Politik
Deutschland

Friedrich Merz: "Guardian"-Journalisten zerlegen Migrationspolitik

Germany's Chancellor Friedrich Merz speaks during a media conference at an EU summit in Brussels, Thursday, June 26, 2025. (AP Photo/Omar Havana)
Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat mit Migrationspolitik Wahlkampf gemacht.Bild: AP / Omar Havana
Deutschland

"Kommt her – aber fühlt euch bitte nicht wohl": "Guardian" zerlegt Merz' Migrationspolitik

In einem spitzen Kommentar im britischen "Guardian" zeichnen zwei Journalisten ein bitteres Bild von Deutschlands Umgang mit Migration.
27.06.2025, 15:4627.06.2025, 17:06
Mehr «Politik»

Deutschland braucht dringend mehr Fachkräfte. Willkommen sind sie aber auch nicht. In einem spitzen Kommentar im britischen "Guardian" zeichnen die Journalisten Chris Reiter und Will Wilkes ein solch drastisches Bild von Deutschlands Umgang mit Migration: Das Land brauche dringend Zuwanderung – sende aber gleichzeitig das Signal, dass die Neuankömmlinge sich besser nicht willkommen fühlen sollten.

Die britische Perspektive auf Deutschland ist im "Guardian" selten zärtlich, aber dieses Mal fällt sie besonders spitz aus: Was Friedrich Merz da veranstalte, sei eine Mischung aus "Bitte kommt, aber bleibt gefälligst fremd" und einem Revival der alten Gastarbeiterpolitik. Nur eben ohne Gastfreundschaft.

Fachkräfte dringend gesucht – Freundlichkeit leider ausverkauft

Während die deutsche Wirtschaft um jede:n Zuwanderer:in ringt, wirkt die zugehörige politische Kommunikation wie aus dem Satire-Fundus: Grenzschließungen trotz sinkender Asylzahlen, die Abschaffung der sogenannten Turbo-Einbürgerung. Und gleichzeitig Bekenntnisse zur Weltoffenheit, wennetwa Biontech-Gründer:innen Özlem Türeci und Uğur Şahin auf der Bühne geehrt werden.

Merz sagte dort: "Wir brauchen Fachkräfte-Zuwanderung als Fortschrittsmotor." Doch wie der "Guardian" kritisiert, sendet seine Regierung gleichzeitig ein gegenteiliges Signal: Deutschland setzt weiterhin auf Grenzabschiebungen, obwohl ein Gericht sie als Verstoß gegen EU-Recht bewertet hat.

Der Widerspruch zwischen Rhetorik und Praxis – so die Autoren – könnte kaum deutlicher sein. Aber hey, vielleicht war das nur ein Missverständnis?

Die Realität: Ein Land mit Fachkräftemangel und Altersstarre

Der deutsche Arbeitsmarkt sieht allenfalls anders aus: Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fehlen rund 1,8 Millionen Fachkräfte – in der Pflege, in Kitas, auf dem Bau, im ÖPNV. Und: Mehr als 20 Prozent der Bevölkerung sind über 60 Jahre alt. Die Bundesregierung selbst rechnet mit Berufung auf mehrere Berichte mit einem Bedarf von 400.000 neuen Zuwander:innen pro Jahr, um den demografischen Wandel aufzufangen.

ARCHIV - 25.06.2024, Sachsen-Anhalt, Lutherstadt Wittenberg: Ein Rollstuhl steht auf dem Gang im Senioren- und Pflegezentrum Lerchenberg. In der Einrichtung haben Pflegekräfte aus El Salvador ihre Aus ...
Nicht nur im Pflegebereich benötigt Deutschland dringend Arbeitskräfte.Bild: dpa / Sebastian Willnow

Doch wer helfen will, wird nicht immer freundlich empfangen. Das Turbo-Einbürgerungsverfahren – eingeführt 2024, gedacht für besonders engagierte und gut integrierte Menschen – steht nun wieder zur Abschaffung bereit.

Die Begründung: Man wolle "Pull-Faktoren" für irreguläre Migration vermeiden. Dabei hat das eine mit dem anderen so viel zu tun wie eine Steuererklärung mit einer Grenzkontrolle.

Migration in Deutschland? Ja. Teilhabe? Schwierig.

Laut dem Statistischen Bundesamt nutzten nur rund 7 Prozent der Einbürgerungswilligen im Jahr 2024 das beschleunigte Verfahren. Der große Run auf den deutschen Pass blieb also aus. Das Problem war nie die Zahl – sondern offenbar, dass Menschen diesen Pass wirklich wollten.

Und während Migration weiterhin in Talkshows und Wahlkämpfen als Hauptthema inszeniert wird, sieht es bei den tatsächlichen Sorgen der Bevölkerung anders aus: Nur 38 Prozent der Deutschen nannten Migration im Mai 2025 als eines ihrer drei Hauptprobleme. Wichtiger waren Inflation (45  Prozent) und soziale Ungleichheit (41 Prozent), so die Ergebnisse einer Ipsos-Umfrage.

Viele Zugewanderte denken an Rückkehr

Auch weitere Zahlen sprechen für sich: Zwischen 2015 und 2022 kamen laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung 12 Millionen Menschen nach Deutschland. Mehr als 7 Millionen gingen wieder. Hauptgrund: das Gefühl, nicht wirklich Teil der Gesellschaft zu sein. Und das ist kein vergangenes Problem.

Eine aktuelle IAB-Studie zeigt: Etwa ein Viertel der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund – rund 2,6 Millionen Personen – denkt derzeit über eine Rückkehr nach. Die Gründe: mangelnde Anerkennung, struktureller Rassismus, bürokratische Hürden.

Oder, wie der "Guardian" es formuliert: "Deutschlands selbst auferlegte Isolation wird zu einer langsamen Erosion der Erwerbsbevölkerung führen."

Expemplarisch finden die Journalisten die Geschichte von Fußball-Weltmeister Mesut Özil. "Wenn wir gewinnen, bin ich Deutscher. Wenn wir verlieren, bin ich Ausländer", sagte dieser nach seiner Rücktrittserklärung.

Denn: Seine Familie war einst als Teil des sogenannten "Gastarbeiterprogramms" gekommen, das in der Bundesrepublik zwischen 1955 und 1973 Hunderttausende Menschen aus der Türkei, Italien oder Portugal anwarb. Zum Arbeiten, nicht zum Bleiben. Diese Logik – dienen ja, dazugehören nein – scheint sich nun zu wiederholen.

Merz liefert Material, Söder die Pointe für den "Guardian"

Und als wäre das alles nicht schon bitter genug, greift auch der "Guardian" einen Satz auf, der sich fast wie Satire liest: "Natürlich brauchen wir Zuwanderung – leider." Gesagt hat das Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Gespräch mit dem rechten und höchst umstrittenen Portal "Nius".

Das britische Medium nennt die Aussage exemplarisch für die politische Widersprüchlichkeit in der deutschen Debatte. Ein Satz wie aus einem Satireformat – oder eben aus einem Politikerinterview im Jahr 2025.

Zohran Mamdani im Porträt: Social Media, Ehefrau, Israel, Cuomo
Zohran Mamdani kämpft um das Amt des Bürgermeisters in New York. Seine Chancen von den Demokraten ins Rennen geschickt zu werden, sind gut. Wofür steht der linke Politiker?

Zohran Mamdani ist ein US-amerikanischer Politiker und gehört der Demokratischen Partei an. Seit Januar 2021 ist er Abgeordneter im New York State Assembly für den 36. Bezirk in Queens.

Zur Story