Politik
Analyse

McCarthy-Abwahl in den USA: Der verlängerte Arm von Trump im Kongress

Former President Donald Trump speaks during a commit to caucus rally, Sunday, Oct. 1, 2023, in Ottumwa, Iowa. (AP Photo/Charlie Neibergall)
Laut USA-Experten ist Ex-Präsident Donald Trump nicht unschuldig an dem Chaos im US-Repräsentantenhaus. Bild: AP / Charlie Neibergall
Analyse

Chaos nach McCarthy-Abwahl: Der verlängerte Arm von Trump im Kongress

05.10.2023, 16:1709.10.2023, 16:26
Mehr «Politik»

Republikaner McCarthy verliert seinen Posten als Sprecher des US-Repräsentantenhauses. Erneut bricht das Chaos aus, erneut schreibt der Republikaner Geschichte. Denn: Es brauchte im Januar 15 Anläufe, damit er den Posten bekam. Nun ist er ihn wieder los – acht Stimmen wurden ihm aus der eigenen Partei zum Verhängnis.

McCarthy wurde von seinen eigenen Leuten abgewählt. Die Partei der Republikaner hält im Repräsentantenhaus eine knappe Mehrheit von neun Sitzen und kann damit den Vorsitzenden stellen oder eben stürzen. Der republikanische Hardliner Matthew "Matt" Gaetz und sieben weitere Republikaner vom rechten Rand der Partei haben gemeinsam mit den Demokraten McCarthy entmachtet.

Rep. Kevin McCarthy, R-CA, speaks to Rep. Matt Gaetz, R-FL, as voting continues for Speaker at the U.S. Capitol in Washington, DC on Friday, January 6, 2023. The House is currently on its 15th vote to ...
Hardliner Matt Gaetz (l.) führt die Rebellion gegen Kevin McCarthy im Repräsentantenhaus an. Bild: imago images / KEN CEDENO

Dabei geht es möglicherweise gar nicht um McCarthy: Bei diesem Spektakel sei der verlängerte Arm von Ex-Präsident Donald Trump im Spiel, meint Politikwissenschaftler Heinz Gärtner im Gespräch mit watson.

Neu: dein Watson-Update
Jetzt nur auf Instagram: dein watson-Update! Hier findest du unseren Broadcast-Channel, in dem wir dich mit den watson-Highlights versorgen. Und zwar nur einmal pro Tag – kein Spam und kein Blabla, versprochen! Probiert es jetzt aus. Und folgt uns natürlich gerne hier auch auf Instagram.

US-Wahlkampf zieht im Kongress ein

Gärtner ist Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) und am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien tätig. "Der Wahlkampf ist im Kongress angekommen", sagt er. Der Fall McCarthy soll zeigen, wie viel Einfluss Trump im Repräsentantenhaus hat.

Anführer der Rebellion ist der ultra-rechte Gaetz, einer der engsten Verbündeten Trumps. Immer wieder lag er sich in den Haaren mit McCarthy. Er wirft ihm vor, zu viele Kompromisse mit den Demokraten einzugehen, anstatt die Interessen seiner Partei zu vertreten.

"Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehen, Hilfe für die Ukraine und Einwanderungen – das sind Trumps Wahlkampfthemen und diese wollen auch seine Anhänger im Repräsentantenhaus dominieren", führt Gärtner aus. Dazu müssen sie den Flügel der "liberaleren" Republikaner schwächen und eine:n Sprecher:in aufstellen, der:die weniger kompromissbereit mit den Demokraten verhandelt.

