Politik
Analyse

Migration: Sachsen und Thüringen spüren heftige Folgen der CDU-Debatte

TH?RINGENS MIGRATIONSMINISTERIN BESUCHT GEMEINSCHAFTSUNTERKUNFT IN S?LZHAYN *** NUR F?R REDAKTIONELLE ZWECKE *** EDITORIAL USE ONLY ***<p>25/08/2023 - S?lzhayn: Aset Suleimanov mit ihrem Sohn Ab ...
Geflüchtete fürchten rassistische Gewalt gegen ihre Kinder.Bild: imago images / Marco Kneise
Analyse

Sachsen und Thüringen: Hitzige Migration-Debatte befeuert Rassismus

19.02.2025, 20:0319.02.2025, 20:24
Mehr «Politik»

Das Thema Migration dominiert den kurzen Wahlkampf. Die schrecklichen Anschläge in Magdeburg, Aschaffenburg und München missbraucht die AfD, um ihre radikale Migrationspolitik zu propagieren. Die in weiten Teilen rechtsextreme Partei schürt Angst und liefert einfache Antworten auf komplexe Fragen.

Und die demokratischen Parteien finden offenbar keinen Weg, mit dieser erhitzten Stimmung im Land umzugehen. Im Gegenteil: So geriet etwa CDU-Chef Friedrich Merz in die Kritik, weil er Ende Januar im Bundestag in Kauf genommen hatte, dass sein Fünf-Punkte-Plan zur Migrationspolitik nur dank AfD-Stimmen eine Mehrheit bekam.

16.02.2025, Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (l-r, SPD), Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Friedrich Merz, Unions Kanzlerkandidat und CDU Bundesvor ...
In den vergangene Jahren stiegen die Umfragewerte für die AfD stark an; besonders in Ostdeutschland. Bild: dpa-Pool / Kay Nietfeld

SPD-Politiker Orkan Özdemir ging so weit und bezeichnete Merz in einem Instagram-Post als "Steigbügelhalter der Neonazis". Kurz vor der Wahl zerfleischen sich Union, Grüne und SPD – die AfD schaut lachend vom Rand aus zu.

Wem nicht zum Lachen zumute ist, sind jene Menschen, auf deren Rücken diese Debatte ausgetragen wird. Geflüchtete und Asylsuchende fühlen sich vor allem in Ostdeutschland, wo die AfD in Umfragen stärkste Kraft ist, immer unsicherer.

Flüchtlingsrat Thüringen warnt: Rechtes Gedankengut wuchert

"Bei vielen herrscht Furcht. Sie fragen sich, was auf sie nach der Bundestagswahl zukommt", sagt Juliane Kemnitz vom Flüchtlingsrat Thüringen im watson-Gespräch. Das Misstrauen und die Vorurteile, die durch den scharfen Wahlkampf geschürt werden, spiegeln sich laut ihr eins zu eins im Alltag der Betroffenen wider.

Kemnitz steht mit Geflüchteten und Asylsuchenden im Austausch und beschreibt deren Sorgen. "Menschen, die zum Beispiel als muslimisch wahrgenommen werden, erhalten täglich Blicke, als stellten sie eine Gefahr dar. Zudem müssen sie sich dafür rechtfertigen, dass jemand ihres Glaubens solche Terrorakte ausübt", sagt sie.

Dieses permanente Misstrauen und diese ständigen Vorurteile nagen an der Seele. "Wenn man das jeden Tag aufs Neue erfährt, macht das was mit Menschen", erklärt die Beraterin beim Flüchtlingsrat Thüringen. Sie berichtet von Eltern, die sich immer wieder sorgen müssen, ob ihr Kind auf dem Weg zur Schule rassistisch angefeindet wird.

"Wir haben Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte oder solche, die im letzten Moment verhindert werden konnten. Das Schlimme ist, dass sich diese Gefahr so sehr in den Alltag einfindet und nicht vorhersehbar ist: Wann passiert wieder was?", sagt sie.

Der Jahresbericht 2023 von "Ezra" zeigt etwa, dass der Landkreis Sonneberg erstmals zum Hotspot rechtsmotivierter Angriffe in Thüringen wurde. Im Sommer 2023 gewann dort AfD-Politiker Robert Sesselmann die Wahl zum Landrat.

Die aktuelle Grundstimmung in Thüringen: Rechtes und rassistisches Gedankengut bekommt im Alltag Oberwasser.

Kritik an CDU und Grüne wegen Migrations-Debatte

Kemnitz weist darauf hin, dass es nicht allein die AfD sei, die als Hardliner diese gefährliche Dynamik in der Gesellschaft befeuert. Sie zieht auch andere Parteien in die Verantwortung. "Im Bundestagswahlkampf ist die Verknüpfung von Sicherheit, Politik und Migration so selbstverständlich geworden", führt sie aus.

Die Migrationsdebatte heize derzeit ebenfalls die CDU mit ihren radikalen Forderungen an. Auch die Grünen springen laut ihr auf den Zug auf mit ihrem Zehn-Punkte-Plan, der aus Sicherheits- und Migrationspolitik besteht.

Dieser verschärfte Diskurs auch unter den demokratischen Parteien lasse in Thüringen die Hemmschwelle für rassistisch motivierte Gewalt sinken. "Es herrscht eine Atmosphäre der Bestätigung. Nach der Devise: 'Endlich darf ich es wieder offen rauslassen'", sagt Kemnitz gegenüber watson.

