
Jakob Blasel und Jette Nietzard übernahmen die GJ mitten in der Krise. Bild: imago images / Chris Emil Janßen
Analyse
08.03.2025, 14:0710.03.2025, 12:10
Die Grünen haben ein Problem – und das kommt von links. Genauer gesagt: Sie haben selbst dazu beigetragen, ihre Wähler:innen in diese Richtung zu treiben.
Die Partei hat bei der Bundestagswahl allein 700.000 von ihnen und damit den größten Anteil an die Linke verloren. Insgesamt verloren die Grünen die Zustimmung von etwa 1,4 Millionen Deutschen im Vergleich zu 2021.
Vor allem bei jungen Menschen kommt die wieder auferstandene Linkspartei deutlich besser weg als die Grünen. Ein Phänomen, das zu der Entwicklung passt, das schon seit dem vergangenen Jahr bei der Grünen Jugend erkennbar ist.
Grüne Jugend kehrte Grünen den Rücken
Immer wieder kritisierte man hier die defensive Haltung der Mutterpartei bei entscheidenden Themen, warf ihr bei der Migration ein Getriebensein von rechts vor. Die ehemaligen Bundesvorsitzenden der GJ traten deshalb im Herbst 2024 aus der Partei aus und positionierten sich öffentlich ebenfalls weiter links.
"Was immer wieder zu heftigen Enttäuschungen führt, ist, dass die Partei das, was sie eigentlich verspricht, überhaupt nicht einhalten kann", kritisiert etwa die ehemalige GJ-Vorsitzende Svenja Appuhn im Gespräch mit watson.
Appuhn trat im September 2024 gemeinsam mit Katharina Stolla und Sara-Lee Heinrich bei den Grünen aus und gründete "Zeit für was Neues" – eine neue, alternative Jugendorganisation links der Grünen. "Die Grünen werden immer mehr zu einer Partei wie alle anderen", lautet die Catchphrase auf der Website der neuen Jugendorganisation.

Svenja Appuhn (l.) und Katharina Stolla (r.) kehrten den Grünen den Rücken. Bild: dpa / Sebastian Willnow
Zu den Linken gibt es auf der Website bislang keine Analyse. Im Gespräch mit watson betont Svenja Appuhn aber, dass es vor allem von deren Seite Stärke braucht, um gemeinsam voranzukommen. "Ich glaube, dass die Grünen am ehesten dann nach links rücken werden, wenn es Druck von links auf sie gibt", unterstreicht die 27-Jährige.
Die aktuelle Vorsitzende der Grünen-Jugendorganisation Jette Nietzard sagte kürzlich der "Süddeutschen Zeitung", dass die Linke für Dinge gewählt wurde, die auch bei den Grünen im Wahlprogramm stehen. Die GJ will nun eine Rückbesinnung auf den sozialen Kurs und gleichzeitig die öffentliche Wahrnehmung als grüne Partei stärken.
"Elitenprojekt": Das große Problem der Grünen
Bisher werden die Grünen von vielen Seiten laut Appuhn als "Elitenprojekt" wahrgenommen. Eine Nachwahlbefragung von Infratest dimap bestätigt, dass 91 Prozent der Grünen-Wählenden ihre persönliche wirtschaftliche Situation als gut bezeichnen.
Am geringsten ist die Zustimmung zu diesem Satz unter Wähler:innen der in weiten Teilen rechtsextremen AfD. Bei derAfD finden auch viele junge Menschen Halt und Zugehörigkeitsgefühl, das ihnen in der Mitte und links de facto nicht geboten wird.
"Ich glaube, dass man von links eine Antwort darauf finden muss. Und die Antwort lautet nicht, dass man diese Leute einfach in eine Ecke stellt und sie als unumkehrbarer rechts labelt", sagt Svenja Appuhn. Bei "Zeit für was Neues" will man das durch konkrete praktische Angebote wie kostenlose Nachhilfe in prekären Stadtteilen und Jugendcafés umsetzen.