"Eine Politik des 'alles oder nichts'."
USA-Experte Thomas Greven

Laut USA-Experte Dominik Tolksdorf geht es Gaetz vor allem um Aufmerksamkeit für sich selbst. "Es heißt, dass er Ambitionen auf den Gouverneurs-Posten von Florida hat", sagt er. Der Politikwissenschaftler von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik führt aus:

"Er will zeigen, dass er gegen jegliche – aus seiner Sicht 'faule' – Kompromisse mit den Demokraten ist, und möchte die Republikaner im Repräsentantenhaus dazu drängen, ihre Mehrheit dazu zu nutzen, um die Biden-Regierung und die Demokraten anzugreifen."
Rep. Matt Gaetz, R-Fla., left, one of House Speaker Kevin McCarthy's harshest critics, answers questions from members of the media after speaking on the House floor, at the Capitol in Washington, ...
Mit dem Debakel im Repräsentantenhaus rückt sich Matt Gaetz ins Scheinwerferlicht.Bild: AP / Jacquelyn Martin

Gaetz wisse aber auch, dass sein Kurs innerhalb der Republikaner nicht mehrheitsfähig ist. Tolksdorf zufolge nimmt er damit eine Schwächung des politischen Systems in Kauf, das durch die Blockade des Sprecherpostens funktionsunfähig wird.

"Eine Politik des 'alles oder nichts', wie sie Gaetz etwa vorschwebt, führt zwangsläufig zu Stillstand und Chaos", sagt USA-Experte Thomas Greven auf watson-Anfrage. Er ist Privatdozent für Politikwissenschaft am Kennedy-Institut der FU Berlin.

Laut ihm geht es wohl einem Teil des "Freedom Caucus" um die Beendigung des "business as usual" des Regierens. Die 2015 gegründete Gruppe gilt als die am weitesten rechts stehende parlamentarische Vereinigung im US-Kongress.

"Dieser Preis scheint ihnen nicht zu hoch, um Maximalforderungen durchzusetzen. Bei diesen geht es um eine Entmachtung des Staates, insbesondere der Bundesregierung", meint Greven. Haben sich die Demokraten demnach nicht ins eigene Fleisch geschnitten, indem sie der Abwahl McCarthy zustimmten?

Laut Gärtner habe wohl selbst Gaetz nicht damit gerechnet, dass die demokratischen Abgeordneten mitziehen. "Am Ende überzeugte wohl der Gedanke, mit einer Zustimmung Chaos innerhalb der Republikaner zu schüren", sagt Gärtner. Zudem könne man die Republikaner als "Blockierer" darstellen und gerade die Wechselwählenden für sich gewinnen.

03.10.2023, USA, Washington: Kevin McCarthy, Abgeordneter und ehemals Vorsitzender des US-Repräsentantenhauses, verlässt das Repräsentantenhaus, nachdem er als Sprecher abgesetzt wurde. Zum ersten Mal ...
Kevin McCarthy verlässt das Repräsentantenhaus, nachdem er als Sprecher abgesetzt wurde.Bild: AP / Mark Schiefelbein

Diese Meinung vertritt auch Tolksdorf: "Die Demokraten erhoffen sich, von dem Chaos um die Absetzung bei den Wahlen 2024 zu profitieren." Denn die Absetzung zeige, wie zerrüttet die Republikaner sind. Unter vielen Wechselwählenden könnte das Zweifel wecken, ob die Republikaner das nötige Verantwortungsbewusstsein haben, um die Regierung zu führen.

Diese Entscheidung der Demokraten, McCarthy abzuwählen, könnte laut Gärtner aber zum Boomerang für sie werden.

Demokraten spielen hier wohl ebenfalls mit dem Feuer

Wer auch immer für McCarthy im Repräsentantenhaus den Posten besetzt, wird das Leben der Demokraten wohl erschweren. Denn: Die Person wird Gärtner zufolge konservativer als ihr Vorgänger sein und nicht so leicht Kompromisse eingehen, sondern höhere Bedingungen stellen. Allerdings glaube der Experte nicht, dass der:die Nachfolger:in eine hundertprozentige Trump-Linie fährt. Womit den Republikanern ein größerer Spielraum bliebe.

Doch ein:e Nachfolger:in muss erstmal gefunden werden. Brisant: Ohne eine:n Sprecher:in können keine Gesetze verabschiedet werden. So kann auch kein Haushalt bewilligt werden, und es droht im November der "Government Shutdown".

