An diesem Abend soll geredet werden, endlich. Im Chemnitzer Stadion will Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer mit rund 500 Bürgern das Gespräch suchen.
Währenddessen baut sich am dritten Demo-Tag in Chemnitz vor dem Stadion eine Menschenmenge auf, die nicht diskutieren will. Knapp tausend Rechtsextreme sind gekommen. Für sie ist Kretschmer ein "Volksverräter".
Bild: Felix Huesmann
Das Bündnis "Chemnitz Nazifrei" fehlt an diesem Abend. Man könne am
Donnerstag nicht erneut demonstrieren – aus Sorge, nicht von der
Polizei geschützt zu werden.
Wie geht es weiter in dieser Stadt, die durch die Ausschreitungen Rechtsextremer international in der Kritik steht? Mit den Behörden, die die Gefahr von Rechts unterschätzten? Mit den Menschen, die sich um das Image ihrer Stadt sorgen, mit jenen, die Angst haben und denen, die sich nach wie vor für ein friedliches Zusammenleben einsetzen? Darauf liefert dieser Abend keine Antworten.
Der Abend in 3 Gesprächen.
Das sagen die rechtsextremen Demonstranten
Bei der Kundgebung von "Pro Chemnitz" wollen die Anwesenden erst mal klarstellen: Bilder, wie die vom Montag will man heute auf jeden Fall verhindern. "Nette
Grüße mit dem rechten Arm gen Himmel werden heute rigoros mit Platzverweis
bestraft", verkündet einer der Organisatoren durch das Mikrofon. Nette Grüße. Gemeint sind die Hitlergrüße, die bei den Demonstrationen am
Montag gleich mehrfach von Rechten gezeigt worden waren.
Die Polizei verfolgt mindestens 10 Straftaten in dem Zusammenhang:
Video: watson/Felix Huesmann, Lia Haubner
Die verklausulierte Verharmlosung zeigt, wie groß hier der Graben zwischen Selbstwahrnehmung und Realität ist. Und auch, wie schwer der Dialog wirklich ist.
Die Organisatoren haben aus den Krawallen am Montag also nichts gelernt, geschweige denn mitgenommen. Wollen die Rechtsextremen die aggressiven Demonstranten nun besser in Schach halten? Nicht
wirklich.
Als der "Pro Chemnitz"-Vorsitzende Martin Kohlmann später ans Mikrofon
tritt, wird deutlich, worum es ihm eigentlich geht: Die Schuld für die Eskalation
soll anderen zugeschoben werden. Die Hitlergrüße seien inszeniert gewesen, ruft
Kohlmann, und spricht damit wohl vielen Teilnehmern der Kundgebung aus der Seele.
Pro Chemnitz-Vorsitzender äußert sich absurd zu Hitlergrüßen
Video: watson/Felix Huesmann, Lia Haubner Marius Notter
Schon seit Tagen verbreitet sich diese Behauptung rasant in
den sozialen Medien. Die Hitlergrüße seien von eingeschleusten Provokateuren
gezeigt worden, um die Demonstration zu diskreditieren.
Einen Beweis dafür hat
bislang niemand geliefert. Dennoch ist diese Desinformationskampagne erfolgreich. Viele der Demonstranten und deren Sympathisanten im
Netz scheinen die Theorie unhinterfragt zu glauben.
Kohlmanns krude Erklärung: Der Fernsehsender RTL
und die linken Gegendemonstranten seien Schuld. Die zwei "Grüßlinge" hätten sich hinterher sehr freundlich mit einem RTL-Kameramann unterhalten, ein weiterer
sei beobachtet worden, wie er "ganz freundschaftlich in der Antifa-Demo stand".
Beweise für diese Aussagen bleibt Kohlmann schuldig, aber darum geht es ihm auch gar nicht. Die Neonazi-Parolen seien lediglich von "ganz einzelnen Leuten" gerufen worden, fabuliert der "Pro Chemnitz"-Vorsitzende weiter. Mit der Wahrheit nimmt er es offenbar nicht ganz genau, wenn
es darum geht, das Image seiner Demonstrationen zu verteidigen.
