Als wäre der russische Angriffskrieg in der Ukraine nicht schon genug, eskaliert der Konflikt weiter. Nach russischen Angaben hat das Land am Donnerstagmorgen mit einer neu entwickelten Mittelstreckenrakete die ukrainische Großstadt Dnipro beschossen, eine "Hyperschall-Rakete". Sechs Sprengköpfe schlugen dort ein. Der russische Präsident Putin sagte, es seien keine Atomsprengköpfe gewesen.
Während der Kremlchef von einer angeblich unbesiegbaren Waffe spricht, rätseln Beobachter:innen, womit Russland da eigentlich schießt.
Klar ist: Der Angriff sollte öffentliche Aufmerksamkeit erregen und wird als Einschüchterungsversuch gegenüber der Ukraine und ihren Unterstützern gesehen. Atom-Drohungen inklusive. Zumal Putin selbst betonte, dass es sich um einen neuartigen Raketentyp namens "Oreschnik" handelte, der auch mit atomaren Sprengköpfen ausgerüstet werden könnte.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte den Einsatz der neuen Mittelstreckenrakete eine "furchtbare Eskalation". Auch der Generalinspekteur und Generalleutnant des Heeres der Bundeswehr, Alfons Mais, zeigt sich nach dem Angriff alarmiert. Er hat auf der Berliner Sicherheitskonferenz gewarnt, dass die westliche Lebensweise auf dem Spiel stehen könnte, sollte die Nato ihre Verteidigungsbereitschaft nicht massiv ausbauen.
"Es ist unsere Aufgabe, die Botschaft zu vermitteln, dass die Bedrohung real ist. Unsere Lebensweise ist in Gefahr", konstatierte Mais unmissverständlich.
Um den Zusammenhalt des Bündnisses zu wahren, müsse Europa liefern. Denn: "Wir können unsere Sicherheit nicht an andere auslagern", fügte er hinzu. Mais sagte, die Bundeswehr befinde sich im Aufholprozess, was neue Formen der Kriegsführung wie den Einsatz von Drohnen anbelangt, die sich während des Russland-Ukraine-Konflikts rasant entwickelt hätten.
"Wir haben diese Entwicklung ein wenig verpasst", sagte Mais und fügte an: "Ich denke, wir haben es mehr oder weniger völlig versäumt, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Und jetzt brauchen wir Zeit, um die Lücke zu schließen."
Unabhängig davon, ob es sich nur um ein Säbelrasseln Russlands handeln sollte, um seine Gegner einzuschüchtern: Der Angriff hat weltweit Sorge ausgelöst und wird als weitere Eskalationsstufe gewertet.
Vertreter:innen der Nato und Kiews kommen angesichts der Lage am Dienstag zu Gesprächen in Brüssel zusammen. Wie die Nachrichtenagentur AFP am Freitag aus Diplomatenkreisen erfuhr, wird das Treffen des Nato-Ukraine-Rates auf der Ebene der Botschafter:innen stattfinden.
Der Einsatz der neuartigen "Oreschnik"-Mittelstreckenrakete ist laut Kreml-Chef Putin eine Antwort auf den Einsatz bestimmter westlicher Raketen gegen russisches Territorium. Er sprach davon, dass der Einsatz westlicher Raketen mit höherer Reichweite gegen Russland dem Ukraine-Krieg "Elemente eines globalen Charakters" verliehen habe.
Der Kreml-Chef drohte speziell Staaten, die Kiew erlauben, ihre Raketen für Ziele in Russland einzusetzen, explizit mit Angriffen.
Die Ukraine hatte in den Tagen zuvor Ziele auf russischem Territorium angegriffen, einerseits mit US-Raketen des Typs ATACMS und andererseits mit von Großbritannien gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörpern. Mehrere westliche Länder, darunter Großbritannien, die USA und Frankreich, haben der Ukraine Raketen und Lenkwaffen mit größerer Reichweite geliefert.
Washington hatte Kiew am vergangenen Wochenende die Genehmigung erteilt, diese Waffen im russischen Hinterland einzusetzen.
Scholz hingegen blieb und bleibt bei seinem Nein zur Lieferung sogenannter Taurus-Marschflugkörper.
Dafür musste der Kanzler heftige Kritik einstecken, etwa von den Grünen und Friedrich Merz (CDU). Der Vorwurf: Er lasse die Ukraine im Stich und zeige keine klare Kante gegen Russland.
Scholz bleibt jedoch auch nach dem aktuellen Angriff dabei, dass diese Entscheidung die richtige sei. Man müsse dafür Sorge tragen, dass der Krieg nicht zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato eskaliere. Es komme auf Besonnenheit an. "Und ich bekenne mich dazu, das habe ich getan", sagte Scholz.