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USA: Wie die Republikaner den Supreme Court instrumentalisieren

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Der Supreme Court der USA ist ein machtvolles Organ. Neun Richter:innen wachen über die US-Verfassung.Bild: AP / Jacquelyn Martin
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Sprungbrett zur Autokratie? Wie die Republikaner den Supreme Court instrumentalisieren

29.09.2023, 18:27
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Im Sommer 2022 kippte der Oberste Gerichtshof der USA das Abtreibungsrecht. Seither ist wohl auch den jungen US-Amerikaner:innen bewusst, wie machtvoll dieses oberste rechtsprechende Staatsorgan ist.

Ihm gehören neun Richter:innen an, die die Gesetze im Land prüfen und über die US-Verfassung wachen. Mit ihren Entscheidungen nehmen sie Einfluss auf das Leben von Millionen US-Bürger:innen. Ob Waffenrecht, Klimaschutz oder Abtreibungen – derzeit sorgt der Supreme Court, abgekürzt Scotus, mit umstrittenen Urteilen für Schlagzeilen.

Expertenstimmen warnen, der Supreme Court könnte die US-Demokratie weiter aushöhlen – sogar als Sprungbrett zur Autokratie dienen. Denn: Er sei längst Teil der aufgeheizten Debatte im Land, das innerlich zerrissen ist.

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Junge Menschen demonstrieren für das Recht auf Abtreibung. Bild: dpa / Jeenah Moon

Links oder rechts, rot oder blau, Republikaner oder Demokraten – dazwischen gibt es offenbar kaum noch etwas. Eine Kluft, die immer größer wird – und sich nun auch im Obersten Gerichtshof der USA widerspiegelt.

Denn: Die Richter:innen werden vom amtierenden US-Präsidenten nominiert und mit Zustimmung des Senats auf Lebenszeit ernannt.

Trump verschob den Supreme Court nach rechts

Ex-Präsident Donald Trump verstand es früh, den Supreme Court zu seinem Vorteil zu nutzen. Er versprach 2016, das höchste Gericht der Nation weiter nach rechts zu "verschieben" – was er auch einlöste. Während seiner Amtszeit durfte er gleich drei neue Richter:innen auf Lebenszeit ernennen.

Trumps Auserwählte waren Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett – sie alle sind konservativ und sprachen sich später für das Abtreibungsverbot aus. Zudem sind sie jünger als 60 Jahre und könnten im Durchschnitt zwei Jahrzehnte im Amt bleiben. Das zeigt eine Analyse des Pew Research Center.

Gemeinsam mit den extrem konservativen Richtern Clarence Thomas und Samuel Alito ist der Supreme Court weit nach rechts gerückt.

Das sind die Richter:innen des Supreme Courts und ihre Entscheidung zum Abtreibungsverbot 2022.
Das sind die Richter:innen des Supreme Courts und ihre Entscheidung zum Abtreibungsverbot 2022.Bild: images imago / Erin Schaff / mit Illustration von watson

Für Präsident Joe Biden sei es damit ein "extremistisches Gericht". Wenige Tage nach dem Urteil zum Abtreibungsrecht holte er Juristin Ketanji Brown Jackson an Bord für Richter Breyer, der in Rente ging. Mit Jackson zog die erste schwarze Frau am Obersten Gerichtshofs der USA ein.

Währenddessen verfolgen die republikanischen Hardliner und Trumps republikanische Herausforderer Ron DeSantis und Vivek Ramaswamy offenbar andere Pläne für den Supreme Court.

February 25, 2022 - Washington, D.C., USA - President Joe Biden walks with Judge Ketanji Brown Jackson along the West Colonnade of the , Friday, February 25, 2022, prior to announcing her nomination t ...
Biden durfte Ende Juni 2022 Ketanji Brown Jackson zur Richterin des Supreme Courts ernennen.Bild: imago images / White House

DeSantis und Ramaswamy wollen Supreme Court weiter radikaliseren

Sie versprechen ihren Wähler:innen, den Obersten Gerichtshof noch weiter nach rechts zu verschieben, in den Bereich "hardcore-konservativ". Damit könnte etwa ein landesweites Abtreibungsverbot real werden, auch wären weitere LGBTQIA+-Rechte in Gefahr. Was wohl die christliche Rechte im Land freut, wäre ein Graus für die progressiven Liberalen.

"Schon bei den Zwischenwahlen 2022 konnten die Demokraten die Sorge der Bürger:innen über einen ultrakonservativen Supreme Court zu ihren Gunsten ausnutzen", sagt USA-Experte Thomas Greven auf watson-Anfrage. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Nordamerikastudienprogramm der Universität Bonn.

Nachdem Abtreibung für Jahrzehnte ein Mobilisierungsthema für die Republikaner war, insbesondere für die christliche Rechte, sei sie nun umgekehrt ein Mobilisierungsthema für die Demokraten, führt er aus.

DeSantis' Ansage, den Supreme Court noch konservativer besetzen zu wollen, ist Greven zufolge Teil seiner Strategie, Trump im Vorwahlkampf rechts zu überholen. Doch offenbar erfolglos – denn Trump ist und bleibt aktuell Spitzenreiter bei den Republikanern.

Doch auch er scheut sich wohl nicht davor, den Supreme Court gegen die angeblich woke, linke Bedrohung im Land weiter zu radikalisieren.

