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SPD: Matthias Miersch im Interview über Friedrich Merz und Donald Trump

30.01.2025, Berlin: Matthias Miersch, SPD-Generalsekretär aufgenommen bei einem Interview mit der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Matthias Miersch ist seit Oktober 2024 SPD-Generalsekretär.Bild: dpa / Michael Kappeler
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SPD: Matthias Miersch über Friedrich Merz – "Attitüde erinnert an Donald Trump"

08.02.2025, 09:56
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Die Sonne funkelt auf der Spree vor dem Bundestag, als Matthias Miersch zum Interview in seinem Büro empfängt. Hinter ihm liegt eine turbulente, eine historische Woche. Am Vortag sind in Berlin 160.000 Menschen für den Erhalt der "Brandmauer" auf die Straße gegangen – auch Miersch. Zum ersten Mal war in der Geschichte der Bundesrepublik ein Antrag mit Stimmen der AfD verabschiedet worden.

Seit Oktober 2024 ist Miersch Generalsekretär der SPD, als Nachfolger von Kevin Kühnert. Er wirkt entspannt an diesem Tag, weißes Hemd, fester Händedruck. In seinem Abgeordnetenbüro hängt ein Trikot von Hannover 96. Auf seinem Tisch steht der 1,5-Grad-Schriftzug als Skulptur.

watson: Herr Miersch, trauen Sie Friedrich Merz noch?

Matthias Miersch: Mein Vertrauen ist zutiefst erschüttert. Ich nenne das nach wie vor einen absoluten Tabubruch, weil er noch vor wenigen Wochen jede Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat. Er hat zweimal sein Wort gebrochen und Kompromisse ausgeschlossen. Wenn es in der demokratischen Mitte keine Kompromissfähigkeit mehr gibt, ist das richtig bitter. Er wollte mit dem Kopf durch die Wand. Deswegen weiß ich nicht, ob er zumindest auf eine Tolerierung der AfD setzt.

Und doch hat Friedrich Merz an die demokratischen Parteien appelliert, zusammenzuarbeiten. Er ist einen Schritt auf Sie zugekommen.

Meine Wahrnehmung ist eine andere. Rolf Mützenich (SPD-Fraktionsvorsitzender; Anm. d. Red.) hat bis zum Schluss alles versucht. Aber Friedrich Merz wollte das Symbol. Er wollte auf den Tisch hauen und sagen: Ich ziehe es durch, egal, was es kostet.

Sie halten ihn für unberechenbar?

Er neigt zu impulsivem Vorgehen. Neben der mangelnden Regierungserfahrung ist er auch durch diese Eigenschaft nicht geeignet, Kanzler zu werden. Ich glaube bei Merz inzwischen, dass es Kalkül ist. Die Attitüde erinnert an Donald Trump. Und wir stehen jetzt vor der Frage: Was bedeutet das für die Zeit nach der Wahl?

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Die SPD-Parteiführung um Matthias Miersch, Lars Klingbeil, Olaf Scholz und Saskia Esken (v.l.).Bild: IMAGO/Stefan Zeitz

Was denn?

Wenn man in eine Koalition geht, muss man das Gefühl haben, dass alle Koalitionspartner kompromissfähig sind. Man kann aber in der Politik nicht erpressen. So funktioniert eine Demokratie nicht. Ich will auch nicht ausschließen, dass es nochmal innerhalb der Union eine Debatte gibt, ob Merz der Richtige ist.

Glauben Sie, Friedrich Merz wird nochmal abgelöst?

Nicht vor der Wahl. Aber wer weiß, was passiert, wenn er weiter so auftritt und jegliche Regierungsbildung verhindert.

Würden Sie ausschließen, mit Friedrich Merz zu koalieren?

Ich würde ausschließen, dass wir mit der AfD koalieren. Mein Grundsatz sagt mir, dass alle Parteien der Mitte miteinander koalieren können müssen. Aber es wird schwieriger. Im Moment kann ich mir eine Koalition mit Friedrich Merz nur ganz, ganz schwer vorstellen.

Die AfD wird sich freuen, dass sich die demokratische Mitte zerfleischt.

Deswegen sage ich, ich würde nichts ausschließen. Das Verhältnis kann sich nach der Wahl auch wieder verändern. Aber Friedrich Merz macht es zunehmend schwieriger.

Halten Sie eine Koalition zwischen CDU und AfD für möglich?

Im Moment halte ich alles für möglich. Ich weiß nicht, was Friedrich Merz will.

Glauben Sie, dass diese Drohung wirkt?

Ich hätte nie für möglich gehalten, dass Friedrich Merz sein Wort bricht und Gesetze mit Stimmen der AfD beschließt. Damit sind wir an einem zentralen Punkt in der Geschichte der Bundesrepublik angekommen. Es ist wichtig zu sagen: Es kann durchaus etwas ganz anderes passieren, als ihr vielleicht denkt. Überlegt euch das gut.

War der impulsive Vorstoß von Friedrich Merz etwas, auf das Sie spekuliert haben?

Ich wusste, dass Merz hitzköpfig ist und dass sich daraus in den bevorstehenden Duellsituationen ein Momentum entwickeln könnte. Aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass er wirklich sein Wort bricht und etwas mit der AfD durchsetzt. Mir ist es auch sehr wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger sehen, wo die Unterschiede sind. Olaf Scholz hat dieses Land eben in einer sehr schwierigen Situation und auch Koalition ruhig geführt. Ich weiß nicht, wie Merz in diesen Situationen gehandelt hätte.

