Die USA sind die älteste Demokratie der Welt, damit besitzt das Land auch eine sehr alte Verfassung. 1787 wurde sie ins Leben gerufen und ist für viele US-Amerikaner:innen bis heute das Beste, was das Land hervorgebracht hat.
Für viele Menschen in den USA ist die Verfassung heilig, das Vertrauen in die Weisheit und Weitsicht ihrer Väter groß. Tatsächlich handelt es sich bei der US-Konstitution um einen entscheidenden Meilenstein der Demokratiegeschichte.
Es waren Zeiten des Umbruchs nach dem Unabhängigkeitskrieg, als sich eine Gruppe von Männern 1787 in Philadelphia zusammenfand, um herauszufinden, wohin sich das Land bewegen soll.
Mehr als 200 Jahre lang hat die damals erste neuzeitlich-demokratische Verfassung die USA geprägt. Laut "Bundeszentrale für politische Bildung" wurde sie bisher durch 27 Verfassungszusätze (Amendments) ergänzt. Bisher erwies sie sich als stabil, doch mit dem erneuten Auftreten von Donald Trump auf dem politischen Parkett entstehen bei einigen Expert:innen Sorgen.
Trump stellt demokratische Prozesse infrage und hält etwa an der haltlosen These einer "gestohlenen Wahl" fest. Dabei bezeichnet er die Demokraten als "Feinde im Inneren" und "linksradikale Irre". Er erwägt, die Nationalgarde gegen sie einzusetzen.
Der Vorwurf gegen Trump lautet: Er versucht die US-Demokratie auszuhöhlen, etwa mithilfe des Obersten Gerichtshofes. Während seiner ersten Amtszeit konnte Trump drei neue Richter:innen am Supreme Court ernennen – rekordverdächtig viele. Auf diesem Weg gewann er Einfluss.
Im Sommer entschied der Oberste Gerichtshof zu Gunsten Trumps, dass US-Präsidenten "absolute Immunität" bei offiziellen Amtshandlungen besitzen. Der 78-Jährige sprach von einem "großen Sieg für die Verfassung und die Demokratie". Andere reagierten alarmiert.
Mit diesem Gerichtsentscheid im Rücken signalisiere Trump seine Entschlossenheit, nach Gutsherrenart zu regieren, warnt Jonathan Stevenson, Experte vom Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS). Laut ihm besteht das Risiko, dass die USA in eine Staatsform abgleiten, die man gemeinhin als Diktatur bezeichnet. Schon jetzt zeige die US-Demokratie zunehmend illiberale Züge.
Kritiker:innen warnen, Trump könnte als US-Präsident die US-Verfassung attackieren. Im "Project 2025" ist etwa die Rede von der Abschaffung des Verwaltungsapparats.
Mit der Rückkehr Trumps ins Weiße Haus stellt sich die Frage: Wie robust ist die US-Verfassung für die modernen Herausforderungen?
"Meiner Meinung nach sprechen mehrere Dinge dafür, dass sie stark bleibt", sagt Politikwissenschaftler Jack Barlow auf watson-Anfrage. Er lehrt und forscht am Juniata College in Pennsylvania.
Ihm zufolge hat sich die Verfassung als langlebig erwiesen, aber sie verändere sich auch von Zeit zu Zeit in kleinen Schritten. Auf die Frage, wie immun sie gegenüber der kommenden Trump-Regierung sei, äußert er sich zuversichtlich.
Barlow zufolge werden die Gewaltenteilung, die Kontrolle durch den Kongress und die Justiz weiter vorhanden sein. "Die militärische Kommandostruktur hat sich als verfassungstreu erwiesen, und der Grundsatz der zivilen Kontrolle steht im Einklang mit der Verfassung", meint er.
Der Senior Fellow vom IISS, Stevenson, äußert sich skeptischer. Auf juristischer, politischer und gesetzgeberischer Ebene gebe es für Trump nur wenige Hindernisse.
Schon jetzt ließe sich erkennen, was der Republikaner mit dem Sicherheitsapparat der US-Regierung vorhat: "Trump plant, die professionelle, parteiunabhängige Beamtenschaft abzuschaffen und stattdessen den Staatsapparat mit loyalen Unterstützern zu besetzen."
Auch wolle Trump die Sicherheitsüberprüfungen für politische Bewerber:innen mithilfe privater Sicherheitsfirmen beschleunigen. Sprich, die traditionellen gründlichen Hintergrundüberprüfungen durch das FBI würden wegfallen. Darin sieht Stevenson kein gutes Zeichen:
Dazu könnten Trump und die Republikaner nicht nur im Senat, sondern offenbar auch im Repräsentantenhaus eine Mehrheit haben. Dieser Vorteil im Kongress gibt Trump beim Regieren deutlich mehr Spielraum.
Dennoch bleibt Politikwissenschaftler Barlow optimistisch. Laut ihm stellt die "föderale Struktur" der USA ein Hindernis für eine schnelle "Machtkonzentration" im Zentrum dar. Sprich: Die Möglichkeiten eines Präsidenten, im Alleingang zu handeln, sind begrenzt.
Das Parteiensystem würde sich dem Experten zufolge jeder Maßnahme eines Präsidenten widersetzen, die seine Macht oder Wiederwahl betrifft.
"Die Verfassung ist so konzipiert, dass sie gegen Veränderungen resistent ist", führt Barlow aus. Daher besitze sie genügend "Abwehrmechanismen", um immun gegen "Angriffe" zu sein.
Denn: Die US-Verfassung hat sich ihm zufolge als anpassungsfähig erwiesen. Er sagt dazu:
Zudem hänge die US-Verfassung von einer breiten Zustimmung in der Öffentlichkeit ab. Dies sorgt dafür, dass ihre Verfahren gerecht bleiben, betont der Experte.
"Wenn die Menschen der Meinung wären, dass die Verfassung zu ungerechten Ergebnissen führt, würden sie sich schnell von ihr abwenden", meint der Politikwissenschaftler. Seiner Meinung nach ist die Zustimmung für Trump nicht automatisch auch eine Zustimmung für eine autoritäre Regierung.
"Es mag sein, dass Trump oder die Leute um ihn herum denken, dass ein libertärer Ansatz für die Regierung mit Autoritarismus vereinbar ist, aber ich bin nicht sicher, dass die Menschen das so sehen", führt er aus.
Laut ihm mochten die meisten Menschen sowohl Trump als auch Harris nicht. Die Inflation habe eine große Rolle gespielt. Die Schuld dafür sahen viele US-Amerikaner:innen in der Biden-Harris-Regierung, meint Barlow. Auch wenn sich die Wirtschaft, die vor allem unter der Corona-Pandemie litt, unter der Biden-Regierung schnell erholte.
"Ich denke, wenn Trump die verfassungsmäßigen Strukturen ernsthaft bedrohen würde, würden sich die Menschen gegen ihn zusammenschließen", führt er aus.
Eine Änderungen in der US-Verfassung würde der Politikwissenschaftler dennoch vornehmen: "Der Präsident sollte durch das Volk und nicht durch das Wahlkollegium gewählt werden".
Solange der Senat zugunsten der kleineren Staaten aufgeteilt ist, sei das Wahlkollegium wahrscheinlich auch nicht notwendig, meint er. "Natürlich hätte dies Harris dieses Mal nicht geholfen, aber es würde die Art des Wahlkampfs für die Präsidentschaft verändern."