Donald Trump schreibt Geschichte – in vielerlei Hinsicht. Der 77-Jährige ist der erste angeklagte Ex-Präsident in der US-Geschichte. Ende März kassierte er eine Anklage wegen mutmaßlicher Schweigegeldzahlung an die Pornodarstellerin Stormy Daniels. Dann brach regelrecht eine Anklage-Welle über ihn ein – und Trump? Der surft sie anscheinend problemlos.
Trotz seiner massiven Justizprobleme könnte es für ihn auf politischer Ebene nicht besser laufen. Derzeit führt er die Vorwahl-Umfragen der Republikaner mit großem Vorsprung an. Seine Hardcore-Anhängerschaft versammelt sich gestärkt hinter ihm und er erhält weiterhin Rückenwind aus der eigenen Partei.
Selbst der historische Mugshot, also das Polizeifoto, das im Zusammenhang mit seinem Strafverfahren in Georgia veröffentlicht wurde, ändert offenbar nichts daran. "Trump ist ein Genie im Ausnutzen seiner Chancen", sagt Politikwissenschaftler Heinz Gärtner im Gespräch mit watson.
Gärtner ist Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) und am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien tätig. Laut ihm nutzt Trump die Anklage-Welle geschickt aus.
Gärtner zufolge versteht es Trump, mit den zahlreichen Anklagen seine Basis zu mobilisieren. Sprich, seine Maga-Bewegung, die laut Expert:innen bereits Züge einer Sekte annimmt. Maga steht für "Make America Great Again", den Wahlspruch Trumps. Nach der Devise "jetzt erst recht" versammeln sie sich hinter ihren "Kultführer".
Aber auch innerhalb der Partei reißt Gärtner zufolge der Zuspruch zu Trump nicht ab. Die Hälfte der Republikaner vertreten ihm zufolge die Meinung: "Gerade wegen der Anklagen, unterstützen wir ihn". "20 Prozent gehen so weit und sagen, sie stehen jetzt erst recht hinter Trump", führt Gärtner aus. Fakten spielen hier wohl kaum noch eine Rolle.
"Es ist eine Ideologie", betont der Politikwissenschaftler. Weiter sagt er: "Wer nicht für Trump ist, ist automatisch für Joe Biden." Bei den Republikanern traue sich keiner so richtig, Kritik an Trump zu äußern. Laut Gärtner sind allerdings einige von der "Unschuld" Trumps überzeugt und glauben seiner haltlosen Theorie der "Hexenjagd" gegen ihn.
Andere wiederum sehen dies als Teil eines politischen Prozesses und unterstützen ihn trotzdem. Am Ende helfen die Anklagen Trump mehr als dass sie ihm schaden, meint Gärtner. Etwa das Verfahren wegen der möglichen Entwendung geheimer Dokumente könne Trump gut für sich ausspielen, da man auch geheime Regierungsunterlagen in Bidens privater Garage gefunden hatte.
Dass die Justiz auf einmal so viele Fälle anpackt, könnte dem Ex-Präsidenten in die Hände spielen. "Vielleicht hätte es Trump mehr geschadet, wenn man sich auf seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol konzentriert hätte", sagt Gärtner. Schließlich habe das viele US-Amerikaner:innen verschreckt, sie sahen es als Angriff auf die Demokratie. Dieser Fall habe demnach Potenzial, Wechselwähler:innen für die Demokraten zu gewinnen.
Aber laut USA-Experte Thomas Greven schafft es Trump weiterhin, seine Unterstützer:innen davon zu überzeugen, dass die diversen Gerichtsverfahren Teil einer gezielten Hexenjagd gegen ihn als aussichtsreichsten politischen Gegner sind.
"Diese Verfolgung richte sich nicht nur gegen ihn, sondern gegen die gesamte Maga-Bewegung, so sein erfolgreiches Narrativ", sagt Greven auf watson-Anfrage. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Nordamerikastudienprogramm der Universität Bonn und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Insofern sei es nicht erstaunlich, dass sein Rückhalt in den Umfragen stabil bleibt oder gar steigt. Dies hat Greven zufolge aber auch damit zu tun, dass keiner von Trumps aussichtsreichen Konkurrent:innen um die Republikanische Nominierung ihn entschlossen angreift. "Sie wollen die Trump ergebene Basis nicht verprellen", meint der Experte.
Allerdings könne Trump die angebliche Hexenjagd nicht zur Verbesserung seiner nationalen Beliebtheitswerte nutzen. Auf der anderen Seite nützen sie aber auch Biden nichts, meint Greven. Er führt aus:
Für Trump seien das sehr gute Nachrichten, denn bekanntlich kommt es bei der US-Präsidentschaftswahl nicht auf nationale Mehrheiten an, sondern auf die Mehrheit im Electoral College. Diese habe Trump 2020 nur knapp verpasst – trotz sieben Millionen Stimmen Mehrheit für Biden bundesweit.
"Trump kann sich angesichts der erheblichen Überrepräsentation republikanischer Wähler berechtigte Hoffnungen machen, 2024 zu gewinnen", prognostiziert Greven. Daran ändert wohl auch ein Polizeifoto von ihm nichts mehr. Im Gegenteil, es füllt sogar seine Wahlkampfkasse.
Nach Angaben Trumps Wahlkampfsprechers Steven Cheung flossen nach der Veröffentlichung des Polizeifotos am Donnerstag 7,1 Millionen Dollar (6,5 Millionen Euro) an Spendengeldern in Trumps Tasche. Dies gab er auf X, vormals Twitter, am Samstag (Ortszeit) bekannt.
Laut US-Medien begann die Kampagne direkt mit dem Verkauf von T-Shirts, Tassen und zahlreichen weiteren Artikeln, die mit dem grimmigen Mugshot bedruckt waren. Zusätzlich tragen sie die Aufschrift: "Never Surrender" (Deutsch: Ergib dich niemals). Der Kaufpreis liegt zwischen 12 und 34 Dollar.
"Wahlkampf-Fundraiser haben schnell erkannt, dass sich das meiste Geld mit negativen Emotionen, vor allem Angst, machen lässt", sagt Politikwissenschaftler Georg Wolff auf watson-Anfrage.
Wolff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Curt-Engelhorn-Lehrstuhl für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg. Aus seiner Sicht lassen sich die Trump-Prozesse erfolgreich vermarkten.
Trump versuche auf der politischen Bühne das durchaus legitime Vorgehen gegen ihn als "Hexenjagd" zu brandmarken. Entsprechend eilen die Trump-Anhänger:innen hier einem unschuldig Verfolgten zur Hilfe, meint Wolff.
Dadurch lasse sich ein sehr plausibles Bedrohungsszenario konstruieren: "Spendet jetzt, sonst bringen die Demokraten Trump in den Knast." Zusätzlich fühle sich die Trump-Unterstützer:innen mit Mugshot-Merchandise vermutlich besonders aufsässig. "Da sich die Zielgruppe als Widerstand gegen einen autoritären Staat versteht, kommt das gut an", sagt Wolff.