Die Ruhe von Olaf Scholz wurde auch als Schläfrigkeit gedeutet.

Ich wäre da immer vorsichtig. Da sitzen nicht irgendwelche kleinen Bubis am Tisch, das sind Alphatiere als Politiker. Man kann nicht zu oft von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen. Es braucht einen Ausgleich. Deswegen finde ich dieses Besonnene auch richtig.

"Eine Partei, die das ausgleichende Element hat, hat es in diesen Zeiten vielleicht auch schwerer."

Und trotzdem sieht man, dass der Hau-Ruck-Habitus von Friedrich Merz wirkt. Welche Lehre lässt sich daraus ziehen?

Ich habe eine Grundbedingung an meine Politik: Ich glaube, dass ich umso tiefer falle, wenn ich etwas verspreche, das ich nicht halten kann. Das ist gefährlicher Populismus. Ich glaube, dass durch die Art und Weise, wie gerade diskutiert wird, nicht Merz gewinnt. Sondern die AfD.

Laut einer Umfrage unterstützen 66 Prozent Merz' Vorstoß.

Das Sicherheitsgefühl bei vielen ist erschüttert, keine Frage. Trotzdem muss Politik sich davor hüten, komplexe Fragen mit einfachsten Lösungen zu beantworten. Die Grundfrage ist, ob ich Populismus mit Populismus kleinmache. Ich habe da große Zweifel.

Die Frage ist aber auch: Wenn Populismus Wirkung zeigt, wie reagiert man darauf?

Man muss versuchen, die Stimme der Vernunft zu sein. Belastbare Dinge hinbekommen. So wie es uns gelungen ist, die Zahl der Asylgesuche im letzten Jahr um ein Drittel zu senken. Das sind handfeste Erfolge, auch weil wir Grenzkontrollen eingeführt haben. Was nicht funktioniert, sind die Vorschläge von Merz.

Funktioniert das gerade, die Stimme der Vernunft zu sein?

An den Demonstrationen sieht man, dass viele Menschen keine Zufallsmehrheiten mit der AfD möchten. Ich habe mit Sebastian Krumbiegel, dem Sänger der Prinzen, letztens in meinem Podcast darüber diskutiert, ob wir einen linken Populismus brauchen. Aber das ist nicht meine Form, Politik zu machen.

Warum wird der SPD keine Kompetenz beim Thema Migration zugesprochen? Die Ampel hat eine Migrationspolitik gefahren, von der Horst Seehofer geträumt hat.

Wir sind in der Regierung. In der Opposition ist es immer einfacher, Dinge einzufordern. Wir haben das Thema Zuwanderung eben nicht pauschal mit irregulärer Migration verbunden, sondern ganz bewusst gesagt, dass wir Fachkräfteeinwanderung brauchen, um als Land weiterzubestehen. Eine Partei, die das ausgleichende Element hat, hat es in diesen Zeiten vielleicht auch schwerer.

Die Bundestagsdebatten sind vonseiten der SPD extrem moralisierend geführt worden.

Es ist auch eine Moralfrage. Ob ich mit den Rechtsextremen zusammen eine gemeinsame Sache mache, ist für mich wirklich eine Urfrage. Wenn man da nicht Moral walten lässt, dann weiß ich nicht, wann. Auch Angela Merkel hat sich nicht ohne Grund geäußert und klar Stellung bezogen.

Es wurde aber nicht inhaltlich debattiert. Vielleicht kennen Sie den Spruch von Michelle Obama: "When they go low, we go high."

Deswegen wollten wir den Antrag im Innenausschuss diskutieren. Man kann nach so einer Geschichte auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Man muss es problematisieren und man muss ein Angebot machen. Beides haben wir getan.

Sie scheinen insgesamt nicht der größte Fan einer neuen GroKo zu sein.

Wir haben in der Großen Koalition durchaus vertrauensvoll zusammengearbeitet. Trotzdem würde ich mir immer eine andere Konstellation wünschen. Ich bin seit 2005 im Bundestag und weiß, was in einer Großen Koalition möglich ist, und was alles nicht. Ich war zuständig für die Themen Klima, Umwelt, Energie und Landwirtschaft. Das war alles andere als leicht. Und auch jetzt droht mit Friedrich Merz ein energiepolitischer Irrweg.

Fühlen Sie sich als Umweltpolitiker in Ihrer Partei manchmal allein?

Überhaupt nicht. Uns ist gelungen, dass wir Klimaschutz interdisziplinär im Wahlprogramm verankert haben. Wir können die ökologische Frage nur schaffen, wenn wir die soziale und die wirtschaftliche mitdenken.

AfD: Südtiroler Hotel will Gauland nicht beherbergen – heftige Debatte entbrannt

Alexander Gauland geriet in der Vergangenheit des Öfteren in die Schlagzeilen. Die Liste der Kontroversen um ihn ist lang: Er hatte etwa die NS-Zeit als "Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" bezeichnet und forderte einen "Schlussstrich" unter Deutschlands Nazi-Vergangenheit. Deutschland habe das Recht, stolz auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen zu sein, sagte er.

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