Egal ob auf dem Land oder in der Stadt, mittlerweile ist es kaum möglich, die anstehende Bundestagswahl 2025 zu übersehen: An jeder Straßenecke lauern Plakate in unterschiedlichen Farben, die für diese oder jene Partei und ihre Kandidat:innen werben.
Während sich die einen über den berühmten Wahl-O-Mat eine Meinung zu den jeweiligen Parteien bilden, wollen andere aktuell vor allem eins: die in weiten Teilen rechtsextreme Partei AfD verhindern – oder zumindest deren Regierungsbeteiligung.
Organisationen wie Campact e.V. rufen aktuell daher dazu auf, in diesem Jahr "taktisch zu wählen". Aber was bedeutet das eigentlich genau? Und lässt sich mit einer Strategie tatsächlich ein hoher Stimmanteil der AfD verhindern und beispielsweise die Linke doch noch in den Bundestag hieven?
Zunächst einmal ist zu beachten, dass taktisches Wählen in zwei Formen vorkommen kann.
Einerseits kann es sein, dass du dir ein bestimmtes Regierungsbündnis wünscht. Um deine Wunschkoalition zu unterstützen, könntest du in diesem Fall die kleinere der beteiligten Parteien unterstützen.
In den 2000ern haben das viele mit der FDP gemacht, um eine schwarz-gelbe Regierung herbeizuführen. Dabei "geht es dann nicht darum, was mir am parteipolitischen Programm gefällt, sondern was ich am Ende erreichen will", erklärt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, gegenüber watson.
Beachtet man die aktuellen Umfragewerte zur Bundestagswahl 2025, kommen bei einer Ablehnung der AfD eigentlich nur drei Koalitionen infrage: eine GroKo aus CDU und SPD, Schwarz-Grün oder ein Dreierbündnis aus allen drei Parteien. Auch eine entsprechende Kombination mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht wäre nach aktuellem Stand möglich.
Theoretisch lässt sich an dieser Stelle also sagen, dass es etwa für Wähler:innen der Linken oder der FDP sinnvoll sein kann, ihre Stimme den Grünen oder der SPD zu geben, wenn sie ein Erstarken oder sogar doch eine Regierungszusammenarbeit mit der AfD verhindern wollen. Realistisch sind derartige Wählerwanderungen aber eher nicht.
Bei diesem Szenario geht es um die Zweitstimme. Ein Beispiel: Deine Lieblingspartei ist die FDP, du glaubst aber nicht daran, dass sie in diesem Jahr die 5-Prozent-Hürde meistert. Um das Erstarken der AfD zu verhindern, entscheidest du dich in diesem Jahr für die SPD (oder je nachdem, welche Interessen du konkret vertrittst, die CDU oder die Grünen).
Etwas komplexer wird es bei der Erststimme. "Praktisch gesehen spielt die Erststimme fast keine Rolle mehr. Seit der Veränderung des Bundeswahlgesetzes durch die Ampelregierung ist das nochmal eindeutiger", erklärt hierzu Münch im Gespräch mit watson.
Seit der Wahlrechtsreform im Jahr 2023 dürfen nur noch so viele Kandidat:innen in den Bundestag einziehen, wie der jeweiligen Partei gemessen am Zweitstimmenergebnis zustehen. Gewinnt sie mehr Wahlkreise, gehen die Wahlkreissieger mit den schlechtesten Ergebnissen leer aus.
Ein Beispiel dazu: Du wohnst in einem Wahlkreis, in dem seit Jahren der Direktkandidat der SPD mit etwa 20 Prozent der Stimmen gewonnen hat. Dahinter lag eine Kandidatin der CDU mit 17 Prozent, ein AfD-Politiker mit 15 Prozent, die Kandidat:innen von FDP und Grünen erhielten jeweils um die 5 Prozent.
Auch wenn du eigentlich die Grünen wählen möchtest, kann es hier sinnvoll sein, deine Erststimme der SPD zu geben, wenn du konservative Politik nicht unterstützen möchtest.
Aber Achtung: In vielen Fällen kann es durch das neue Wahlrecht sein, dass dein per Erststimme gewählter Kandidat trotzdem nicht in den Bundestag einzieht, weil er im bundesweiten Vergleich bei seiner Partei eher weniger gut abgeschnitten hat.
Einen Sonderfall gibt es aber noch aufgrund der Grundmandatsklausel. Demnach kann eine Partei auch ohne die Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate bekommt.
Mit der "Aktion Silberlocke" könnte so auch die Linke, die wenig Chancen auf bundesweit mehr als fünf Prozent hat, in den Bundestag einziehen. Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch haben nämlich in ihren jeweiligen Wahlkreisen durchaus Chancen auf ein Direktmandat.
Wenn du also in Treptow-Köpenick, Erfurt III oder in Rostock wohnst und gerne die Linken im Bundestag vertreten haben möchtest, solltest du die jeweiligen Kandidaten wählen.
In allen anderen Fällen betont Ursula Münch gegenüber watson diesen wichtigen Grundsatz: "Es kommt immer auf die Zweitstimme an".