Mit der Rechtsaußenpartei AfD reden und vielleicht sogar zusammenarbeiten – oder lieber ignorieren? Eine Antwort darauf hat wohl aktuell niemand. Vor allem die Union ist sich da wohl nicht mehr so sicher. Hat Ex-CSU-Chef Franz Josef Strauß doch einst gesagt, rechts der Union dürfe es keine demokratische politische Partei mehr geben.
Im ZDF-"Sommerinterview" sagte CDU-Chef Friedrich Merz dann vor einigen Wochen: "Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet". Er nannte seine eigene Partei kurz zuvor noch die "Alternative für Deutschland mit Substanz".
Nach dem Interview ruderte Merz zwar zurück, trotzdem stimmten nun in Thüringen die AfD und die FDP gemeinsam mit der CDU für eine Senkung der Grunderwerbssteuer von 6,5 auf 5 Prozent.
Hier muss man jedoch anmerken: Die CDU hat keinem Vorschlag der AfD zugestimmt, sondern umgekehrt. Hätte die CDU also verhindern wollen, dass die AfD für ihren Antrag stimmt, hätte sie ihn nicht einbringen können – denn ohne die AfD-Stimmen hätte es wohl keine Mehrheit gegeben.
In Wahrheit ist allerdings trotzdem von einer Brandmauer schon längst nicht mehr die Rede, analysierte Politikwissenschaftler Hajo Funke für watson. Zur Realität in Deutschland zählt längst eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene. Dazu hat auch Daniel Mullis, Konfliktforscher am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, hat eine klare Meinung.
Trotz des lauten Aufschreis hat die Thüringer CDU vor, diesen Coup zu wiederholen. Das Vorhaben, um das es diesmal geht: ein Verbot von Gendersprache in Thüringen.
Doch gibt es überhaupt eine "richtige" Strategie im Umgang mit der AfD – und wenn ja, wie sieht die aus?
Ende September kann die AfD, je nach Umfrage, mehr als 30 Prozent Zuspruch im Osten Deutschlands verzeichnen. In Thüringen und Sachsen ist die Rechtsaußenpartei besonders radikal. In genau einem Jahr sind dort und in Brandenburg Landtagswahlen. Die AfD könnte theoretisch alle drei Wahlen gewinnen.
Und nicht nur im Osten redet die AfD mit. Im Landkreis Segeberg, zwischen Hamburg und Lübeck in Schleswig-Holstein (also dort, wo die AfD mit 5 bis 7,5 Prozent Zustimmungswerten am unbeliebtesten ist) stellt die AfD seit fünf Jahren mit Julian Flak den Vorsitzenden des Bauausschusses.
"Die CDU Segeberg hat sich nicht dazu entschlossen, mit der AfD zusammenzuarbeiten, sondern die AfD ihr Recht auf Ausschussvorsitz wahrnehmen zu lassen", sagt der CDU-Kreistagsabgeordnete Torsten Kowitz. Sie hätten in den fünf Jahren gute Erfahrungen mit dem Bauausschussvorsitzenden gemacht. In diesem Jahr wurde Flak in seinem Amt bestätigt.
Ein Argument, das Mullis nicht gelten lässt. Durch eine solche Zusammenarbeit würde die AfD schrittweise normalisiert werden, sagt er im Gespräch mit watson. "Da sehe ich vor allem die CDU in der Pflicht, klare Grenzen zu ziehen. Auch wenn es zur Folge hat, dass sie sich selbst regulieren muss." Damit spielt Mullis auf Thüringen an.
Die CDU hätte ihm zufolge den Antrag nicht einbringen dürfen, um ein Mitstimmen der AfD zu verhindern. Denn das sei hier absehbar gewesen, urteilt der Experte. Die Begründung dafür, warum man es dennoch getan habe, sei nicht stichhaltig.
In Segeberg haben sich die Politiker:innen dazu entschieden, sogar mit der AfD zusammenzuarbeiten.
Politikwissenschaftlerin Paula Diehl sagte gegenüber dem NDR, man gebe der AfD eine Bühne, indem man mit ihr kooperiert. Und zwar eine, die nicht nur eine lokale, sondern auch eine bundespolitische Rolle spiele. Diehl forscht an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel unter anderem zu Populismus. Auch Diehl ist Mullis' Meinung: Bekommen Parteien wie die AfD viel Bildfläche, normalisiert man sie.
