicki erklärt im Radio: "Da ist ein junger Mensch ums Leben gekommen, wir wollten den Gefühlen und der Trauer einen Raum geben."
Bernd Hauschild sagt:
"Es gab einen Raum der Trauer. Aber auch eine Plattform, wo alle miteinander reden konnten."
Bernd Hauschild, OB von Köthen
Vor Hetzern warnen und die Zivilgesellschaft mobilisieren
Kaum kursierte der Aufruf der Rechten zur Demo im Netz, war auch schon Hauschild auf Facebook aktiv. Er mahnte zur Besonnenheit und riet davon ab, am rechten Aufmarsch teilzunehmen. 2.500 rechte Protestierer kamen, darunter rund 500 Zugereiste. Vor dem Bahnhof gab es eine Gegendemonstration linker Gruppen. Auch die Polizei war präsent. Im Gegensatz zum ersten Tag in Chemnitz wurde der öffentliche Raum nicht einfach den Rechten überlassen.
Der Facebook-Eintrag des Bürgermeisters
Entschlossen handeln und auf Kritik reagieren
In Chemnitz war vieles anders. Vor allem die Sprachlosigkeit und die Ohnmacht der Politik. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, CDU, lehnt es ab, von "Hetzjagd" zu sprechen, Sachsens Polizei griff in Chemnitz zu spät ein.
In Köthen war manches anders. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht, CDU, ist gewiss kein Weichspüler. Der Mann ist Reserveoffizier, er steht für Law and Order. Am Sonntag handelte er umgehend. Er war unmittelbar nach Köthen gereist, er forderte Polizei-Verstärkung aus anderen Bundesländern an, und als die Rechten am Abend aufmarschierten, saß Stahlknecht im Hubschrauber, der über den Demonstranten kreiste. Stahlknecht:
"Wir stellen uns so auf, dass der Staat reagieren und agieren kann. Und wir beobachten sehr genau, was in den sozialen Medien passiert.
Holger Stahlknecht, CDU, Innenminister von Sachsen-Anhalt
Stahlknecht äußerte sich aber auch zu Fragen. So war einer der beiden Festgenommen noch nicht abgeschoben worden, laut Behörden nicht wegen Versäumnissen der Behörden, sondern weil noch ein Verfahren wegen Körperverletzung anhängig war. Stahlknecht:
"Wir müssen Rechtsstaat wahren. Auch in schwierigen Situationen."
Holger Stahlknecht, CDU, Innenminister von Sachsen-Anhalt
Ein bemerkenswertes Statement. In der Debatte um die Abschiebung des mutmaßlichen Bin-Laden-Bodyguards Sami A. aus Nordrhein-Westfalen hatte sich mancher Landesminister dort anders zur Hinwegsetzung über richterliche Beschlüsse geäußert.
Besonnenheit zeigen
Am Montagabend zog in Köthen die AfD auf. Parallel lud die Kirche zu einem Friedensgebet. Sie will das auch weiterhin tun. "Wir wollen Besonnenheit zeigen, dass der Alltag in Köthen wieder zurückkehren kann", sagt Oberbürgermeister Bernd Hauschild. Und was ist das, Besonnenheit? Hauschild sagt:
"Wichtig ist, dass alle zusammen handeln. Von den Parteien im Rathaus bis zur Bürgerinitiative. Wichtig ist auch, dass alle Zugang zu den Informationen haben, was vorgefallen ist und wie es weitergeht. Und wichtig ist, dass wir alle gemeinsam handeln und uns nicht einschüchtern lassen."