Es ist seit Mittwoch DAS beherrschende politische Thema. Nach den Ereignissen von Mittwochabend im Deutschen Bundestag sprechen jetzt viele von einem "historischen Tag".
Grund ist ein Antrag der Unionsfraktion: Der Bundestag hat mit den Stimmen der AfD und FDP mit knapper Mehrheit für den Fünf-Punkte-Plan der Union zur Migrationspolitik gestimmt. Es ist das erste Mal, dass eine Mehrheit im Deutschen Bundestag durch die AfD herbeigeführt wurde. Auch Nils Gründer (FDP) stimmte dafür. "Ich habe einfach als Oppositionspartei gestimmt", begründet er am Donnerstag im watson-Interview seine Entscheidung. Von der SPD erhält er dafür heftigen Gegenwind.
Am Tag nach der Abstimmung trifft er in der watson-Redaktion auf den SPD-Abgeordneten Carlos Kasper. Der 30-Jährige sitzt seit 2021 im Bundestag. Seit Wochen war das Gespräch mit den beiden Jungpolitikern auf diesen Tag angesetzt. Dass der Unionsantrag des Vortags darin eine so große Rolle spielen würde, war natürlich nicht geplant.
"Welche Weltanschauung sollte dein (Koalitions-)Partner haben?", wollten wir von dem FDP-Abgeordneten Gründer (seit 2022 Mitglied im Bundestag) wissen. Der antwortete schnell: "Weltoffenheit, das ist ganz wichtig."
Während der 27-Jährige noch über politische Engstirnigkeit und Kompromisse redet, kann sein Gegenüber nur den Kopf schütteln.
Kasper stimmte am Mittwoch gegen den Antrag der CDU/CSU und will die Antwort zur Weltoffenheit entsprechend nicht auf sich sitzen lassen. Der FDP wirft er ebenso wie der Union eine gezielte Zusammenarbeit mit der rechtsextremen AfD vor.
"Wir haben ja gar nicht zusammengearbeitet mit denen", bestreitet Gründer. Er hat direkt einen Vorwurf in Richtung seines politischen Gegners in petto: Er erinnert an eine weitere Abstimmung über einen FDP-Antrag über eine überplanmäßige Ausgabe von bis zu drei Milliarden Euro für die Ukraine. Diese ergab gegen 0.30 Uhr, dass das Parlament nicht mehr beschlussfähig ist. Der Grund: viele Abgeordnete – vor allem SPD und AfD – hatten den Bundestag bereits verlassen.
Gründer wirft Kasper hier vor, dass die SPD damit "zusammen mit der AfD" einen Beschluss verhindert hätte. Die Vorwürfe des SPD-Politikers nennt er auch deshalb "billig".
Doch Kasper weist erneut darauf hin, dass sich SPD, CDU, Grüne und FDP eigentlich einig waren, keine Beschlüsse in den Bundestag einzubringen, die keinen Konsens in der demokratischen Mitte finden – sondern nur mit Stimmen der AfD zustande kommen. Dass dies nun dennoch geschehen sei, "ist ein Skandal", konstatiert Kasper.
"Es muss jedem klar sein, dass die Menschen keinen Bock mehr auf Ausreden haben", erklärt wiederum Nils Gründer. "Da ist es richtig, wenn man auch mal ein Symbol setzt."
Für Carlos Kasper scheint sich hier zu bestätigen, dass die FDP die stille Einigkeit mit der AfD durchaus bewusst in Kauf genommen hat. "Das ist ja ein tolles Symbol, mit Rechtsextremen zusammenzuarbeiten", ergänzt er die Aussage von Gründer mit sarkastischem Ton, bevor die beiden schließlich das Thema wechseln.
"Das Thema wäre in einer Beziehung so eine Art Red Flag", schmunzelt Nils Gründer. Worüber sich die beiden also einig sind: Zu den Ereignissen am Mittwoch ist man sich einfach nicht einig.