Manche Sätzen holen einen immer wieder ein. Putin sei ein "lupenreiner Demokrat", sagte Gerhard Schröder. Das war 2004 und Schröder war damals noch Bundeskanzler. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt heuerte Schröder 2005 in der russischen Energiewirtschaft an. Heute ist er Aufsichtsratschef des Konzerns Rosneft und des Unternehmens Nord Stream 2, das eine weitere Gasleitung von Russland durch die Ostsee nach Deutschland bauen will.
Der Bau erregt Unmut. Vor allem im Osten Europas. Polen, die baltischen Staaten und die Ukraine sehen die Gasleitungen von Russland über ihr Territorium gen Westen auch als wichtige Sicherheitsgarantie. Deshalb steht "Nord Stream 2" in der Kritik. Und auch Putin-Freund Gerhard Schröder.
Am Montag forderte die Ukraine ein Einschreiten der Europäischen Union gegen den SPD-Politiker. "Es ist wichtig, dass es Sanktionen gegen diejenigen gibt, die im Ausland Putins Projekte vorantreiben", sagte der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin der "Bild" . Schröder sei für den russischen Präsidenten Wladimir Putin der weltweit wichtigste Lobbyist. "Es sollte deshalb geprüft werden, wie die EU hier handeln kann. "Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sagte "Bild", es sei ein Skandal, dass ein ehemaliger Bundeskanzler die Interessen von Putin vertrete. "Und es ist erstaunlich, dass das bislang noch ohne Konsequenzen in der öffentlichen Diskussion geblieben ist."
Auch von den Grünen kam Kritik. Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour erklärte in der ARD, Schröders Lobbyarbeit sei "jenseits von Gut und Böse". Von Außenminister Heiko Maas und von der SPD forderte Nouripor "klare Worte": "Das wäre wirklich mal überfällig."
Schröder steht nicht allein in der Kritik des politischen Gegners. Auch in der SPD ist sein unvermindertes Engagement für Russlands Energiekonzerne und seine Nähe zu Wladimir Putin umstritten. Seine Verteidiger sehen ihn in der Nachfolge der klassischen sozialdemokratischen Ost-Politik. Dialog, Annäherung und Wandel. Seine Kritiker sehen in Schröder einen Liebediener des russischen Systems. Vor allem nach Russlands Annexion der Krim 2014, auf welche die EU mit Sanktionen antwortete.
Sigmar Gabriel war als Außenminister stets für eine Lockerung der Restriiktionen eingetreten. Noch bei seinem Abschied in der vergangenen Wochen mahnte er den Mut zu einem Neuanfang mit den Beziehungen zu Russland an. Sein Nachfolger Heiko Maas widersprach umgehend und emanzipierte sich von seinem Vorgänger. „Unsere Unterstützung für die territoriale Unversehrtheit ist weiterhin unverrückbar", sagte Maas in der Vorwoche bei seinem Antrittsbesuch in Paris.
Die Beziehungen zu Russland sind schwierig. Von der Linkspartei bis zur AfD reicht die Reihe der Russland-Versteher. In der Linkspartei mischt sich bei vielen, wie zum Beispiel bei Sahra Wagenknecht, alte Verbundenheit zu Moskau mit antiwestlichen Residuen. In der AfD mischen sich antiwestliche Anitpathien mit der verkappten Sehnsucht nach einer altdeutsch-nationalen eigenständigen Außenpolitik. Bismarck wird von AfD-Chef Alexander Gauland gern zitiert und dessen sogenannte Äquidistanz: Gleiche Nähe nach Ost wie nach West. Auch die jüngsten Äußerungen von FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der am Wochenende ebenfalls ein Ende der Russland-Sanktionen forderte, sind so zu verstehen. Die Liberalen wollen die Rolle des Russen-Verstehers nicht allein der AfD überlassen. Merkwürdig geschichtsvergessen erscheint allerdings diese Bismarck-Lobhudelei, wenn man bedenkt, wohin die schlafwandlerische Außenpolitik nach dem einer seiner Ära führte.
Und Schröder? Fühlt sich in Deutschland immer noch für seine Agenda-Reform verkannt. Und steht in Russland immer noch auf der Paylist von staatlichen Konzernen. Gerade das macht seine Forderung nach einem Neustart der deutsch-russischen Beziehungen so unglaubwürdig. (per/dpa)