Einen möglichen "Shutdown" der Regierung schließt Gärtner jedoch aus. Seit dreißig Jahren verfolgt er die US-Politik, und am Ende habe sich immer eine kurzfristige Lösung gefunden. "Im letzten Moment wird es daher auch einen Kompromiss-Kandidaten geben, der McCarthy ablöst", sagt Gärtner.

Doch wie sieht das für die Ukraine aus? Schließlich müssen die finanziellen Hilfen vom Repräsentantenhaus bewilligt werden.

Ukraine ist Verlierer des US-Chaos im Repräsentantenhauses

Laut Gärtner ergibt sich noch eine Mehrheit aus Demokraten und Republikanern, die für die Unterstützung der Ukraine sind. Allerdings schrumpfe diese Mehrheit offenbar. "60 bis 70 Prozent der republikanischen Wähler sind mittlerweile gegen die Genehmigung von Hilfen für die Ukraine", sagt Gärtner.

"Dennoch werde die Hilfe nicht gleich von heute auf morgen wegbrechen", entwarnt der Experte. Aber der:die neue Sprecher:in im Repräsentantenhaus werde mehr Transparenz und Kontrolle für das Budget für die Ukraine einfordern.

A soldier of Ukraine's 3rd Separate Assault Brigade gives first aid to his wounded comrade, call sign Polumya (Flame), 19, near Bakhmut, the site of fierce battles with the Russian forces in the  ...
Die USA sind die größten Unterstützer der Ukraine, die sich gegen die Invasion Russlands wehrt.Bild: AP / LIBKOS

Das Chaos bringt laut Tolksdorf viel Unsicherheit in Bezug auf die weitere Ukraine-Unterstützung der USA, und zeigt erneut, wie das Thema Ukraine die Republikaner spaltet. "Schon der Übergangshaushalt bis November beinhaltet keine weiteren Ukraine-Mittel", meint er.

Die Biden-Regierung hoffe weiter darauf, dass der Kongress nach Verabschiedung des Haushalts (im November oder Dezember) auch ein größeres Ukraine-Hilfspaket verabschiedet. "Viel hängt aber davon ab, wer der:die neue Sprecher:in des Repräsentantenhauses wird, und unter welchen Bedingungen er:sie von den republikanischen Abgeordneten gewählt wird", führt er aus.

21.05.2023, Japan, Hiroshima: Joe Biden (l), Präsident der USA, geht mit Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, vor einer Arbeitssitzung zur Situation in der Ukraine während des G7-Gipfels in Hir ...
Ohne ein funktionstüchtiges Repräsentantenhaus gibt es vorerst keine weiteren Hilfen für die Ukraine. Bild: AP Pool / Susan Walsh

Auf die Frage, wer McCarthy ersetzen wird, meint Greven: "Das ist derzeit noch Kaffeesatzleserei." Aber es werde vermutlich jemand sein, der den extremen Republikanern inhaltlich noch weiter entgegenkommt, wie etwa Steve Scalise oder Jim Jordan.

Laut Greven nimmt das Chaos aber auch Einfluss auf die Präsidentschaftswahl 2024.

"Moderate" Republikaner werden die Quittung zahlen

Greven vermutet, die Republikaner werden ihre knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren. "Leider aber werden vermutlich nicht Gaetz und andere im FreedomCaucus verlieren, vielleicht mit einigen Ausnahmen – sondern eher die 2022 knapp gewählten, eher moderaten Republikaner", führt er aus.

Allerdings sei es wahrscheinlich, dass die Republikaner den Senat gewinnen – weil 2024 viel mehr Demokraten ihre Sitze verteidigen müssen. "Damit wird die Grundbedingung für eine geteilte Regierung, die Kompromisse erfordert, weiter gegeben sein", prognostiziert er.

USA: Unternehmen kündigen Preisanstiege wegen Donald Trump an

Am Ende haben nicht Abtreibungen, der Klimawandel oder die Außenpolitik die US-Präsidentschaftswahl entschieden. Wichtigstes Thema waren die Inflation und die Preise. Für 34 Prozent der republikanischen Wähler:innen war es laut einer Umfrage von YouGov ausschlaggebend für die Wahlentscheidung.

Zur Story