Bei möglichem Wahlsieg 2024: Diese Möglichkeiten stünden Trump offen

Zu den ältesten Mitgliedern des Supreme Courts zählen derzeit Thomas und Alito – sie könnten demnach als nächstes in Rente gehen und damit "ausgetauscht werden". Laut Greven gehören sie aber zu den konservativsten Richter:innen, die jemals dem Obersten Gericht angehört haben. "Es wird daher kaum möglich sein, sie mit noch konservativeren zu ersetzen – "dann wäre man fast bei offen Rechtsextremen", sagt er.

Alito und Thomas gelten derzeit als die ältesten, aber auch konservativsten Richter des US-Supreme-Courts.
Alito und Thomas gelten derzeit als die ältesten, aber auch konservativsten Richter des US-Supreme-Courts.bild: images imago / erin schaff / mit illustration von watson

Aber sicherlich würde ein republikanischer Präsident versuchen, "gleichwertigen" Ersatz zu finden. Die dazu nötige Senatsmehrheit hätte er wohl, denn Greven zufolge müssen die Demokraten bei der US-Wahl 2024 viele umkämpfte Sitze verteidigen.

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Doch könnte Trump den Supreme Court so sehr beeinflussen, dass es ihm ein Sprungbrett zur Autokratie bietet?

Am Ende ist die Frage, wie neutral die Richter:innen handeln. Die Enthüllungen der Rechercheplattform "ProPublica" geben diesbezüglich Grund zur Sorge. Die konservativen Richter Thomas und Alito haben offenbar kein moralisches Problem damit, sündhafte Geschenke von republikanischen Milliardären oder rechtsgerichteten Organisationen anzunehmen.

Auch nicht dann, wenn vor dem Gerichtshof Verfahren verhandelt werden, die ihre Gönner direkt betreffen. Ob die Geschenke am Ende ihre Entscheidungen am Obersten Gericht beeinflussten, ist allerdings ungewiss.

Laut US-Experte Andrew Denison will der Supreme Court nicht der Schoßhund des Präsidenten sein. "Er hat auch immer ein Auge auf die öffentliche Meinung, das zeigt etwa der Fall Obergefell vs. Hodges", meint der Direktor des Transatlantic Networks auf watson-Anfrage. In dieser Rechtssache ernannte der Supreme Court 2015 gleichgeschlechtliche Ehen in allen US-Staaten für legal.

Syndication: USA TODAY Anthony Thomas, and his partner Nicolas Anderson share a moment together while getting married by Judge Nicholas Chu on Monday afternoon. At least twenty-four couples or more ma ...
2015 entschied der Oberste Gerichtshof, gleichgeschlechtliche Ehen seien legal.Bild: imago images / Ricardo B. Brazziell

Zudem habe der Supreme Court als Gegenspieler sowohl den Kongress als auch den Präsidenten – die letztlich die "Decisions" bezahlen und durchsetzen. "Begrenzte Staatsmacht ist gute Staatsmacht – das gilt nach wie vor in den USA", führt Denison aus.

Auch USA-Experte Greven gibt zunächst Entwarnung: "Der aktuelle ultrakonservative Supreme Court hat in Fällen, wo es um den Kern der demokratischen Institutionen geht, im Sinne ihrer Aufrechterhaltung geurteilt." Und das nicht immer zum Vorteil von Trump und seiner erzkonservativen, rechten Maga-Bewegung. Maga steht für Trumps Wahlspruch "Make America Great Again".

Als Beispiel nennt Greven die Ablehnung der "Independentstate Legislature Theory", also, dass die Einzelstaatsparlamente allein über die Durchführung der Bundeswahlen bestimmen und etwa am Wählervotum vorbei die Wahlpersonen für das Electoral College bestimmen können. Das sei Kern der trumpschen Strategie gewesen, nach seiner Niederlage 2020 im Amt zu bleiben, meint Greven.

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Trump erkennt bis heute seine Wahlniederlage gegen Biden 2020 nicht an.Bild: The Orange County Register / Sarah Reingewirtz

Solange juristische Mindeststandards bei der Auswahl der Richter:innen beachtet werden, bleibe der Supreme Court Teil der Verteidigung der Demokratie. Allerdings zeigen sich durchaus Schwachstellen in der US-Verfassung.

Die nicht allzu perfekte US-Verfassung – oder doch?

Laut Greven ist die US-Verfassung unzulänglich und öffnet in der Tat autokratischen Tendenzen einige Möglichkeiten. "Sie erlaubt insbesondere einer strukturellen Minderheit, zu regieren beziehungsweise in erheblichem Maße zu blockieren. Dies spielt derzeit den Republikanern in die Hände, die von der strukturellen Überrepräsentation ländlicher Wähler profitieren", führt er aus.

Es sei nicht zu erwarten, dass sich daran etwas ändert. Denn in den USA ist die Hürde für Verfassungsänderungen sehr hoch. Aber würde sie einem "mad king" wie Trump standhalten? Diese Frage stellte US-Experte Denison einmal seinem ehemaligen Professor und stellvertretenden Direktor der CIA, John McLaughlin.

"Er sagte, ja, die Verfassung erlaubt es, Machtmonopole zu verhindern, Abwehrkräfte zu mobilisieren. Trump, oder jeder andere Möchtegern-Autokrat, wird es nie leicht haben, die ganze amerikanische Vielfalt gleichzuschalten", zitiert Denison McLaughlin.

In den USA gebe es für jede Aktion in der Politik eine Gegenreaktion, aber auch eine tiefe Überzeugung, dass die amerikanische Vielfalt und Streitlust das Land anpassungsfähig macht.

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