Seit Jahrzehnten kämpfen Menschen im Iran gegen Unterdrückung. 2009 gingen Millionen für faire Wahlen auf die Straße. 2019 erschütterte ein Aufstand, der in einem Massaker endete, das ganze Land. Doch noch nie war das Aufbegehren so sichtbar und so weiblich wie im Herbst 2022, als Frauen ihre Kopftücher abnahmen und mit dem Slogan "Jin, Jiyan, Azadî" – Frau, Leben, Freiheit – weltweit Hoffnung weckten. Doch das Interesse schwand schnell. Die Repression blieb.
Heute, fast drei Jahre später, fallen Bomben auf Teheran. Israel greift an, das Regime reagiert mit Gegenangriffen – und nutzt den Krieg, um die eigene Bevölkerung noch stärker zu kontrollieren.
Die deutsch-iranische Menschenrechtsaktivistin Daniela Sepehri spricht im Interview über eine Freiheitsbewegung, die im Schatten des Krieges nicht aufgibt, über das Schweigen Europas, das sie "jahrzehntelangen Verrat" nennt – und darüber, warum sie sich nicht auf die Seite von Autokraten stellen wird. Egal ob in Teheran oder Tel Aviv.
Watson: Vor drei Jahren riefen Frauen im Iran eine Revolution aus. Unbewaffnet, aber furchtlos, standen sie dem Regime gegenüber. Jetzt kommt zur Unterdrückung der Krieg. Was bleibt vom Mut der Frauen, wenn die Bomben fallen?
Daniela Sepehri: Was bleibt, ist die Angst ums Leben. Die Angst, Teheran verlassen zu müssen, obwohl es kaum Benzin gibt, obwohl die Autobahnen überfüllt sind. Viele wissen nicht, wohin. Das alles ist ein harter Schlag für eine Bewegung, die 46 Jahre lang für eine friedliche Revolution von innen gekämpft hat. Ich möchte an dieser Stelle Narges Mohammadi zitieren, Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin. Sie sagte der BBC: "Ich bin der festen Überzeugung, dass Demokratie, Menschenrechte und Freiheit nicht durch Gewalt und Krieg erreicht werden können."
Du befürchtest also, dass der Freiheitskampf durch den Krieg zurückgedrängt wird?
Nicht zurückgedrängt, aber wie sollen die Menschen protestieren, wenn Bomben fallen? Netanjahu und andere rufen aus ihren Studios in Sicherheit dazu auf, sich gegen das Regime zu erheben. Als hätten sie das nicht schon seit Jahrzehnten getan.
Der Krieg wirkt sich auch auf den Umgang des Regimes mit den Menschen aus. Befürchtest du verstärkte Repression?
Das sehen wir ja jetzt schon. Das Regime nutzt diesen Krieg, um die Repression gegen die eigene Bevölkerung weiter zu verschärfen. Menschen werden verhaftet, weil sie sich kritisch äußern. Es gab schon die erste Hinrichtung wegen angeblicher Spionage für Israel. Auch europäische Staatsbürger wie Ahmadreza Djalali (politischer Gefangener in Iran, d. Red.) sind in Gefahr. Besonders bedrückend ist die Situation in den Gefängnissen.
Warum?
Aus dem Qezel-Hesar-Gefängnis hören wir, dass nachts die Zellen und Gefängnistore abgeschlossen werden, auch für das Personal. Niemand kann raus, wenn etwas passiert. Der Schatten des Krieges lässt niemanden mehr in die Gefängnisse blicken – und das nutzt das Regime aus.
Was berichten dir deine Kontakte im Iran? Wie geht es ihnen mit der Eskalation?
Die Menschen haben Angst. Sie schicken sich gegenseitig Testamente. Sie sind wütend, vor allem auf das eigene Regime, das nichts unternimmt, um sie zu schützen. Es gibt keine Warnsignale, keine Schutzbunker. Stattdessen heißt es: Bleibt in Teheran. Es wird eine Schein-Normalität inszeniert.
Fühlen sich die Menschen im Stich gelassen?
Ja. Sie wurden es immer schon. Weder die israelische Regierung noch das iranische Regime interessieren sich für sie. Ihre Geschichten spielen keine Rolle, auch nicht in den Medien.
Es gibt Stimmen, die behaupten, ein Krieg könne das Regime schwächen und sei daher im Sinne der Opposition.
