Junge Menschen werden über emotionale Inhalte auf Social Media radikalisiert. Auch Kinder.Bild: imago images / Le Parisien
Deutschland
Kinder unter Schutt und Asche, blutverschmierte Babys, Leichensäcke, Bombenhagel: Grausame Bilder des Krieges im Gazastreifen fluten das Internet. Kein Zweifel, der Krieg ist brutal und die humanitäre Katastrophe in der Enklave beispiellos. Doch die starken Bilder, die daraus hervorgehen, werden auch für Propagandazwecke missbraucht.
Islamistische Terrororganisationen nutzen den Gaza-Krieg, um gezielt junge Menschen über Social Media anzusprechen und zu radikalisieren.
Offenbar betrifft dies nicht nur junge Erwachsene, auch Kinder sind Zielscheibe verschiedenster Akteure, wie der Sozialpsychologe an der Universität Bielefeld, Andreas Zick, warnt.
Im Gazastreifen herrscht unvorstellbares Leid.Bild: APA Images via ZUMA Press Wire / Omar Ashtawy
Emotionen als Waffe: Die Taktik der Terrororganisationen
Er macht auf die "große" und weiter steigende Gefahr von Radikalisierung über Social Media, speziell bei jungen Menschen, aufmerksam. Er beobachtet, dass sich seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober und dem Beginn des Gazakriegs propalästinensische und islamistische Inhalte in den sozialen Medien zunehmend vermischen.
"Auch Terrororganisationen rühren sich: Sie verfügen über die Netzwerke und das Kapital, um online Jugendliche zu rekrutieren", sagt er der "Rheinischen Post".
Die Strategie der Terrorgruppen ist dabei klar und perfide: Junge Menschen werden über emotionale Inhalte angesprochen. "Im Internet sehen sie Opferbilder von palästinensischen Kindern und Babys, dazu Propaganda mit dem Tenor: Das sind eure Brüder und Schwestern, denen das angetan wurde", erläuterte Zick. Die Botschaften zielen darauf ab, emotionale Bindungen zu schaffen und das Gefühl von Ungerechtigkeit und Solidarität zu stärken.
Kinder werden radikalisiert: Fehlende Aufklärung als Risikofaktor
Besonders bedenklich ist, dass zur Zielgruppe der Dschihadisten zunehmend auch jüngere Kinder gehören. "Acht- oder Neunjährige haben heute relativ klare Ansichten von der Welt. Sie bauen so etwas wie eine ideologische Struktur auf und interessieren sich für politische Sachverhalte", erklärt Zick weiter.
Selbst Kinder im Alter von fünf oder sechs Jahren könnten bereits anfällig für Ideologien sein, da sie sehr aufmerksam den Gesprächen in ihrer Umgebung lauschen und so bereits früh Identitäten entwickeln. Ein weiterer Risikofaktor, der die Radikalisierung junger Menschen begünstige, sei die Sprachlosigkeit im familiären Umfeld.
Auf verschiedensten Plattformen sehen Kinder brutale Bilder.Bild: dpa / Marijan Murat
"Solche Propaganda verbreitet sich vor allem bei jungen Menschen, wenn niemand im Umfeld darüber redet. Das Schweigen der Eltern und Geschwister macht es schlimmer", erklärt Zick. Auch in Schulen können Stereotype und Klischees über den Islam und Muslime eine gefährliche Wirkung entfalten.
"Wasser auf die Mühlen des Opferbildes sind Lehrerinnen und Lehrer, die kein differenziertes Bild vom Islam und Muslimen haben, sondern Klischees im Kopf", fügt der Sozialpsychologe hinzu.
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Junge Menschen reagieren sensibel auf solche Stereotype, was laut Zick einen Nährboden für neuen Extremismus bildet. Sobald eine Radikalisierung fortschreitet, sind es oft die Minderheiten, die die ersten Anzeichen wahrnehmen – jüdische Menschen oder auch die Religionsgemeinschaft der Jesid:innen.
Gesamtgesellschaftlich gegen Radikalisierung von Kindern
Kai Gehring, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Vorsitzender des Bildungsausschusses, sieht dringenden Handlungsbedarf. "Gerade für Kinder und Jugendliche sind die Nachrichten zum Krieg in Nahost beängstigend, komplex und werfen viele Fragen auf", sagt Gehring der "Rheinischen Post".
In der Schule können wichtige Bausteine gegen Radikalisierung gelegt werden.Bild: dpa / Harald Tittel
Auf Social Media würden emotionale Videos aus dem Krisengebiet oft ungefiltert verbreitet. Diese enthalten nicht nur radikale Inhalte, sondern auch Falschinformationen und autoritäre Propaganda. Gehring betont hierzu: "Immunisieren gegen Radikalisierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – vom Elternhaus über das Klassenzimmer bis zur Plattform-Regulierung."
Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, müssen die Lehrpläne in allen Bundesländern aktualisiert werden. Ein besonderer Fokus sollte auf den Umgang mit Fake News gelegt werden. Andreas Zick fordert zudem eine Stärkung der sozialen und psychologischen Arbeit.
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