Dass sich die AfD Tiktok unter den Nagel gerissen hat, dürfte für die meisten Menschen keine Neuigkeit mehr sein. Seit einigen Jahren bespielen die Rechten Social Media und überschwemmen die Plattformen mit ihren Inhalten. Meist handelt es sich dabei entweder um Ausschnitte aus Bundestagsreden oder – wie im Populismus üblich – Videos mit sehr einfachen Antworten auf komplexe Fragen.
Und die demokatischen Parteien? Die merken langsam, dass sie gegen den Erfolg der AfD gerade auf Tiktok kaum ankommen. Zu spät, erklärt die politische Kommunikationsberaterin Anna Moors in einem Gastbeitrag, den sie bei watson veröffentlicht hat. Der Erfolg der AfD auf der Plattform, hängt laut Moors nicht nur mit dem populistischen Ton und rechten Influencer:innen zusammen, erklärt Moors darin. Sondern:
Maximilian Oehl möchte mit seiner neuen Social-Media-Agentur dabei helfen, dass sich dieser Tiktok-Fehler nicht wiederholt. Dass pro-demokratische Kräfte sich die Plattformen zurückholen. Seine Agentur "Media Force" versteht sich als Dienstleister für die demokratische Zivilgesellschaft, erklärt Oehl im Gespräch mit watson.
"Wir wollen Demokratie viral gehen lassen", macht Oehl deutlich. Er und sein Team hätten eine Lücke aufseiten demokratischer Kräfte gesehen und gedacht: Wir müssen was tun. Denn viele zivilgesellschaftliche Projekte und NGOs würden zwar total tolle Sachen machen – es fehle aber an der breiten Bekanntheit. Sprich: Online erreichen sie mit dem Engagement zu wenige Menschen.
Die Demokratieproteste zu Beginn dieses Jahres hätten gezeigt, dass Extremist:innen eben nicht die Mehrheit in der Gesellschaft darstellen, meint Oehl. Auf Social Media sehe das aber anders aus. "Es ist gut, wenn Menschen auf die Straße gehen. Wir müssen diesen Protest aber auch in die sozialen Medien verlängern", sagt er.
15 Menschen arbeiten aktuell bei "Media Force". Seit Beginn des Jahres baut Oehl die Agentur auf, gelauncht wird Ende April. Er kann sich vorstellen, dass das Team weiterwachsen könnte – nun bleibe aber erst einmal abzuwarten, ob das neue Angebot überhaupt angenommen wird.
Die Idee: Kleinen NGOs und zivilgesellschaftlichen Projekten Social-Media-Expertise an die Hand geben. "Es geht uns um eine Diskursverschiebung zurück in die pro-demokratische Mitte", erklärt Oehl.
Dafür will die Agentur Strategien entwickeln, um der Übermacht an "extremistischen Narrativen" entgegenzutreten. Dabei sollen etwa Auftragsarbeiten für interessierte Organisationen angefertigt werden – und zwar nicht, wie in der Branche üblich, zu horrenden Preisen, sondern bezahlbar.
Es gibt in Deutschland sehr viele kleine NGOs, die tolle Arbeit machen, meint Oehl. Nun gehe es darum, auch auf Social-Media zu zeigen, wie vielfältig die Zivilgesellschaft sei. Finanziert wird die neue Agentur von dem Philanthropen Kai Viehof. Seine Motivation erklärt er auf watson-Anfrage so:
Er wolle jeden aufrufen, der finanziell vermögend ist, derartige Projekte mitzufinanzieren. "Unsere Demokratie wird gerade auch in den Sozialen Medien verteidigt", stellt er klar. "Media Force" ist nicht das einzige Projekt, das Viehof mitfinanziert. Er ist etwa Geldgeber bei "Project Together" eine Plattform, die Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft ins gemeinsame Handeln bringen will.
Den Initiator:innen von "Media Force" ist bewusst, dass es auch innerhalb der Zivilgesellschaft Ressentiments untereinander bestehen, Berührungsängste herrschen. Bedenken, dass der Agentur Vorwürfe wegen der Zusammenarbeit mit dieser oder jener Organisation gemacht werden könnten, hat Oehl nicht. "Es geht jetzt darum, gemeinsam die Demokratie zu verteidigen", stellt er klar. Da dürfte sich pro-demokratische Kräfte nicht gegenseitig zerfleischen. Auch dafür möchte sich die Agentur einsetzen.
Oehl führt aus:
Besonders auffällig sei solch ein Klein-Klein, wenn es um das Zusammenbringen der links-progressiven Zivilgesellschaft mit bürgerlichen Kräften gehe. "In der Demokratie gibt es viele inhaltliche Unterschiede, mit denen man sich auseinandersetzen kann", sagt Oehl dazu.
Die Extremist:innen hätten aber auf der anderen Seite das Ziel, die Demokratie als solche abzuschaffen. "Es muss deutlich werden, dass Extremisten und Demokraten immer mehr trennt, als Demokraten untereinander", fordert Oehl.
Kommt diese Agentur zu spät, um Tiktok und Social Media zurückzuerobern? Oehl ist davon überzeugt, dass sich der Diskurs auch dort wieder verschieben kann. Das sei keine Arbeit, die innerhalb weniger Monate erledigt sein würde, er rechne vielmehr mit ein bis fünf Jahren. Das Kommunikationspotenzial einer lauten, diversen Zivilgesellschaft sei aber auf jeden Fall da.
Die wehrhafte Demokratie brauche es nicht nur auf der Straße, in der Schule und in Vereinen, meint er. "Wenn wir über wehrhafte Demokratie sprechen, dann auch über eine digitale, wehrhafte Demokratie", fordert er.