Wer in Deutschland links denkt, hat sein neues Feindbild in der Bundesegierung schon gefunden. Keine Woche arbeitet das Kabinett unter Angela Merkel, da hat es ihr Gesundheitsminister Jens Spahn schon zweimal die Schlagzeilen geschafft:
Am Sonntag verglich
Spahn die Abtreibungsdebatte mit dem Tierschutz
„Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die
jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos.“
Vergangene Woche verschärfte er den Ton der Armuts-Debatte
„Jeder hat, was er zum Leben braucht (…) Hartz IV bedeutet nicht Armut,
sondern ist die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut“
Die Reaktionen fielen heftig aus. Hunderttausende
Unterschriften hat eine Petition
gesammelt, die Jens Spahn zu einem Monat mit Hartz IV zwingen will. Kritik hagelt
es von Kommentatoren, Parteien, Frauenrechtlerinnen und Verbänden. SPD-Vize
Ralf Stegner sagte, Spahn bemühe sich, das konservative Profil seiner
Parteien zu schärfen und schiene wohl „nicht ganz ausgelastet zu sein“ (Spiegel).
Dazu muss man wissen, Jens Spahn profiliert sich schon lange als konservativer Hardliner - jetzt geht es aber auch im Kabinett weiter. Wohin das führen könnte? Drei Szenarien:
Szenario 1: Der rechte Kronprinz wird Kanzler
Es ist eine Frage, die CDU-Wähler beschäftigt: „Wann werden Sie Bundeskanzler, Herr Spahn?“ möchte eine ältere
Dame auf einem Bürgertreffen in Westfalen vom 37-Jährigen wissen ("WiWo"). Das war sogar noch vor der Bundestagswahl. Spahn
antwortet damals jovial: „Das ist in der Politik nicht planbar“.
Dennoch scheinen seine Provokationen sehr
geplant. In den vergangenen zwei Jahren kritisierte Spahn:
die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin in einem
eigenen Buch "Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge"
forderte ein Burka-Verbot
forderte ein Islam-Gesetz
kritisierte, dass er in Berlin keinen Kaffee mehr auf deutsch bestellen könne
sprach sich gegen die doppelte
Staatsbürgerschaft aus
forderte eine Leitkultur an deutschen Schulen
Um
ihren innenpolitischen Widersacher und rechten Kronprinzen zu zähmen, holte Angela Merkel Spahn ins
Kabinett.
Mit
seinem Ministeramt kann Spahn jetzt aber mehr, als nur politisch Enttäuschte abholen, wie Donald Trump und die AfD es tun.
Er kann seinen rechten Populismus mit einem Regierungsamt verbinden. Dazu gehören:
Konstante Öffentlichkeit
Stetige Möglichkeit, sich am Rest der Regierung abzuarbeiten
Sich als eines der einzigen Regierungsmitglieder mit klarer rechter Meinung zu profilieren
verprellte Union-Wähler aus der AfD abzuschöpfen
Je mehr Widerspruch Spahn erntet, desto besser. Der Fall Donald Trump hat es gezeigt: Wer ständig mit rechten Äußerungen in den Medien auftaucht, kann Wähler hinter sich bringen. Dreht sich so eine
Spirale weiter, ist Spahn alles zuzutrauen. Gleichzeitig läuft der Gesundheitsminister
in seinem eigenen Ressort nur wenig Gefahr, über politische Affären zu stolpern.
Wenn Angela Merkel geht, könnte Jens Spahn soviel öffentliche Unterstützung gesammelt haben, dass der CDU nicht viel anderes übrig bleiben wird, als ihn zum Kanzlerkandidaten aufzustellen.
Szenario 2: Spahn löst einen Grabenkampf in der CDU aus
"die wie er oder ich gut verdienen, versuchen zu
erklären, wie man sich mit Hartz IV fühlen sollte“
Annegret Kramp-Karrenbauer
Auch
in Bezug auf die Debatte um die Strafbarkeit von Abtreibung und den Strafrechtsparagrafen 219a will Kramp-Karrenbauer demonstrativ vermitteln statt wie Spahn zu polarisieren.
Das ist wichtig, denn auf diese Weise degradiert AKK ihren Konkurrenten Spahn. Sie gilt
als Merkel-Nachfolgerin und wird dem rechten Flügel der Partei nicht einfach so
das Feld überlassen.
Kramp-Karrenbauer kommt als Wahlgewinnerin aus dem Saarland; sie gab den
Posten der Landesministerin auf, um ihrer Partei als Generalsekretärin zu
dienen. Bei ihrer Wahl bekam sie knapp 99 Prozent der Deligierten-Stimmen. Das
ist historisch.
Der Grabenkampf kommt
Bild: Getty Images Europe/illu
Sie wird zur Stimme in der konservativen Öffentlichkeit werden, die gegen Spahn steht. Gegen Ende der Ära von Angela Merkel könnte ein lange bestehender
Flügelkampf in der Union ausbrechen. Mit einer gemäßigt konservativen AKK auf
der einen und einem Hardliner Jens Spahn auf der anderen Seite.
Szenario 3: Der heimliche Favorit kämpft an einem anderen Tag
Jens Spahn kann provozieren. Aber er kann auch zurückrudern.
Wer den CDU-Politiker in den vergangenen Jahren beobachtet hat, hat auch einen
Spahn erlebt, der es versteht, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Spahn ist jung und kann auf Zeit spielen:
Er wird stetig die öffentliche Aufmerksamkeit ausnutzen
sich als Gesundheitsexperte auch eine fachliche Reputation in der Regierung verschaffen
Den Kampf um Angela Merkels Nachfolge abwarten, um danach erst zum Sprung anzusetzen
Mit einer guten Basis bei den Rechtsaußen-Wählern und mit einer guten Reputation bei der gemäßigteren Basis hat Spahn in acht Jahren vielleicht noch bessere Chancen.
Genug Arbeit gibt es bis dahin. Der Pflegenotstand und die Situation an
Krankenhäusern macht Bürgern im ganzen Land zu schaffen. Wenn Spahn diese
Baustellen anpacken kann, dann hat er gleich doppelt gepunktet und kann auf das
leidige Rennen in der „Merkel-Folge“ verzichten.
AfD-Abgeordneter will Olaf Scholz bei Vertrauensfrage unterstützen
Bundeskanzler Olaf Scholz' (SPD) Vertrauensfrage am 16. Dezember soll den Weg für die Neuwahlen im Februar ebnen. Es gilt als reine Formalität, damit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dann den Bundestag auflösen kann.