Der Krieg in Syrien eskaliert. Die islamistischen Rebellen behaupten es geschafft zu haben, nach Aleppo eingedrungen zu sein. Es ist das erste Mal, seitdem die Regierungstruppen von Machthaber Baschar al-Assad die zweitgrößte Stadt des Landes im Jahr 2016 zurückerobert hatten.
Aktivist:innen der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte melden über 200 Tote innerhalb von nur zwei Tagen. Die Armee reagierte auf die Aktivitäten der Rebellen mit Luftangriffen auf militärische Ziele der extremistischen islamistischen Organisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die als eine der stärksten bewaffneten Gruppen in der Region gilt.
Der Nahost-Experte Osman Bahadir Dincer vom Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) blickt besorgt auf die Entwicklungen in Syrien. "Meine größte Sorge ist, dass das Regime sowie Iran und Russland sehr hart reagieren könnten", sagt er auf watson-Anfrage.
Iran und Russland unterstützen die syrischen Regierungstruppen. Die Türkei etwa unterstützt die islamistischen Rebellen.
Für Dincer kam die Situation in Syrien nicht überraschend. Es sei bekannt gewesen, dass sich die Opposition seit Langem auf einen erneuten Angriff vorbereitet hatte. "Doch der Zeitpunkt und das Ausmaß der Entwicklungen haben eine unerwartete Situation geschaffen", sagt er.
Die Rebellen würden ausnutzen wollen, dass Russland aktuell durch den Krieg gegen die Ukraine und der Iran durch den Konflikt mit Israel abgelenkt sind. Große Erfolgschancen misst Dincer dem Aufstand trotzdem nicht zu. "Es wird behauptet, die Revolution gewinne wieder an Schwung, aber meiner Meinung nach ist das äußerst unwahrscheinlich", sagt er.
Noch in der Nacht auf Samstag haben russische Kampfflugzeuge zum ersten Mal seit 2016 wieder Ziele in Aleppo angegriffen. Das meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Dincer vermutet sogar, dass die aktuelle Operation das Ende der Rebellion bedeuten könnte. Da sich die Regimetruppen schnell zurückgezogen hätten, könne es sich um eine Falle handeln.
Er führt dazu aus:
Dass es durch die Unterstützung der Türkei für die islamistischen Rebellen zu einem militärischen Konflikt zwischen der Türkei und dem Iran kommen könnte, hält Dincer für "nahezu ausgeschlossen".
"Ein größerer Krieg könnte natürlich ausbrechen, würde jedoch wahrscheinlich zur vollständigen Vernichtung dieser Oppositionsgruppen führen", prognostiziert Dincer. "Obwohl Assad und seine Unterstützer derzeit als Verlierer erscheinen, denke ich, dass es noch zu früh ist, um von einer Niederlage zu sprechen."
Laut Syrien-Experte Joshua Landis werden die Kämpfe nicht so schnell enden. Dies sei die größte Schlacht in Syrien seit dem Frühjahr 2020, als der Konflikt eingefroren wurde, betont der Leiter des Zentrums für Nahoststudien an der Universität von Oklahoma.
"Israels Zerstörung der Hisbollah-Führung und Infrastruktur sowie die intensiven Bombardierungen syrischer Militäreinrichtungen seit dem 7. Oktober haben die syrischen Regimekräfte und insbesondere ihren Verbündeten Hisbollah eindeutig geschwächt", führt er auf watson-Anfrage aus.
Viele spekulieren laut ihm, dass die von al-Jawlani angeführten Oppositionskräfte in Idlib die Schwächung der pro-iranischen Kräfte durch Israel ausnutzen wollten.
Dennoch glaubt Landis nicht, dass der Krieg in Syrien in großem Stil wieder aufflammen werde, "denn keine der Regionalmächte will mehr Instabilität". Die Türkei sei der Schlüssel. Dem Experten zufolge will Ankara lediglich ein Druckmittel, um mit Assad zu verhandeln, und nicht den Sturz von Damaskus.
Dincer betont, dass die Türkei kein verlässlicher Partner für die islamistischen Rebellen sei. "Seit Beginn des Arabischen Frühlings hat die Türkei islamistische Gruppen immer wieder in die Irre geführt – sie ermutigt und gleichzeitig dazu beigetragen, ihre Errungenschaften zu zerstören", sagt er.