Tatsächlich zeigen Videos jedoch, wie große Teile der Demo-Spitze solche Parolen rufen.
Video: watson/Felix Huesmann, Marius Notter
Auf explizite Nachfrage will sich Kohlmann auch nicht von ganz offenen, knallharten Neonazis distanzieren. Am Montag war auch die rechtsextreme Kleinpartei "Der dritte Weg" in Chemnitz
mitgelaufen. Sie wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Er könne und wolle niemanden ausschließen, solange der seine Demo
nicht störe, sagt Kohlmann.
"Wenn wir schon wieder anfangen, ja mit denen reden wir nicht, aber dafür reden wir mit denen auch wieder nicht, das ist doch blöd. Warum sollen die nicht kommen?"
Schon kurz nach der Demonstration am Montag zeigte
Kohlmann, wie wenig Berührungsängste er mit den Neonazis vom "Dritten Weg" hat,
und gab dem von der Kleinpartei betriebenen "Nationalrevolutionären Radio" ein
Interview. Zum Umfeld des "Dritten Wegs" gehören auch verurteilte
Rechtsterroristen.
Während weder Kohlmann, noch seine Mitdemonstranten als
Rechtsextreme bezeichnet werden wollen, entspringen die Redebeiträge und
Parolen des Donnerstags jedoch fast alle dem Repertoire der extremen Rechten.
Es geht um die "Lügenpresse", die Tatsachen verdrehe, um eine angebliche "Überfremdung" Deutschlands, die von der Regierung gesteuert werde. Und immer wieder rufen die Anwesenden in einem hässlichen Chor "Volksverräter".
Zwischendrin kommt es immer wieder zu grotesken Momenten. Zum Beispiel als die Versammelten pseudo-feierlich die Nationalhymne anstimmen – und dabei mit ihren Handys ein Lichtermeer anknipsen.
Bild: X02197
Immerhin bleibt die Kundgebung am Donnerstag friedlich. Die sächsische
Polizei hatte dieses Mal Unterstützung angefordert. 1200 Polizisten aus fünf Bundesländern waren laut Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) im Einsatz.
Das sagt das andere Chemnitz
Anders als am Montag stehen den Rechtsextremen keine Gegendemonstranten wie die Mitglieder des Bündnis' "Chemnitz Nazifrei" gegenüber.
Manche, die am Montag gegen die Rechtsextremen demonstriert
haben, sind trotzdem gekommen – um sich am "Sachsengespräch" im Stadion zu
beteiligen.
Einer von ihnen ist Marius. Er ist in Chemnitz aufgewachsen und studiert
dort. Während er auf den Einlass ins Stadion wartet, sagt Marius:
"Die Geschehnisse der letzten Tage sind ein Zeichen dafür, dass im Land was falsch läuft."
Er spricht von einer verfehlten Politik der vergangenen Jahrzehnte, die dazu geführt habe, dass die Demonstrationen am Montag nicht richtig
abgesichert worden seien. Als Flaschen und Feuerwerkskörper geflogen sind,
hätte die Demo gestoppt werden sollen, findet er. "Dass die nicht aufgelöst
wurde, ist ein Zeichen für ein Versagen der Polizei."
Felicia Kollinger-Walter war am Montag nicht auf der Straße –
aus Angst. "Ich habe eine elfjährige Tochter zuhause und mein Mann war
unterwegs. Und da hab ich gedacht, nee, was ist, wenn was passiert." Jetzt will
sie aber zeigen, dass nicht ganz Chemnitz so tickt, wie die Demonstranten vom Montag.
