2017 nimmt Monika von der Lippe eine Idee mit nach Hause. Damals besuchte die heute 41-Jährige die Frauenwoche in Brandenburg. "Zehntausende kamen. Das große Interesse zeigte, wie weit die Gesellschaft beim Thema Emanzipation schon gekommen ist", erinnert sie sich. Danach aber kehrte von der Lippe an ihren eigenen Arbeitsplatz zurück. Sie ist Gleichstellungsbeauftragte des Landes Brandenburg, wo sich ein ganz anderes Bild zeichnet. Trotz aller Bemühungen bleibt der Landtag vor allem eins: männlich.
Aber von der Lippe wollte nicht, dass das so bleibt. Aus Frankreich, Belgien und Polen übernahm sie eine Idee. Sogar ein Gutachten gab sie dafür bei der Uni-Potsdam in Auftrag. Dessen Fazit bestätigt: Nur durch eine Änderung der Wahlgesetze könne im Parlament wirklich Gleichheit herrschen zwischen Mann und Frau.
Am Donnerstag wird der Landtag dieses Fazit mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von SPD und Linken sowie den Grünen zum Gesetz machen. Eine Mehrheit ist so gut wie sicher.
Die 50-Prozent-Frauenquote für Landtagswahlen in Brandenburg kommt ab dem Jahr 2020.
Dann müssen Parteien ihre Kandidatenlisten paritätisch besetzen, an denen die Wähler dann ihr Kreuzchen machen sollen.
Der Jubel ist groß: Bundesjustizministerin Katarina Barley spricht von einem "mutigen Schritt", Grünen-Chefin Annalena Baerbock empfiehlt schon: "Wir sollten auf Bundesebene ein ähnliches Gesetz vorlegen." Auch Brandenburgs Arbeitsministerin Susanna Karawanskij feiert: "Die Zeit ist reif, diese Diskussion zu führen." Und in der Tat, wer hätte es gedacht? Am Donnerstag wird Brandenburg zum Vorreiter eines neuen Quoten-Wahlsystems. Frei nach Rainald Grebe: Es gibt Länder, wo richtig was los ist.
Man muss dazu wisssen, dass die Grünen bereits im Mai des vergangenen Jahres einen ähnlichen Antrag eingebracht haben. Was der Landtag jetzt beschließt, beruht zu großen Teilen auf diesem bereits viel diskutierten Vorschlag – und es gab und gibt sie durchaus, die Gegner des neuen Wahlrechts.
Dazu gehörte bis vor Kurzem erstaunlicherweise auch noch die Landesregierung selbst.
Nun ist dieser Januar nicht einmal vorbei, und aus den Beratungen ist ein fertiger Gesetzes-Entwurf geworden. Viel Beratung kann es also eigentlich nicht gegeben haben, und das kritisiert die Opposition in Brandenburg heftig.
"Nur, weil jetzt Landtagswahlen anstehen, will man hier ein Gesetz öffentlichkeitswirksam durchsetzen, bei dem alle Juristen die Hände über den Kopf zusammenschlagen", sagt der Sprecher der CDU-Landtagsfraktion gegenüber watson. Im Sinne einer guten Sache, nämlich mehr Frauen ins Parlament zu bringen, riskiere die Regierung willentlich den Verfassungsbruch. "Jede Wahl wird sich auf dieser Grundlage anfechten lassen", sagt der CDU-Sprecher.
In der Tat gibt es starke rechtliche Bedenken
Ein ausführliches Gutachten des parlamentarischen Beratungsdienstes in Brandenburg hatte schon im Oktober 2018 Zweifel, ob das Paritäts-Gesetz (damals noch von den Grünen) einer Verfassungsbeschwerde standhalten würde. Die Rechtswissenschaftler fassen zusammen:
Beim Gesetz kollidieren zwei Grundrechte. Auf der einen Seite darf niemand diskriminiert werden, auf der anderen pochen die Quoten-Befürworter auf ihr "Gleichbehandlungs"- Recht. Dieses schütze aber nur die Chancengleichheit bei einer Wahl, nicht deren Ergebnisse. Wer sich also durch das Gesetz diskriminiert fühle, habe gute Chancen, einen Rechtsstreit zu gewinnen.
Das Gesetz verletze das Demokratieprinzip: Keine Bevölkerungsgruppe habe das Recht "proportional mit Mandatsträgern in der Volksvertretung gespiegelt zu werden".
Das Gesetz verletze sowohl die Freiheit als auch die Gleichheit der Wahl. Weder dürfe ein Gesetz Parteien die Aufstellung ihrer Listen vorschreiben, noch wäre es gegenüber Kandidatinnen und Kandidaten fair. Denn ist die Quote voll, können sie nicht mehr antreten, selbst wenn sie es wollen. Schließlich gebe es verhältnismäßig mehr männliche Kandidaten auf einen Quotenplatz, als weibliche. Das schaffe ungleichen Chancen, aufgestellt zu werden.
Der Eingriff in die Diskriminierungs-, Wahl- und Parteienfreiheit sei zu schwerwiegend und nicht verhältnismäßig. Der Anteil der Frauen im Landtag liege bereits ohne Gesetz bei 30 Prozent.
Die Quote kommt trotzdem
Die Quote wird trotz dieser rechtlichen Bedenken kommen. Monika von der Lippe jedenfalls ist zuversichtlich. "Uns war von Anfang an klar, dass unser Gesetz einen Konflikt mit den juristischen Rechten der Parteien auslösen könnte", sagt sie.
Die Regierung habe dennoch einen Verfassungsauftrag, für Gleichheit zu sorgen und sich deshalb selbst ein Rahmenprogramm auferlegt, dass sie durchsetzen müsse.
Von der Lippe ist mit dieser Einstellung nicht alleine. Es gibt durchaus Juristen, die das ähnlich sehen. "Bei einer Experten-Anhörung im Innenausschuss hatte nur ein Einziger der Anwesenden so schwere Bedenken, dass er das Gesetz nicht durchsetzen würde", sagt die Gleichstellungsbeauftragte.
Eine echte Grundsatz-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Frauenquote bei Wahlen gibt es bisher jedenfalls nicht. Kommt das Gesetz, könnten diverse Klagen von Opposition und Wählern bald dafür sorgen. Die Piraten-Partei in Brandenburg etwa hat bereits eine Verfassungsbeschwerde angekündigt.
Sollte das Verfassungsgericht tatsächlich das "Go" geben, wird die Frauenquote für Wahlen dann auch in anderen Bundesländern und auf Bundesebene zum nächsten großen Thema heranwachsen.
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