Laut ihr fühlen sich Menschen in Thüringen mittlerweile dazu ermächtigt, ihre rassistischen Überzeugungen im Alltag auszuleben. "Das kann in der Straßenbahn, in der Schule oder auf der Arbeit sein. Das Schlimme an Rassismus ist, dass man nie weiß, wann, wo und durch wen man ihn erfährt", meint sie.

Asylsuchende landen ihr zufolge in einem Bundesland, in dem eine "offene, rassistische Alltagskultur salonfähig" ist. Das sei eine doppelte Belastung für die Menschen, die hier bleiben müssen, bis zum Entscheid ihres Asylverfahrens.

In Sachsen zeichnet sich ein ähnliches Bild.

Geflüchtete kehren Sachsen den Rücken, obwohl es sie braucht

"Wir beobachten seit Jahren den Wunsch vieler Menschen, nach ihrer Flucht Sachsen oder den Osten generell zu verlassen", sagt Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Gerade Personen mit guter Qualifizierung kehren Sachsen schnell den Rücken. Dabei ist das Bundesland auf Zuwanderung angewiesen.

Dem Sächsischen Ausländerbeauftragten zufolge liegt der Ausländeranteil in Sachsen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Gleichzeitig werden in den kommenden Jahren überdurchschnittlich viele Beschäftigte aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand gehen.

Daher warnt das sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klimaschutz: Bis zum Jahr 2030 werden dem sächsischen Arbeitsmarkt mehr als 300.000 erwerbsfähige Menschen weniger zur Verfügung stehen als noch 2014.

Doch auch Migrant:innen suchen in vielen Fällen das Weite. Das Gefühl, nicht willkommen zu sein, oder offene Anfeindungen im Job oder in Behörden zu erleben, ist laut Schmidtke Alltag von vielen von ihnen.

Dave Schmidtke arbeitet als Berater beim Sächsischen Flüchtlingsrat.
Dave Schmidtke arbeitet als Berater beim Sächsischen Flüchtlingsrat.bild / privat Dave schmidtke

"Erst letzte Woche schrieb mir eine Familie aus Eritrea, wie glücklich sie ist, und diese zog von Chemnitz in die Provinz Bayerns, die ja nun auch kein Aushängeschild für Toleranz ist", sagt er.

Sachsen: Radikale Parteien rekrutieren vor allem Jugendliche

Wie auch Kemnitz vom Flüchtlingsrat Thüringen prangert Schmidtke die demokratischen Parteien an. "Sie übernehmen immer häufiger inhumane Positionen, wodurch sich die Situation verschärft", sagt er.

Der Berater für Geflüchtete in Sachsen führt aus:

"Wer stets nur über Abschiebungen und Kriminalität spricht, wenn es um Flucht geht, entmenschlicht Individuen und verschweigt reale Fluchtursachen. Und wer die Lebensrealität von Schutzsuchenden verschweigt, verhindert Empathie und so auch eine Willkommenskultur."

Im Windschatten der AfD entstehen laut Schmidtke weitere – zum Teil noch radikalere – Parteien. So seien die sogenannten "Freien Sachsen" vor allem in der Kommunalpolitik Sachsens aktiv und kooperieren dort mit AfD-Vertreter:innen.

Auch Neonazi-Schlägertrupps wie die Elblandrevolte in Dresden oder Revolte Chemnitz sind ihm zufolge eine "schockierende Entwicklung", da sie vor allem Jugendliche rekrutieren. "Es bilden sich Parallelen zur xenophoben Gewalt in den 90er Jahren", meint er.

Freital Rechtsradikale gegen Antirassismus-Demonstration Ca. 500 Menschen demonstrierten am Freitag den 31. Juli 2015 im Saechsischen Feital gegen Rassismus und fuer die Aufnahme von Fluechtlingen. Na ...
Ein Mann beobachtet in Sachsen eine Antirassismus-Demonstration und zeigt den Hitlergruß.Bild: imago images / Christian Ditsch

Schon jetzt gebe es in Sachsen bundesweit die meisten Attacken auf Geflüchtete. "Wenn permanent gegen Minderheiten gehetzt wird, dann entsteht eben auch reale Gewalt gegen sie", warnt er. Auf die Brandmauer verlässt er sich in Sachsen nicht mehr.

"Wir beobachten auf kommunaler Ebene, dass die Brandmauer bereits riesige Löcher besitzt", sagt er. Für ihn seien etwa die internen Absprachen zwischen AfD und Ministerpräsident Michael Kretschmer ein "unheimliches Signal".

Schmidtke betont: "Die schleichende Normalisierung im politischen Umgang mit einer gesichert rechtsextremen Partei darf nicht ignoriert werden." Sie bringe Geflüchtete und am Ende alle demokratischen Kräfte in Gefahr.

Wegen Trumps Drohungen: Airline reduziert Flüge in die USA

US-Präsident Donald Trump wirft mit Androhungen von Zöllen um sich. Gegen Mexiko. Gegen Kanada. Gegen die EU. Sie alle machen sich bereit auf das Szenario, dass Trump seinen Worten wirklich Taten folgen lassen könnte – obwohl dieses auch Folgen für die Wirtschaft der USA hätte. Das zeigt sich etwa am Beispiel Kanada, das als Zulieferer für US-Autos nicht verzichtbar ist.

Zur Story