Für einen Tag Diktatur spielen – für Ex-Präsident Donald Trump kein Problem. Er droht offen, politische Gegner in der Regierung und Presse "zu verfolgen". US-Experten:innen und ehemalige Trump-Verbündete warnen: Trump sei eine Gefahr für die Demokratie.
Dabei nahm den Immobilienmogul 2015 kaum einer ernst, als er seine Ambition verkündete, Präsident zu werden. Dann gewann er die republikanischen Vorwahlen und schließlich die Präsidentschaftswahl gegen die Demokratin Hillary Clinton – nun ist er aus der politischen Landschaft der USA nicht mehr wegzudenken.
Trump hat einen regelrechten Kult ins Leben gerufen: die Maga-Bewegung. "Make America Great Again", sein weltbekannter Wahlspruch, den man oftmals auf der beliebten roten Kappe sieht. Der mehrfach angeklagte Milliardär hat heute die Republikanische Partei so gut wie im Griff und geht höchstwahrscheinlich erneut ins Rennen für die Präsidentschaftswahl 2024.
Seine Stärke: Trump weiß die Massen für sich zu mobilisieren. Die christlichen Nationalist:innen ganz besonders.
Ohne die Unterstützung der christlich-nationalistischen Bewegung hätte Trump die Präsidentschaftswahl 2016 nicht gewonnen, meint die US-Autorin Katherine Stewart auf watson-Anfrage. Denn: Die Gruppe fungiere wie eine mächtige "Wählerbeteiligungsmaschine".
In ihrem Buch "The Power Worshippers: Inside the Dangerous Rise of Religious Nationalism" setzt sie sich intensiv mit der Gefahr des religiösen Nationalismus auseinander. Das Werk wurde mittlerweile als Dokumentarfilm "God and Country" verfilmt. "Diese reaktionären und antidemokratischen Kräfte gibt es in den USA schon seit langem, vor allem auf der Seite der Republikaner", führt sie aus.
Die Republikanische Partei sah laut Stewart die christlich-fundamentalistische Rechte als verlässliche Wählergruppe und glaubte, sie für ihre wirtschaftliche Agenda nutzen zu können. "Was sich leider geändert hat, ist, dass die Gatekeeping-Institutionen in der Republikanischen Partei auseinander gefallen sind", sagt sie. Sprich, die Partei ist von einer extremistischen christlich-nationalistischen Bewegung übernommen worden.
Laut Stewart gewann Trump Führer:innen der Bewegung für sich mit wichtigen Versprechen, die er dann als Präsident auch einlöste, etwa:
"Die Bewegung gab es schon lange vor Trump, aber er hat ihr Auftrieb verliehen – Macht, politischen Zugang, eine Politik, die sie wollen, und Zugang zu öffentlichen Geldern", führt die US-Autorin aus. Dafür dienen sie als erfolgreiches Sprungbrett für Trump. "Obwohl sie eine Minderheit in den USA sind, haben sie eine unverhältnismäßig große politische Macht", sagt Stewart. Grund: Christliche Nationalist:innen gehen in unverhältnismäßig großer Zahl wählen.
Im Gespräch mit watson geht US-Soziologe Philip Gorski von der Universität Yale noch einen Schritt weiter: "Heute gewinnt kein Republikaner mehr eine Wahl ohne die Unterstützung der christlichen Nationalisten." Dabei steht ihm zufolge die Frage im Raum: Warum halten sie weiter an Trump fest? An einem Mann, der nicht wirklich für sein frommes, christliches Leben bekannt sei.
Trump, ein verurteilter Sexualstraftäter, der sich brüstet, Frauen einfach zwischen die Beine zu grapschen; der drei Ehen aufweist und von Sex mit seiner Tochter Ivanka schwärmt – er soll der Gesandte Gottes sein?
Laut Gorski punktet der 77-Jährige vor allem durch seine Kommunikation. Er habe die Sprache der christlichen Nationalist:innen verstanden. Worauf sie am meisten anspringen: Angst. "Oft warnt Trump vor jener Katastrophe, jenes Desaster, dass man das Land verlieren werde und so weiter." Und dann springe er als "großer Beschützer" ein, der für ihre Rechte einsteht, führt der US-Soziologe aus.
Denn: Diese Gruppe sehne sich nach einem starken Führer, einem König. Die USA durchleben dem Yale-Professor zufolge einen großen demografischen Wandel: Junge Menschen wenden sich von der Religion ab, die Rechte für Transgender* Personen und gleichberechtigte Ehen treten in den Fokus, was diese Bewegung als Angriff gegen sich selbst verstehe. Nach der Devise: "Wir verlieren unser Land, wir sind nicht mehr die dominierende Gruppe oder Kultur in den USA."
Es sei eine Angst vor der Veränderung, die sie in Trumps Arme treibt, sagt Gorski. US-Autorin Stewart zweifelt, dass wirklich irgendjemand glaubt, dass Trump ein überzeugter Bibelgläubiger sei. Allerdings wisse der Republikaner, wie Religion manipuliert werden kann, um die Bevölkerung zu kontrollieren und die autoritäre Macht zu festigen.
Denn: Religion und Macht gehen oft Hand in Hand. "Wenn Möchtegern-Autokraten auf der ganzen Welt eine autoritärere Form der politischen Macht festigen wollen, ist religiöser Nationalismus eines der Mittel, die sie häufig einsetzen", sagt Stewart.
Diese Führer:innen binden sich ihr zufolge eng an ultrakonservative religiöse Persönlichkeiten, um sich gegen Kritik abzuschirmen und sich vor einer Untersuchung ihrer Korruption, Vetternwirtschaft und Missbräuchen gegenüber der eigenen Bevölkerung zu schützen.
Sie betont dabei: Christliche Nationalismus sei keine einzelne Religion. "Er ist nicht das Christentum, sondern eine politische Ideologie." Im Grunde die Vorstellung, dass die USA als angeblich christliche Nation gegründet wurden und die Gesetze auf einer reaktionären Auslegung der Bibel beruhen sollten.
Laut Gorski haben sie eine populistische Sichtweise auf die Demokratie: "Es gibt die wahren, ehrlichen Leute in der Regierung, die von korrupten Politikern bedroht und betrogen werden und vor diesen beschützt sie ein starker Anführer."
Stewart führt dazu aus:
Demnach warnt die US-Amerikanerin: "Die Bewegung steht vielen geschätzten demokratischen Idealen und Institutionen feindselig gegenüber." Als Beispiele führt sie auf:
Deshalb vergleichen sie Trump oft mit einem biblischen König, den Gott auserwählt hat, um seinen Willen durchzusetzen, sagt Stewart. "Doch 'Könige' regieren keine Demokratien. Sie müssen sich nicht an Regeln halten; sie sind das Gesetz bis zu sich selbst und repräsentieren eine eher autoritäre, autokratische Ordnung." Auf diese Weise spiegle Trump die autoritären Impulse seiner Anhänger:innen wider.
Gorski zufolge sind christliche Nationalist:innen bereits fest in der Regierung verankert und sitzen auf wichtigen Posten, wie etwa Mike Johnson als Vorsitzender im US-Repräsentantenhaus. "Mit einem Trump-Sieg wird das noch größere Ausmaße annehmen. Ihr Ziel ist die Errichtung einer christlichen Nation, basierend auf den Gesetzen der Bibel", sagt der US-Soziologe.
Oder um es mit Trumps Worten zu sagen: "In Amerika beten wir nicht die Regierung an, sondern Gott."