Sie stürmen in die Häuser von Israelis, schießen willkürlich um sich, misshandeln Frauen, machen nicht Halt vor Kindern. Die Hamas verursachen ein Blutbad in Israel.
Mehr als 1000 Menschen sollen bereits tot sein, Tausende sind verletzt und Hunderte verschleppt. Der Schock sitzt tief: Wie konnte das passieren und was erhofft sich die Hamas von diesem kaltblütigen Anschlag?
Eines ist klar: "Hamas kann Israel nicht vernichten und Israel nicht die Hamas", sagt Politikwissenschaftler Heinz Gärtner im Gespräch mit watson. Er ist Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) und am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien tätig.
Auch gehe es der Hamas nicht darum, sich etwa für die Rechte der palästinensischen Menschen in Gaza einzusetzen. Gärtner betont: Die Hamas ist kein Vertreter der Palästinser:innen. Im Gegenteil: "Am Ende nimmt die Terrorgruppe Opfer unter den Palästinensern in Kauf als Antwort auf ihre blutigen Angriffe", meint Gärtner. Denn sie wussten, Israel würde solch ein grausames Blutbad nicht unbeantwortet lassen.
Israelische Gegenangriffe haben laut Medienberichten bereits hunderte Menschen – darunter auch Kinder – im Gazastreifen das Leben gekostet. Auch die Welt lässt den Terrorangriff der Hamas nicht unbeantwortet. Die Europäische Union setzt etwa die Hilfszahlungen für Palästinenser:innen aus. Finanzielle Mittel, die den Menschen vor Ort helfen sollten.
Denn laut Gärtner darf man nicht vergessen: "Den Palästinensern geht es unter der extremen Kontrolle der Israelis in Gaza nicht gut." Und mit Palästinser:innen meint er Zivilist:innen.
Der Experte zeigt sich besorgt, dass jetzt alle Palästinenser:innen in einen Topf geworfen werden. Mit dem Hamas-Überfall wird es den Menschen in Gaza noch schlechter gehen als zuvor. Und das sei den Terroristen bewusst gewesen. "Sie haben absichtlich palästinensische Zivilisten in Gefahr gebracht, allein für ihre eigenen politischen Ziele", meint Gärtner.
Denn am Ende galten die Hamas-Angriffe nicht nur Israel, sondern auch Saudi-Arabien, führt der Politikwissenschaftler aus.
Seit Jahrzehnten befindet sich Israel im Konflikt mit den arabischen Staaten, besonders mit den Palästinenser:innen. Nach der ersten Intifada nutzte die Hamas die aufgeheizte Stimmung in Palästina, um ihre eigene Ideologie – die zutiefst antisemitisch ist – zu verbreiten.
2006 wurde sie zur Regierung der palästinensischen Autonomiegebiete gewählt – die letzte Wahl in den palästinensischen Gebieten bis heute. Sprich, die Hamas hält sich in Gaza bereits mehr als 17 Jahre an der Macht. Als sunnitische Terrororganisation wurde sie unter anderem von dem arabischen Land Saudi-Arabien unterstützt. Denn: Dort herrscht die besonders konservative Strömung der Sunniten, der Wahhabismus – die Staatsreligion in Saudi-Arabien.
Geeint durch ihre Religion und dem gleichen Feind Israel konnte sich die Hamas in der Region auf das reiche, einflussreiche Land als Unterstützer jahrzehntelang verlassen. Doch genau das geriet ins Schwanken aufgrund eines Abkommens – ausgerechnet mit Israel unter der Obhut der USA.
"Ich bin mir sicher, der Hamas-Angriff galt auch Saudi-Arabien, um dieses Abkommen zu verhindern", sagt Gärtner. Denn es hätte die Interessen der Palästinenser völlig unberücksichtigt gelassen. Im September bestätigte das Weiße Haus noch, Israel und Saudi-Arabien würden vor einem historischen Friedensabkommen stehen – womöglich eine völlige Isolierung der Palästinenser:innen.
"Mit dem Überfall in Israel steht Saudi-Arabien nun unter Druck in der arabischen Welt", meint Gärtner. Die Saudis befürchten laut ihm, dass die arabische Bevölkerung sich bei einem Abkommen mit Israel nun querstellen könnte. Denn: Der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist und bleibt ein großes Thema für die arabische Bevölkerung. "Die Saudis wollen keinen arabischen Frühling aufgrund der Palästinenser riskieren", sagt Gärtner.
Die Stimmung ist aufgeladen. Ein Abkommen mit Israel zum jetzigen Zeitpunkt gleiche wohl einem Stich ins Bienennest. Die Hamas hat damit erreicht, was sie offenbar wollte: "Das Abkommen ist vorerst stillgelegt", sagt der Experte. Damit ist eine Annäherung zwischen den Feinden Saudi-Arabien und Israel auf Eis gelegt.
Doch auch das interne Chaos in Israel habe die Hamas wohl für ihren Angriff motiviert. Die antiliberale Regierung von Benjamin Netanjahu plant einen umfassenden Umbau der Justiz. Das löste wochenlang Demonstrationen auf den Straßen aus. Das Land war gespalten. "Der Großangriff der Hamas verschafft Netanjahu aber nun eine Atempause", meint Gärtner. Das israelische Volk eint sich im Kampf gegen die Hamas.
"Israel wird militärisch in den nächsten Tagen gewinnen und der Konflikt wird weitergehen, solange keine politische Lösung auf dem Tisch liegt", prognostiziert Gärtner. Nach dem blutigen Hamas-Überfall zeigten viele auch mit dem Finger auf den Iran. Schließlich gilt er als weiterer Erzfeind Israels und soll angeblich die Hamas direkt unterstützt haben. Das sieht der Experte Gärtner anders. Mit seinem Buch "Die USA, der Iran und das Nuklearabkommen" hat er sich mit der Thematik ausführlich befasst.
"Die Hamas macht, was sie will, nicht was der Iran ihr diktiert", meint der Politikwissenschaftler. US-Außenminister Antony Blinken und die israelischen Geheimdienste verkündeten, dass es keine Beweise gebe, dass Iran die Hamas direkt unterstützt habe. "Wenn der Iran Israel wirklich schaden wollte, würde er einen Großangriff mit der Hisbollah planen und das hätte noch größere Ausmaße", meint Gärtner.
Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass der Iran ebenfalls ein großer Unterstützer der Terrororganisation Hamas ist. Wie hoch die Zahlungen sind, ist nicht ganz klar. Laut "Tagesschau" ist von bis zu 30 Millionen Dollar im Monat für die Hamas die Rede. Dazu kommen Know-how im Raketenbau und wohl auch Schulungen durch die Revolutionsgarden.
Dabei sah das im Syrienkrieg noch anders aus. Dort standen sich der Iran und die Hamas feindlich gegenüber. Der vorwiegend schiitische Staat Iran unterstützte den syrischen Machthaber Baschar al-Assad. Die sunnitische Terrorgruppe Hamas kündigte ihm hingegen die Freundschaft und wandte sich dem feindlichen Lager zu: den Muslimbrüdern, der Türkei und den Golfmonarchien. Damit bewiesen sie erneut einen beeindruckenden Pragmatismus – wie auch jetzt.
Auf dem Schachbrett der Weltpolitik gilt der bekannte Spruch: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.