Das bedeutet: Kooperationen wie in Segeberg stärken die AfD bundesweit. Doch hätte man Flak den Vorsitz verwehrt, wäre das der Ansicht einiger nach demokratisch mindestens fragwürdig.
Was aber passiert, wenn die Rechtsaußenpartei tatsächlich so behandelt würde? Niemand mehr mit ihr redet, ihr die demokratische Partizipation auf kommunaler Ebene verwehrt wird.
Laut Diehl keine gute Idee: "Bei der Strategie der Blockade kann man vorwerfen, man isoliert mit Methoden, die eigentlich nicht angewendet werden sollten. Das ist jetzt natürlich ein Dilemma. Es gibt Pro und Contra, und keine der beiden Lösung ist eine sehr gute."
Welche Möglichkeiten gibt es also noch? Das Asylsystem ist ein zentrales Thema der AfD. 2015 sagte AfD-Ehrenvorsitzender Alexander Gauland bereits: "Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in erster Linie der Flüchtlingskrise. Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen." Und auch heute, acht Jahre später, verdankt die AfD diesem Thema immer noch hohe Zustimmungswerte.
Aus Sicht von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) könnte ein gemeinsames Asylsystem der EU – wie es nun geplant ist – Rechtspopulist:innen den Wind aus den Segeln nehmen. Das erklärte sie im Interview mit dem "RND". Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kommt in seiner Problemanalyse zu einem anderen Schluss.
Kürzlich warnte er vor einer Überlastung des deutschen Asylsystems und hat unter anderem vorgeschlagen, das Grundrecht auf Asyl einzuschränken. Der Vorwurf der AfD: Die CDU würde sie kopieren, um bei den Landtagswahlen 2024 zu punkten.
Könnte die CDU der AfD dadurch Stimmen streitig machen? Ja, meint Politikwissenschaftler Hajo Funke auf watson-Anfrage. Doch das löst das Problem nicht, im Gegenteil: "Die rechtspopulistischen Töne des in der Partei kaum anerkannten Friedrich Merz zeigen die rechtspopulistische Verengung der gegenwärtigen CDU-Spitze." Er sieht sogar noch einen größeren Aufschwung der AfD in den kommenden Jahren. Und der sei mit der rechten Strategie der CDU nicht aufzuhalten, urteilt Funke.
Kurzfristig sieht Konfliktforscher Mullis die Notwendigkeit, die AfD auch auf kommunaler Ebene weiter zu isolieren. Das bedeute keine Blockade – aber dem Problem, das die Rechtsaußenpartei stelle, werde man nicht Herr, in dem man sie einbindet. Es werde Zeit brauchen, den demokratischen Konsens wieder herzustellen. Jede Normalisierung macht den Weg zurück allerdings länger, meint er.
Gleichzeitig dürfe nicht ignoriert werden, dass die AfD im kommenden Jahr in drei Landtagen stärkste Kraft werden könnte. Macht die CDU mit ihrer Politik gegen Grün ernst, wird dies fast zwangsläufig in irgendeine Art der Zusammenarbeit mit der AfD führen, da "es jenseits einer Kooperation von Schwarz-Blau keine Regierungsoption" geben wird, warnt Mullis.
Denn geht der Trend weiter so – vor allem das Agieren der CDU in diesen Fragen –, droht in naher Zukunft vermutlich ein weiteres Ansteigen der Gewalt gegen POC (People of Color), queere Menschen und Migrant:innen, prognostiziert Mullis. "Die Forschung zeigt, dass Deutschland aktuell noch wenig polarisiert ist, aber in Zukunft drohen die aktuellen Debatten dies zu ändern."
Über kurz oder lang würden dann auch drängende gesellschaftliche Aufgaben blockiert, statt gelöst zu werden, meint Mullis. Langfristig bedeute dies wohl auch, "dass Menschenrechte ausgehöhlt werden."
Vor allem aber müsste die Bundesregierung ehrlicher arbeiten, die sozialen und ökologischen Herausforderungen wirklich anpacken, betont Mullis. "In keiner dieser Fragen gibt es eine kurzfristige Antwort." Die Wahrheit sei: all das dauert lange. Das müsste auch klar kommuniziert werden.