Es gibt eine schöne Geschichte aus Bayern, die viel sagt über das Verhältnis zwischen der bauchnabelorientierten deutschen Politik und Europa.
CSU-Chef Horst Seehofer, damals noch Ministerpräsident in Bayern, ließ die Großen seines Reiches zum Treffen mit der heimischen Wirtschaft versammeln. Stolz präsentierte Seehofer seine Delegation. Nur ein paar Kollegen im Gefolge übersah er. Die Gegenseite war aufmerksamer und begrüßte höflichst die Europaabgeordneten der CSU. An ihrer Spitze Manfred Weber.
Manche haben eben Größe, und sie wissen, wo die großen Entscheidungen fallen.
Und manche haben ein Auge für kommende Aufsteiger: Manfred Weber, 46, CSU-Europaabgeordneter aus Bayern, will kommendes Jahr die Nachfolge von Jean-Claude Juncker antreten. Am Mittwoch erklärte der CSU-Mann aus Niederbayern offiziell seine Kandidatur.
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Manfred Weber sitzt seit 2004 im Europaparlament, seit 2015 führt er dort die mächtige Fraktion der Christdemokraten an. Zuletzt boxte er das Interrail für alle durch.
Dass ihn nicht jeder sofort kennt, muss nicht verwundern. Weber pflegt eher leise Töne. Aber er ist ungemein fleißig. Das zahlt sich aus in Europa. Sein Credo lautet:
Im letzten Europawahlkampf machte die CSU viel Radau, gegen "die da aus Brüssel". Weber hielt sich dabei auffallend zurück. Auch innere Distanz kann eine Form von Protest sein.
Das Poltern ist Webers Sache nicht. Der Mann kann zuhören und in kniffligen Situationen eine Lösung finden. Das muss nicht überraschen. Der gelernte Ingenieur arbeitete vor seiner Zeit in der Politik für eine Beratungsfirma. Das schärft den Blick für pragmatische Ansätze. Der Aufstieg Webers erfolgte 2003. Damals wurde er Chef der Jungen Union in Bayern. Es hatte eine gewisse Ironie, dass er das Amt von einem gewissen Markus Söder übernahm - gegen den Willen der CSU-Führung. Er wolle Weg vom "Eventcharakter" der Politik, hatte Weber damals erklärt. Nicht nur Söder hat für diese Erkenntnis länger gebraucht.
Söder kämpft nun im Wahlkampf in Bayern um eine Mehrheit für die CSU – und seine Zukunft. Manfred Weber strebt nach einem Top-Job in Europa: dem Amt des EU-Kommissionspräsidenten.
Die Niederbayern sind ja etwas merkwürdig. Im Freistaat gelten sie als ärmlich und, pardon, etwas zurückgeblieben. Dass es sich lohnt, der bayrischen Enge zu entfliehen, zeigt Weber. Die Sicht aus Brüssel (nicht auf Bayern) hat seine Perspektive erweitert.
Und so piesackte Weber die Konservativen in der CSU bald mit bitteren Erkenntnissen. Er mahnte, Alleinerziehende als gesellschaftliche Realität anzuerkennen und warb für Ganztags-Kitas. Mit Horst Seehofer stritt er über Sozialpolitik, er warb für eine Privatisierung der Pflegeversicherung. Nur ist das freie Denken nicht immer gefragt, im Loyalitätsverbund der CSU. Zu Webers schärfsten Kritikern in der CSU zählt Alexander Dobrindt, der Mann, der im Frühjahr eine "konservative Revolution" forderte. Das käme Weber nicht in den Sinn. Er ist wertkonservativ, aber er denkt liberal. Und er ist weltoffen. Weber scheint zu begreifen, was der Philosoph Dieter Thomä mit Blick auf Dobrindt sagt:
Die nationale Presse von "Spiegel" bis zur Lokalzeitung "Kölner Stadt-Anzeiger" freut sich schon über einen Deutschen an der Spitze der EU-Kommission. Aber reicht das, Deutsch zu sein? Oder hat der Mann auch ein Programm? Weber eckt durchaus an, auch mit den Parteioberen und EU-Größen:
Europa hat er jetzt einen neuen Politik-Ansatz verordnet:
Das kann viel bedeuten. Selbsthauptung im Kampf gegen den politischen Islam. Aber auch Selbstbehauptung gegen Europas Populisten.
Letzteres würde noch selbstbewusster klingen, wären in Webers europaweitem Parteienverbund im Europaparlament nicht auch die Polterer Silvio Berlusconi und Viktor Orban vertreten. Weber umarmte beide öffentliche. Er braucht ihre Stimmen auf dem Wegen nach oben. Klingt nach wirklich appetitlich.
Weber posiert auf Instagram mit den Größen der Welt.
Klingt zu schön, um wahr zu sein. Weber braucht nach den Europawahlen im kommenden Mai nicht nur die Unterstützung der Staats- und Regierungschefs, sondern auch die Mehrheit im Europaparlament. Das könnte eng werden, auch weil mit kräftigen Gewinnen für die Populisten von Rechts und Links gerechnet wird.
Und so wird noch kräftig um Jobs in Brüssel gefeilscht. Zumal in Europa nächstes Jahr noch weitere Jobs zu vergeben sind:
Gute Chancen könnte deshalb die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager haben. Die resolute Liberale hat sich mit Google, Apple und Co angelegt. Sie kommt aus Dänemark. Aber das spielt weniger eine Rolle. Mit Vestager käme eine Frau an die Spitze der EU-Kommission. Wäre auch was für Europa.