Es ist kurz nach acht Uhr am Mittwochmorgen, als Polizisten die Georgenschule in Naumburg betreten. Es gibt keinen Notfall, kein Verbrechen – sondern eine geplante Abschiebung. Ziel ist ein zehnjähriges syrisches Mädchen. Sie wird unter Tränen aus dem Sportunterricht geholt, um gemeinsam mit ihrer Familie abgeschoben zu werden. Ihre Mitschüler:innen und Lehrer:innen erleben den Moment mit. Das Mädchen klammert sich an ihre Lehrerin – doch die Beamten nehmen sie mit. Was bleibt: Schock. Wut. Kritik.
Laut "Mitteldeutscher Zeitung" erkannte das Mädchen rasch, dass der Einsatz ihr galt. Sie klammerte sich demnach verzweifelt an ihre Lehrerin, schrie und bat weinend um Hilfe. Die junge Pädagogin, selbst sichtlich erschüttert, konnte ihr jedoch nicht helfen.
Das Mädchen wurde schließlich unter Protest aus dem Schulgebäude geführt und in ein Polizeifahrzeug gesetzt, in dem bereits ihre Eltern warteten. Zurück blieben nicht nur die traumatisierte Lehrkraft, sondern auch rund 20 Mitschüler:innen, die das Geschehen unmittelbar miterleben mussten.
Die Reaktionen auf den Vorfall ließen nicht lange auf sich warten – und sie sind eindeutig. "Wenn ein Staat seine Macht demonstriert, indem er Kinder aus dem Unterricht holt, läuft etwas grundlegend falsch. Kinder aus Schulturnhallen abführen zu lassen, ist grausam und unmenschlich", sagte Susan Sziborra-Seidlitz, Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt, wie der Webseite der Partei zu entnehmen ist.
Susi Möbbeck (SPD), Integrationsbeauftragte des Landes, warnte in der "Mitteldeutschen Zeitung": "Schulen müssen Schutzräume sein. Abschiebungen vor den Augen von Kindern können traumatisierend wirken."
Auch die Linke fordert ein Ende solcher Maßnahmen – notfalls per Weisung durch Innenministerin Tamara Zieschang (CDU).
Die Lehrkräftegewerkschaft GEW sprach von einer "massiven Grenzüberschreitung". "Die Schule muss ein sicherer Ort sein. Kinder mit Blaulicht abzuholen, erschüttert das Vertrauen in den Bildungsstaat", sagte Eva Gerth, Landesvorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt..
Wie die "Mitteldeutsche Zeitung" berichtet, hat das Landesschulamt schulpsychologische Unterstützung für Schüler:innen und Lehrkräfte an der betroffenen Schule angeboten. Ein Sprecher erklärte jedoch auch, dass solche Abschiebungen rechtlich zulässig seien – und nur dann durchgeführt würden, "wenn die Behörde sonst keinen Zugriff auf die Familie bekommt".
Laut "Mitteldeutscher Zeitung" gab es im Burgenlandkreis in den vergangenen zehn Jahren zwei vergleichbare Einsätze.
Ähnlich äußern sich CDU-Politiker:innen. Chris Schulenburg, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, verteidigte die Maßnahme: "Wenn der Rechtsweg ausgeschöpft wurde und eine Familie nicht freiwillig ausreist, muss der Rechtsstaat zur Not auch mit Zwang handeln", sagte er gegenüber der "Bild". Die Schuld an den verstörenden Bildern sieht Schulenburg bei den Eltern: "Sie hätten das verhindern können."
Laut "Volksstimme" prüft der Landkreis Burgenland den Einsatz inzwischen intern. Auch Innenministerin Zieschang und Landrat Götz Ulrich (beide CDU) wollen Berichte anfordern – doch konkrete Konsequenzen sind bisher unklar.
Der Fall Naumburg steht nun symbolisch für eine größere Frage: Wie weit darf ein Rechtsstaat gehen, wenn es um Kinder geht? Und was sagt es über eine Gesellschaft, wenn das Klassenzimmer zum Abschiebeort wird?