Von der bayerischen Kleinstadt Freilassing bis an die österreichische Grenze sind es laut Google Maps fünf Minuten Autofahrt. Bis nach Salzburg 15 weitere.
Ludwig Unterreiner, Bäckermeister aus Freilassing, braucht für die Strecke oft mehr als eine Stunde. Und das kostet ihn nach eigenen Angaben im Jahr zwischen 8.000 und 10.000 Euro.
Theoretisch ist es Ausland. Praktisch ist Salzburg für Freilassinger die nächstgrößte Stadt zum Einkaufen.
Die beiden Länder, Deutschland und Österreich, trennt an dieser Stelle nur ein ruhiger Fluss. Eigentlich.
Ab Sommer 2015 überqueren täglich hunderte Flüchtlinge die Saalach, um in Deutschland Asyl zu beantragen – an manchen Tagen sind es laut Bundespolizei mehr als 2000 Menschen. In Freilassing herrscht Ausnahmezustand, die Stadt ist deutschlandweit in den Nachrichten.
Nach zwanzig Jahren Schengen-Abkommen und offener Grenze nach Österreich entscheidet die Bundesregierung dann, wieder Kontrollen einzuführen: Auf der nahe gelegenen Autobahn A8 und direkt in Freilassing, ebenso auf der A3 bei Passau und der A93 beim Inntal.
Beim Freilassinger Einzelhandel, der Gastronomie und der Touristik sorgt die Entscheidung schnell für finanzielle Einbrüche. Immer weniger Salzburger kommen in die Nachbarstadt, um dort ein Wochenende Urlaub zu machen und einzukaufen.
Ludwig Unterreiner hat Probleme, sie zu verlassen. Der Bäckermeister besitzt sieben Filialen, seit Kurzem auch zwei Burger-Restaurants. Eins davon in Salzburg, nahe der Universität. Bio-Rind, Bio-Pommes, regionaler Salat – ideal für Studenten, denkt er.
Die Kontrolle am Grenzfluss ist 2018 zwar wieder abgebaut, die Bundespolizei kontrolliert aber noch sporadisch. Auf der A8 bleiben die Kontrollposten bestehen.
Ludwig Unterreiner steht im Stau. Seine Lieferzeiten verzögern sich oft um mehr als eine Stunde.
Für den Bäckereimeister und seine rund 100 Mitarbeiter sei der finanzielle Schaden zwar nicht existenzgefährdend, aber mindestens sehr ärgerlich.
Es gibt rund 80 Grenzübergänge zwischen Deutschland und Österreich – aber nur drei werden systematisch kontrolliert. Unterreiner versteht das nicht.
Er könne nachvollziehen, dass manche seiner Mitbürger mit der politischen Situation unzufrieden seien. Sogar, dass einige aus Protest AfD wählten. Es herrsche das Gefühl, Politiker seien nicht mehr bürgernah, als lebten sie in ihrer eigenen Welt, beschreibt Unterreiner die Stimmung in der Gemeinde. Als drehe sich alles um Wählerstimmen, statt um praktischen Sorgen.
Und es herrsche Ohnmacht.
"Wir können gegen die Grenzkontrollen ja nichts machen. Wir müssen unsere Ware liefern. Diese Maßnahmen von oben müssen wir einfach schlucken."
Unterreiners Hoffnung: Nach der bayerischen Landtagswahl im Herbst könnte sich die Stimmung wieder entspannen.
Josef Flatscher ist seit 1999 Bürgermeister von Freilassing und CSU-Parteimitglied. Seine Amtszeit war turbulent. Trotzdem widerspricht er Unterreiners Kritik an den Kontrollen auf der A8.
Seehofers Politik der letzten Wochen interpretiert er als Versuch, zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren. Das sei schon nachvollziehbar. Auch wenn die Zahl an Geflüchteten in Freilassing, wie an den restlichen Grenzübergängen, abgenommen habe. Die Bürger fühlten sich mit der Präsenz der Bundespolizei jedenfalls sicherer.
Die Lebensqualität habe seit dem Schengen-Abkommen "grenzenlos zugenommen", sagt Josef Flatscher. Sich frei bewegen zu können, gehöre zur Identität der Stadt, betont er.
Als 2015 die Wiederaufnahme der Grenzkontrollen angekündigt wurden, sei die Gemeinde in eine Art Schockstarre gefallen. "Wir dachten, 'Mensch, all die Errungenschaften der offenen Grenzen, die sind jetzt weg'." Mittlerweile seien sie zur Normalität geworden.
Während die Union in den vergangenen Tagen ihr neues Asylpaket schnürte, hat sich die Kleinstadt Freilassing auf ihr jährliches "Nationenfest" vorbereitet.
Denn Menschen aufzunehmen, gehöre auch zu ihrer Identität, betont Bürgermeister Flatscher.
Nach dem zweiten Weltkrieg nahm die Kleinstadt Sudentendeutsche und Schlesier auf. "Viele große Unternehmen in der Gegend tragen die Namen dieser Zuwanderer", sagt Flatscher. Mit dem Ende der Sowjetunion kamen weitere Rückwanderer hinzu.
Heute sind unter den 17.000 Einwohnern der Kleinstadt 83 Nationen vertreten.