Sie sagt:
"Ich bin hier, damit die Medien auch über andere Chemnitzer Bürger berichten"
Auf ihrem Shirt steht "Kein Hass in meinem Namen". Felicia Kollinger-Walter
glaubt, dass sie mit dieser Meinung auch in Chemnitz noch in der Mehrheit ist. "Es
haben nur noch zu viele Angst, das öffentlich zuzugeben."
Das "Sachsengspräch"
Während draußen lauthals protestiert und gebrüllt wird, geht
es im Stadion leiser zu. Gestritten wird trotzdem.
Eigentlich sollte die Veranstaltung nur eine von mehreren im ganzen Bundesland sein, ohne viel Trara und bundesweite Aufmerksamkeit. Jetzt wird es für Sachsen Ministerpräsident
Michael Kretschmer und die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig unangenehm. Die Proteste und Krawalle der vergangenen Tage bestimmen den gesamten Abend.
Kretschmer beginnt seine Ansprache mit einer Schweigeminute für den 35-Jährigen, der am vergangenen Wochenende in Chemnitz erstochen wurde. "Wir erinnern an einen Chemnitzer Bürger – Daniel – um den heute seine Familie, Angehörige, Freunde trauern."Bild: Reuters
Rund
500 Bürger sind gekommen. Auch hier entlädt sich: Wut.
Oberbürgermeisterin Ludwig wird für ihren Aufruf zur Mäßigung und friedlichem Zusammenleben heftig ausgebuht. Vereinzelt wirft man ihr hier "Heuchelei" vor.
Auch Kretschmer ruft die
Chemnitzer Bürger dazu auf, sich von Rechtsextremen zu distanzieren. Die
Stimmung bei den Kundgebungen habe dazu geführt, dass mancher "völlig außer Rand
und Band" geraten sei. "Dem müssen wir alle miteinander, mit aller Kraft,
entgegentreten."
Bild: reuters
Es sind müßige Gespräche für den zuletzt viel kritisierten Ministerpräsidenten. Auch er wird heftig ausgebuht, als er das Engagement der Band Kraftklub lobt. Die Chemnitzer Band veranstaltet am Montag gemeinsam mit anderen Bands ein großes Anti-Nazi-Konzert in der Stadt. Die Reaktion: "Hau ab!"
Der CDU-Politiker wendet sich gleichzeitig dagegen, allen
Chemnitzern die rechtsextremen Attacken zuzuschreiben. Er habe viele Menschen
getroffen, die sich ungerecht behandelt fühlen, sagt er über vorangegangene
Gespräche mit Bürgern. "Ich weiß das. Das ist nicht so und wir werden diesem
Eindruck auch mit Kraft entgegen treten."
Das Image der Stadt, das scheint hier das entscheidende Thema. Sachsens anwesender Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) tut sich mit einem in der Situation doch eher befremdlichen Vorschlag hervor: Er will, dass Chemnitz sich als Kulturhauptstadt 2025 bewirbt.
Das Rassismus-Problem bleibt eine Randnotiz. Mal wieder.
So geht es in Chemnitz weiter:
Am Samstagnachmittag wollen erneut rechte Gruppen in Chemnitz demonstrieren. Die AfD ruft zusammen mit Pegida zu einem "Schweigemarsch" auf, unter anderem Björn Höcke gehört zu den Unterzeichnern des Aufrufs. Dagegen will ein breites Bündnis auf die Straße gehen. Zu den Gegenprotesten wird derzeit bundesweit mobilisiert.
Am Montagabend soll dann das Konzert am Karl-Marx-Monument stattfinden. Dort werden neben Kraftklub auch die Toten Hosen, Trettmann, Nura, Feine Sahne Fischfilet, Casper, Marteria und K.I.Z. auftreten.
Olaf Scholz äußert sich überraschend positiv über Donald Trump
Nach der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten herrscht viel Ungewissheit darüber, wie es jetzt mit der Ukraine weitergeht. Es gibt nicht unbegründete Ängste davor, Trump könne dem Land bald den Geldhahn zudrehen.