Am Donnerstagmorgen ist in der Münchner Innenstadt ein Auto in eine Menschenmenge bei einer Verdi-Demonstration gefahren. Dabei sollen mindestens 28 Personen verletzt worden sein, zwei von ihnen schwer. Auch Kinder gehören zu den Opfern.
Der Fahrer wurde mit Schüssen von der Polizei gestoppt und festgenommen. Er soll ein 24-jähriger Afghane sein, der kurz vor der Tat auffällige Inhalte auf Social Media gepostet haben soll. Dementsprechend verwunderte es wenig, dass die Polizei am Nachmittag von Hinweisen auf einen "extremistischen Hintergrund" sprach.
Viele Fragen zur genauen Tat bleiben bisher ungeklärt. Doch eins scheint klar: Ein weiterer islamistischer Anschlag könnte eineinhalb Wochen vor der Bundestagswahl den Diskussionen um Sicherheits- und Migrationspolitik in Deutschland neuen Aufwind geben und sich auf den Wahlkampfendspurt auswirken.
Wie reagiert die Politik, was könnten die Folgen des Vorfalls für den Wahlkampf sein und welche allgemeinen Schlüsse lassen sich aus der Tat überhaupt ziehen?
Mit Härte. Egal, ob Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder, Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), Außenministerin Nancy Faeser oder Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD): Die Mitte-Politiker:innen in Deutschland fordern harte Konsequenzen für den mutmaßlichen Täter.
Habeck fordert eine "Sicherheitsoffensive", Faeser die "maximale Härte" des Rechtsstaates, Scholz eine Abschiebung, Söder, dass sich was "Grundlegendes" in Deutschland verändert und Merz, dass sich "jeder (...) in unserem Land wieder sicher" fühlt.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die vor einer Spaltung der Gesellschaft warnte, egal ob durch "Rechtsextremisten" oder durch "Islamisten", bildete mit ihren versöhnlichen Worten eher eine Ausnahme.
Migration und Sicherheit bestimmen derzeit bereits die politischen Debatten – Themen, die für CDU und CSU ohnehin zentral sind und nach dem Anschlag in Aschaffenburg im Januar noch stärker in den Fokus gerückt sind. Mit der bevorstehenden Wahl in anderthalb Wochen dürften diese Fragen andere politische Anliegen in den Hintergrund drängen, da nach solchen Taten oft viele Unsicherheiten bestehen.
Vor allem Union und AfD fordern mehr Härte, nicht nur in der Sicherheitspolitik, sondern auch eine restriktivere Migrationspolitik. "Diese Anschlagserie muss ein Ende haben", betont Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion. Der Schutz der Bevölkerung müsse verbessert werden, dies werde "die erste große Aufgabe der neuen Bundesregierung sein", sagt die CSU-Politikerin.
Die SPD hat sich bisher im Ton ähnlich scharf wie die Union gezeigt, jedoch keine härteren politischen Maßnahmen gefordert. So betonte Innenministerin Nancy Faeser auch am Donnerstag, dass die Bundesregierung die Gesetze zur Ausweisung von Gewalttätern und für mehr Abschiebungen "massiv verschärft" habe:
Die Gesetze müssten nun mit aller Konsequenz durchgesetzt werden.
Gleichzeitig sorgt die zugespitzte Debatte über Migration und innere Sicherheit bei einigen für Befürchtungen vor einem politischen Rechtsruck – eine Entwicklung, vor der Grüne und Linke warnen. Linken-Innenpolitikerin Clara Bünger kritisiert etwa eine "permanente Skandalisierung von Migration", ihre Kollegin Nicole Gohlke sprach sich gegen eine "politische Instrumentalisierung" der Tat aus. Außenministerin Baerbock rief zum Zusammenstehen der Demokrat:innen auf.
Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und nun München: In den vergangenen Monaten gerieten mehrere Städte durch islamistische Gewalttaten in den Fokus. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz gab es zwischen 2021 und 2024 insgesamt vier islamistisch motivierte Terroranschläge.
Dazu zählen ein Anschlag in einem Zug zwischen Regensburg und Nürnberg 2021, Messerangriffe in einem Duisburger Fitnessstudio 2023 sowie auf dem Solinger Volksfest 2024 und die tödliche Attacke auf dem Mannheimer Marktplatz. Auch dort verletzte ein Mann fünf Teilnehmer:innen einer Kundgebung und einen Polizisten, der infolgedessen an seinen Verletzungen starb.
Hinzu kommt der Anschlag eines mutmaßlich islamfeindlichen Mannes, der auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt im Dezember mit einem Auto sechs Menschen tötete. Die Täter setzten oft einfache Mittel ein – Messer oder Fahrzeuge dienten als Waffen. Besonders viele islamistische Anschläge wurden im Jahr 2016 verzeichnet.
Nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlag auf das Stadtfest in Solingen am 23. August beschloss die Regierung ein "Sicherheitspaket". Dieses umfasste unter anderem strengere Regelungen im Aufenthalts- und Waffenrecht sowie erweiterte Befugnisse für die Sicherheitsbehörden. Einige Reformen scheiterten jedoch im Bundesrat, da CDU und CSU weitergehende Maßnahmen forderten.
Seit 2015 konnten in Deutschland nach Angaben aus Sicherheitskreisen 18 islamistische Terroranschläge verhindert werden. Zudem wurden in den vergangenen zwei Jahren zahlreiche radikale Islamisten in Untersuchungshaft genommen. Auffällig ist, dass viele Tatverdächtige der jüngsten Anschläge, die teils islamistisch motiviert waren, zuvor nicht als Extremisten bekannt waren.
Sicherheitsbehörden hatten sie nicht als Gefährder eingestuft, obwohl einige bereits durch andere Straftaten aufgefallen waren.
Der Mann aus Saudi-Arabien, der in Magdeburg mit einem Auto sechs Menschen tötete und fast 300 verletzte, hatte zwar Drohungen geäußert, fiel jedoch nicht in gängige Extremismus-Kategorien, da er als Gegner des radikalen Islam galt.
Afghanistan zählt seit Jahren zu den Hauptherkunftsländern von Schutzsuchenden in Deutschland. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellen Afghan:innen derzeit die zweitgrößte Gruppe nach Syrer:innen, die einen Erstantrag auf Asyl stellen. Im Jahr 2024 entfielen auf sie 34.149 Asylanträge, was einem Anteil von 14,9 Prozent entspricht.
Vizekanzler Robert Habeck und die Grünen versuchten in den vergangenen Monaten, Sicherheits- und Migrationspolitik nach Anschlägen nicht miteinander zu vermischen. Bei restriktiven Migrationsgesetzen wollen die Grünen nicht mitgehen, bei harten Sicherheitsmaßnahmen zum Teil schon (wobei auch das innerhalb der Partei umstritten ist).
Aus Sicht von CDU und CSU setzt Sicherheitspolitik im eigenen Land jedoch zu spät an: Die Union fordert daher eine Begrenzung der Zuwanderung bereits an den Grenzen. Ihr Ziel: Es sollen weniger Menschen ins Land kommen. Innenministerin Faeser hat inzwischen stationäre Grenzkontrollen angeordnet, die Voraussetzung für Zurückweisungen sind. Wer einen Asylantrag stellen will, darf aber in der Regel einreisen.
Laut Bundesinnenministerium wurden 2024 rund 80.000 unerlaubte Einreisen registriert. In etwa 47.000 Fällen kam es zu Zurückweisungen – etwa wegen gefälschter Dokumente oder bestehender Einreisesperren nach einer Abschiebung.
(mit Material der dpa)