Aus Kreisen der Grünen Jugend ist das gleiche Argument zu hören. Für zu kurz gedacht hält man hier das Argument der Tiktok-Radikalisierung. Den Grund sieht man vielmehr in der eigenen Umsetzung von sozialen und Klimathemen in der Ampel-Regierung. Vor allem Kanzlerkandidat Robert Habeck wurde schon im Wahlkampf mehrfach angekreidet, dass er den eigenen Regierungsanspruch vor die Kernthemen der Partei gestellt hatte.
Wo die Grünen Nachholbedarf haben
Mit diesem Kurs hat man sich gewissermaßen in der Mitte verzahnt. Der härtere Ton beim Thema Migration dürfte auch die Wählerwanderung nach links erklären. Bei einer Rückbesinnung auf die eigenen linken Ansichten fürchtet man hingegen eine Abwanderung von Wähler:innen an die Union.
"Die sozialen Probleme sind groß genug, dass mehr als nur eine Partei darüber reden kann. Da geht es ja nicht um ein abstraktes politisches Problem, sondern um unser aller Alltag", betont allerdings Svenja Appuhn. Gerade aus der Opposition heraus könnte man bei den Grünen also nochmal neu anfangen – aber mit wem an der Spitze?
In den Kreisen der Grünen Jugend ist man mit der aktuellen Führung aus Franziska Brantner und Felix Banaszak wenig zufrieden. Sie gehören zum Realo-Flügel der Partei und der ist in den Augen vieler bei der Wahl mit Robert Habeck kläglich gescheitert.
Auch an der Spitze der Bundestagsfraktion stehen mit Katharina Dröge und Britta Haßelmann keine Personen, die von dem bisherigen Kurs der Grünen abrücken werden. Im Streit um die Schuldenbremse setzt man sich nun aber zumindest wieder für Klimathemen ein.
Wie kompromisslos dieser Weg beschritten wird, dürfte auch das Verhalten der Grünen Jugend – und der grünen Jugend insgesamt – in den kommenden Monaten und Jahren prägen.
"Dieser Clash zwischen Jugendorganisation und Grünen ist, glaube ich, ein Stück weit in der Partei selbst angelegt. Sie steht so sehr wie keine andere Partei sie für so ein Weltverbesserertum", meint Svenja Appuhn. Auch gegenüber den Bürger:innen sei man oft zu belehrend und zeige nicht genügend Verständnis für die sozialen Probleme in der Gesellschaft.
"Weil die Partei aber weder in breiten Gesellschaftsschichten verankert ist, noch wirklich dazu bereit wäre, sich auch mit den ganz Reichen und Mächtigen anzulegen, scheitert sie immer wieder an den eigenen Ansprüchen", sagt sie.
Für die Grünen stellt sich nun also eine doppelte Herausforderung: Einerseits muss man den eigenen Themen wieder gerecht werden und auch langfristig nicht zu sehr auf das bloße Regieren aus sein. Andererseits sollte man sich davor hüten, stumpf gegen die Linke zu schießen und lieber gemeinsame Sachen in puncto sozialer Gerechtigkeit machen.
Ein "Weiter so" jedenfalls könnte nicht nur einen neuen Bruch mit der Grünen Jugend bedeuten, sondern auch jungen Menschen das Gefühl geben, dass ihnen links der Mitte kaum echte Alternativen geboten werden.
Gregor Gysi ist einer der bekanntesten Politiker des Landes. Seit 1989 ist er im politischen Geschehen aktiv, seit 2005 ist er direkt in den Bundestag gewählt worden. Auch bei der Bundestagswahl 2025 holte er für Die Linke verlässlich das Direktmandat in Berlin Treptow-Köpenick. In der kommenden Legislatur darf er als Alterspräsident die erste Rede im neuen Bundestag halten.