26 Prozent der Ostdeutschen würden die AfD wählen.
Das ist das Ergebnis einer Sonderauswertung des wöchentlichen Sonntagstrends von "Bild am Sonntag" und des Meinungstrends der "Bild". Mit diesem Ergebnis wäre die Rechtsaußen-Partei in den ostdeutschen Bundesländern die stärkste Kraft – mit drei Prozentpunkten Abstand zur CDU.
Das Ergebnis ist beunruhigend. In Sachsen, Brandenburg und Thüringen wird im kommenden Jahr ein neuer Landtag gewählt. Die Regierungsbildung dürfte in Thüringen und Sachsen nach Stand der jetzigen Umfragen zumindest interessant werden. Denn dort ist die AfD so stark, dass es schwer möglich erscheint, an ihr vorbeizuregieren.
Die Zahlen, meint Johannes Hillje, zeigten, dass sich die AfD sukzessive normalisiere. Hillje ist Politikberater und Autor, sein Steckenpferd: die Kommunikation der AfD. Er erklärt auf watson-Anfrage: "Wir erleben einen gefährlichen Gewöhnungseffekt: Je radikaler die Partei wird, desto mehr Menschen halten sie für eine normale demokratische Partei."
Für den Osten gelte das umso mehr, weil dort das Vertrauen in die demokratischen Institutionen, aber auch in Behörden wie den Verfassungsschutz, deutlich geringer sei, als im Westen. "Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz schadet der AfD im Osten nicht", stellt er fest. Hinzu komme, dass die AfD ein emotionales Alleinstellungsmerkmal habe: "Keine Partei bewirtschaftet Angst und Identität so stark wie die AfD."
Das zeigen auch die Umfragewerte. In Sachsen stellt sich die Problematik gerade folgendermaßen dar:
Für eine stabile Mehrheit in Sachsen bräuchte die CDU also alle anderen demokratischen Parteien an ihrer Seite – währenddessen stänkert CDU-Sachsen-Chef und Ministerpräsident Michael Kretschmer nahezu ohne Unterlass gegen die Grünen – mit ihnen regiert er allerdings in einer Koalition.
In einem Interview mit der "Bild" hat Kretschmer jüngst mit der Öko-Partei abgerechnet. "Die Politik der Grünen ist ökologischer Irrsinn", erklärte er dort. Die Partei habe das Grundvertrauen der ostdeutschen Bevölkerung verspielt.
Harte Worte, die an einer vertrauensvollen Koalitionsarbeit zweifeln lassen. Und das, obwohl eine stabile Regierung ohne die Grünen nahezu unmöglich wäre. Auch Kretschmers harte Positionierung in Sachen Migrationspolitik fällt immer wieder als besonders konservativ auf.
"Das Umfragehoch der AfD erfordert demokratische Standhaftigkeit bei den anderen Parteien", sagt Hillje zum Umgang mit diesen Ergebnissen. Und stellt klar:
Jedes Signal, jede Sondierung in diese Richtung normalisiere den Gedanken daran, dass eine radikal rechte Kraft auf irgendeine Weise an der Macht in diesem Land beteiligt werden könnte, meint der Experte. Vielmehr müsse es den anderen Parteien darum gehen, die AfD zu isolieren. Integration wäre der völlig falsche Ansatz. Hillje macht deutlich:
Im Wahlkampf sollten die anderen Parteien bessere Angebote in der politischen Mitte machen, meint Hillje. Das sei die bessere Herangehensweise, als sich einen Überbietungswettbewerb am rechten Rand zu liefern. "Insbesondere beim Thema Migration sollten die anderen Parteien nicht in die rechtspopulistische Falle treten und die Rhetorik der AfD übernehmen", sagt er.
