Dieser CSU-Bürgermeister hat genug von Grenzkontrollen, die sein Idyll zerstören
06.07.2018, 11:3607.07.2018, 09:16
Franziska Hoppen
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Neuburg am Inn, bayerisches Idyll. 4400 Einwohner, Volkstanzgruppe, Blaskapelle. Umrahmt von Wäldern und Badeseen. Die tausendjährige Schlossanlage zieht Touristen in die Grenzregion nahe Österreich. "Eine Gemeinde zum Erholen", steht auf der Website.
Wäre da nicht eine Grenzkontrolle, die 2015 an der A3 bei Passau errichtet wurde. Viele Lastwagen umfahren diese, um langen Wartezeiten zu entgehen – und wälzen mitten durch Neuburg am Inn. Mehr als 1000 Lkws täglich, und knapp 8000 Autos.
So schön ist es in Neuburg am Inn – eigentlichBild: imago stock&people
Der Staubeginn:
Im Jahr 2015 erlebt Wolfgang Lindmeier, Bürgermeister der kleinen Gemeinde und CSU-Parteimitglied, den Höhepunkt der Fluchtbewegung auf seinem täglichen Weg zur Arbeit.
Zwischen seinem Haus in Dommelstadl, direkt an der österreichischen Grenze, und dem Rathaus Neukirchen sind es sieben Kilometer Autofahrt. Die Straße kreuzt die Autobahn A3. Dort sieht Lindmeier vor allem morgens Gruppen von Menschen entlang laufen. Schleuser haben sie nachts abgesetzt, vermutet er. Wenige hundert Meter nachdem sie die österreichische Grenze überquert haben.
Der bayerische Flüchtlingsrat spricht im Jahr 2015 von 600 bis 700 Geflüchteten, die so täglich in den Raum Passau kommen.
Die Polizei stellt zunächst Warntafeln auf der A3 auf, die die Autobahnfahrer warnen sollen. Es kommt trotzdem zu Unfällen.
Die Bayerische Polizei und die Bundespolizei an der Autobahngrenze Kufstein-KiefersfeldenBild: imago
Seit 1995 sind die Grenzkontrollen nach Österreich abgeschafft. Im Dezember 2016 entscheidet die Bundesregierung, sie wieder einzuführen: Auf der A3 bei Passau, der A8 nahe Salzburg und der A93 im Inttal.
Nahe Neuburg am Inn verengen Beamte der Bundespolizei die Straßen. Sie kontrollieren die Fahrzeuge auf dem Parkplatz Rottal-Ost, der zehn Kilometer hinter der Grenze zu Österreich liegt. Autofahrer stehen deswegen immer öfter im Stau, teilweise bis zu einer Stunde lang.
Ein ungeplanter Nebeneffekt:
Der Parkplatz, auf dem die Polizei jetzt Pässe, Kofferräume und Ladeflächen kontrolliert, liegt direkt hinter einer Autobahnausfahrt.
Eigentlich wollten die Beamten ein besonderes Augenmerk auf Lastwagen werfen, in denen sich Flüchtlinge verstecken könnten. Diese Lastwagen – und auch alle anderen, die ungern im Stau stehen möchten – nehmen jetzt aber einfach die Autobahnausfahrt.
"Wenn im Verkehrsfunk gesagt wird, die Wartezeit liegt bei 15 Minuten, dann fahren die meisten natürlich schon vor der Grenzkontrolle von der Autobahn."
Wolfgang Lindmeier
Die Ausweichstrecke führt direkt durch Neuburg am Inn.
Im Sommer 2015 sind es bei einer Verkehrszählung noch 6800 Fahrzeuge, die am Tag durch die kleinen Ortschaften der Gemeinde fahren, sagt Lindmeier. Davon 490 Lkw. Oktober 2017 hat sich die Ausweichstrecke etabliert – und die Zahl der LKWs mehr als verdoppelt. 1022 Lastkraftwagen, darunter auch 30-Tonner, verstopfen täglich die Gemeinde. Bis heute hat sich die Situation nicht verbessert.
Lärmbelastigung, schlechte Luft und Stau stören bis heute die Anwohner. Vor allem Eltern seien laut Lindmeier besorgt. Denn der Schwerlastverkehr ziehe an einer Schule und einem Kindergarten vorbei. Unter der Woche kämen Fahrzeuge der Spediteursunternehmen in der Region hinzu, im Sommer die Urlauber. "Dann herrscht bei uns Kolonnenverkehr", sagt Lindmeier.
Bild: Gemeinde Neuburg am Inn
Seit Kurzem gibt es einen Antrag für ein Durchfahrtsverbot für Durchgangsverkehr, das der Gemeinderat beantragt hat. Darüber muss jetzt das Landratsamt mit dem Ministerium entscheiden.
"Das Prozedere wird sich wohl noch ziehen", sagt Lindmeier. "Aber wir werden die Landes-und Bundespolitiker weiter über den Handlungsbedarf hier informieren."
Mittlerweile habe die Zahl der Flüchtlinge spürbar kleiner geworden. "Was jetzt monatlich kommt, ist vergleichsweise harmlos", sagt Lindmeier.
"Das hat aber nichts mit der Grenzkontrolle zu tun. Es kommen einfach generell weniger Menschen nach Deutschland."
Wolfgang Lindmeier
Das bestätigt die Bayerische Bundespolizei. Demnach seien 2015 im Raum Passau bis zu 20.000 Menschen monatlich über die Grenze gekommen. Anfang 2018 seien es noch rund 150.
Lindmeier hätte am liebsten, die Grenzkontrolle an der Autobahnabfahrt auf der A3 würde komplett aufgelöst. Oder dass sie zumindest an einen Standort verlagert würde, an dem die Autos effektiv abgefertigt werden können, statt dass sie seinen Ort verstopfen. Dass 2015 so viele Geflüchtete ohne Reisedokumente aufgenommen wurden, sei ein Fehler gewesen. Aber die Grenze auf der A3 mache so keinen Sinn.
Wenn es nach Seehofer ginge, könnte das Grenzregime noch strenger werden
Union und SPD einigten sich in dieser Woche auf sogenannte Transitverfahren, die es in Einrichtungen der Polizei in Grenznähe geben solle.
Lindmeier fürchtet, dass damit eventuell verbundene, verstärkte Grenzkontrollen ganz Europa lahmlegen könnten. "Das hätte Auswirkungen auf den europäischen Transitverkehr, die Lenkzeiten von Lkw-Fahrern und könnte damit die gesamte Wirtschaft beschädigen".
"Es wäre sehr schade, wenn Schengen einmal auf dem Spiel stehen würde"
Wolfgang Lindmeier
Als Kind erlebte Lindmeier die Grenze zu Österreich. Mittlerweile hat Neuburg am Inn eine Partnergemeinde im Nachbarland, unmittelbar auf der anderen Seite des Grenzflusses Inn. Die Bewohner besuchen sich gegenseitig, dank direkter Radwege und Brückenverbindungen. "Es hat sich alles sehr positiv entwickelt. Wenn ich mich in Österreich bewege, denke ich gar nicht mehr daran, dass ich theoretisch im Ausland bin."
Die wenigsten Gemeindemitglieder würden noch einen Personalausweis mitnehmen, wenn sie einen Abstecher über den Inn machten.
"Man fühlt sich eben wie in Europa", sagt Lindmeier.
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quelle: imago stock&people / thomas koehler/photothek.net
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