Seit dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts plagen die Bundesregierung Finanzsorgen: Es fehlen 60 Milliarden Euro in der Staatskasse. Geld, das die Ampel-Regierung für klima- und industriepolitische Projekte eingeplant hatte.
Das Finanzministerium (BMF) reagierte am Dienstag und sperrte große Teile der Etats aller Ministerien. "Das BMF stoppt die Verpflichtungsermächtigungen in 2023, um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden", heißt es aus Kreisen des Ministeriums.
Verpflichtungsermächtigungen geben einer Verwaltung die Möglichkeit, bereits für künftige Jahre Zahlungsverpflichtungen einzugehen, etwa bei mehrjährigen Vorhaben. Aktuelle Ausgaben in diesem Jahr sind demnach nicht betroffen.
Doch die Frage bleibt: Wo sollen die 60 Milliarden herkommen? Prominente Stimmen wollen nach dem Urteil aus Karlsruhe jetzt der Schuldenbremse an den Kragen.
Die Ampelkoalition ringt weiter um den Umgang mit dem Urteil der Verfassungsrichter:innen. Die Regierung muss ihre Haushaltspolitik neu sortieren. Doch die Schuldenbremse setzt Grenzen – weshalb sich gerade viele auf sie stürzen.
Demnach fordern etwa führende SPD-Politiker:innen ein Aussetzen der Schuldenbremse, um das gigantische Finanzloch zu stopfen.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich äußert sich dazu im "Stern": "Wir werden aus meiner Sicht nicht darum herumkommen, für 2024 die Ausnahmeregel zu ziehen – womöglich auch länger." Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist kein Fan der Schuldenbremse, sieht für Änderungen aber keine Mehrheiten.
Lars Feld, Wirtschaftswissenschaftler und Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), hält das Aussetzen der Schuldenbremse in diesem Jahr für möglich.
Nun macht auch der Präsident vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, eine klare Ansage zur finanziellen Lage Deutschlands.
Ihm zufolge ist das Aussetzen der Schuldenbremse auch für 2024 der pragmatischste und klügste Weg, um das Problem zu lösen. Das teilte Fratzscher auf der Plattform X (ehemals Twitter) mit.
Die Schuldenbremse sei nicht mehr zeitgemäß, "vor allem, weil sie blind ist, wofür der Staat sein Geld ausgibt". Die Unterscheidung zwischen Konsum und Investitionen sei aber essenziell. In einem Interview mit dem Sender WDR führt er aus:
Die negativen Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Wirtschaft dürfen nicht unterschätzt werden, warnt er. Es schaffe Unsicherheit, da Unternehmen und Haushalte nicht mehr sicher sein können, auf welche Leistungen sie sich verlassen können. "Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft", sagt er.
Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert spricht sich im watson-Interview klar für eine Reform der Schuldenbremse aus. "Der Schuldenbremse ist im Moment ziemlich egal, ob wir mit Hilfe von Krediten Schienen legen oder ob wir ein öffentliches Gebäude in Blattgold verpacken", sagt er. Das sei ziemlich dumm, weil ja jeder sehen kann, worin der Unterschied besteht.
Jetzt steht die Finanzierung zahlreicher klima- und industriepolitischer Vorhaben der Ampel auf der Kippe.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in der vergangenen Woche eine Umwidmung von Krediten von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt. Sie waren zur Bewältigung der Corona-Krise genehmigt worden, sollten dann aber für Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden.
Nun stehen die Milliarden im sogenannten Klima- und Transformationsfonds nicht zur Verfügung. Die Bundesregierung hatte daraufhin bereits vorübergehend bestimmte Vorhaben auf Eis gelegt, die aus dem Fonds finanziert werden sollten. Dabei ging es um Verpflichtungsermächtigungen für 2024 und die Folgejahre.
(Mit Material von dpa und afp)