Sachsen ist in Sachen schwierige Regierungsbildung möglicherweise nicht allein. Auch in Thüringen zeichnet sich in aktuellen Umfragen ein Bild, das zumindest Fragen aufwirft:
Aktuell wird das Land von rot-rot-grün in einer Minderheitsregierung geführt. Das heißt: Die Regierung Bodo Ramelows ist CDU gestützt. Und wie in Sachsen bröckelt auch hier der Zusammenhalt der demokratischen Parteien. André Neumann (CDU), Oberbürgermeister des thüringischen Altenburgs, macht seinem Zorn über die Umfrageergebnisse auf Twitter Luft. Er schreibt: "Alle dissen sich nur! Von der AfD wird nichts anderes erwartet. Von den Demokraten schon."
Von einem "alle zusammen gegen die AfD" ist in den ostdeutschen Bundesländern nicht viel zu sehen. Vielmehr, so macht es den Anschein, entfernen sich die demokratischen Parteien voneinander. So wie es in Sachsen mit Grünen und CDU gerade geschieht.
Als Grund nennt Parteienforscher Benjamin Höhne im Gespräch mit der "Tagesschau", dass sich in den ostdeutschen Ländern die Wähler:innen-Millieus von schwarz und grün nicht überlappen. Im Westen sei das in weiten Teilen anders – deshalb funktionieren dort schwarz-grüne Koalitionen auch besser.
Am Ende werden sich die demokratischen Parteien in den ostdeutschen Bundesländern am Riemen reißen müssen – und möglicherweise Koalitionen eingehen, die ihnen nicht gefallen. Oder Minderheitenregierungen stützen, die nicht ihrer eigenen Programmatik entsprechen. Eine Partei aber dürfte sich bei den aktuellen Umfragen gewaltig ins Fäustchen lachen: die AfD.
Die rechtsaußen Partei will mitregieren. Direkt zu Beginn des Jahres kündigte Partei-Chefin Alice Weidel an: 2024 wird das Jahr der AfD.
Wenig verwunderlich, findet Hillje. Auch die aktuellen Umfrageergebnisse dürften der Partei ins Narrativ passen. Aber: "Selbstverständlich ist diese Aussage primär ein strategischer Zug, der die CDU unter Druck setzen und die eigene Basis mobilisieren soll." Die AfD sei nicht koalitionsfähig. Hillje präzisiert:
Trotzdem, räumt Hillje ein, setze die AfD ihre Regierungsabsicht gerade wegen dieser aussichtslosen Lage als zentrale Botschaft bei jeder Gelegenheit ab. Denn: Die Wähler:innen wollen am Ende mitentscheiden, wer regiert.
Die Aussicht auf weitere Jahre in der Fundamentalopposition würde im Wahlkampfendspurt wohl eher wie eine "Mobilisierungsbremse" wirken. "Auch wenn es realitätsfern ist, kann die AfD also gar nicht anders, als zu behaupten, dass sie regieren wolle", schlussfolgert der Experte.
Für die Bundesländer bedeutet das vor allem: Jahre der schwierigen Regierungen – denn auch wenn das Ergebnis einer Wahl nicht exakt die Umfrageergebnisse wiedergibt, zeigen diese zumindest einen Trend.
Für die dort vertretenen demokratischen Parteien: Kompromisse finden und gemeinsam gegen die AfD arbeiten. Dass eine Partei kippen und mit Rechtsaußen koalieren könnte, sieht auch Parteienforscher Benjamin Höhne nicht.
Dafür, erklärt er der "Tagesschau", stünden die Ost-Verbände der AfD zu sehr unter der Fuchtel des rechtsextremen Flügels. Auch die CDU scheue sich davor, mit einer offen rechten Partei zu koalieren. Ändern könnte sich das erst, wenn sich die AfD klar von rechtsextremen Positionen abgrenzen würde, schätzt der Experte. Solange es für die Partei aber keine Tabus gebe, stelle sie sich selbst ins Abseits. Denn bislang gebe es keine prominenten Stimmen, die wirklich offen Vorschläge in Richtung AfD machten.