Das ist heuchlerisch und arrogant. Jetzt auf einmal spricht die Welt vom Regimesturz. Wo wart ihr 2022 bei den "Frau, Leben, Freiheit"-Protesten? 2019? 2017? Wo wart ihr, als LKW-Fahrer in 160 Städten gestreikt haben, als Gefangene seit anderthalb Jahren jeden Dienstag hungern, als Frauen ausgepeitscht wurden, weil sie ihr Kopftuch abnahmen? Da habt ihr das Regime legitimiert. Europa hat die Menschen im Iran jahrzehntelang im Stich gelassen.
Was hätte Europa konkret tun müssen?
Die Revolutionsgarde auf die Terrorliste setzen. Sanktionen, die die Eliten treffen, nicht die Bevölkerung. Internationale Gerichtsbarkeit. Bruch mit dem Regime, keine Gespräche mehr, die es stabilisieren. Sich bedingungslos auf die Seite der Freiheitsbewegung stellen. All das wurde versäumt.
Und jetzt, angesichts der aktuellen Eskalation?
Europa muss sich für ein Ende der Bombardierungen einsetzen, für Frieden. Es muss den Menschen im Iran helfen, Zugang zum Internet zu bekommen, damit Übergriffe nicht im Dunkeln geschehen. Europa muss mit der Zivilgesellschaft im Iran und der Diaspora zusammenarbeiten – und endlich die Menschenrechte ernst nehmen.
Siehst du aktuell eine generelle Erosion von Menschenrechten und Völkerrecht?
Absolut. Rechte und Konservative kümmert das nicht, aber auch Progressive haben versagt. Selbst die grüne Außenministerin hat dem Völkerrecht in Gaza die Gültigkeit abgesprochen. Israel bekommt Waffen, obwohl dort ein Genozid passiert. Und wir finanzieren die libysche Küstenwache mit, die Geflüchtete misshandelt. Die Bundesregierung ignoriert Gerichtsurteile, will Pushbacks weiterführen. Rechtsstaatlichkeit ist längst zur Fassade geworden.
Diese Entwicklung scheint kaum aufhaltbar. Wie kann sich das wieder ändern?
Dafür braucht es uns alle. Wenn Minister geltendes Recht ignorieren, müssen wir zivilgesellschaftlich dagegenhalten. Wir müssen laut sein, klagen, unterstützen. Denn es fängt bei der Entrechtung einer Gruppe an – und weitet sich aus.
Welche Rolle kommt Deutschland in dieser Zeit zu?
Deutschland gibt in Europa die Richtung vor. Wenn Deutschland sich von Menschenrechten verabschiedet, tut es Europa auch. Gerade wegen seiner Geschichte hat Deutschland eine besondere Verantwortung.
Und wie bewertest du das Verhalten der USA in diesem Konflikt – speziell von Donald Trump?
Er kommuniziert wie ein 12-Jähriger im Call-of-Duty-Chat. Droht mit Angriffen, spricht wie in einem Spiel: Ich mach' dich fertig, nein ich dich. Das ist brandgefährlich. Und es ist erschreckend, dass Politiker wie Friedrich Merz in der Vergangenheit gesagt haben, sie kämen gut mit ihm klar.
Sollte Deutschland sich klarer von dieser US-Politik distanzieren?
Ja, auch hier: Wenn Menschenrechte an oberster Stelle stünden, dann wäre das ganz eindeutig, was Deutschland jetzt tun müsste, beispielsweise die Protestierenden in LA zu unterstützen. Oder ins Gespräch gehen mit der Zivilgesellschaft, mit den marginalisierten Gruppen, mit der Protestbewegung statt mit einem Mann, der größenwahnsinnig ist und sich an keine Rechtsentscheidung hält. Stattdessen nähern sich deutsche Politiker Trumpscher Rhetorik an. Das ist fatal.
Was macht dir derzeit am meisten Sorgen?
Ganz akut: die Zivilist:innen im Iran. Ich habe Verwandte in Teheran, manche konnten fliehen, andere nicht. Und ich finde es unerträglich, wenn Leute mir sagen, ich soll mich über Bombardierungen freuen. Das sind Menschen. Meine Menschen.
Aktuell stehst du sehr in der Öffentlichkeit. Welche Formen der Einschüchterungen erlebst du?
Ich werde von allen Seiten angegriffen, beleidigt, bedroht. Ich bin gleichzeitig Mullah-Propagandistin und Zionistin. Die Menschen wollen, dass ich mich radikal positioniere. Aber ich stelle mich weder auf die Seite eines islamistischen Regimes, das die eigene Bevölkerung täglich massakriert, noch auf die einer rechtsextremen Regierung, die in Gaza Völkerrecht bricht. Ich stehe an der Seite der Zivilgesellschaft – egal wo.