
Die Grünen wollen sich in Ostdeutschland breiter aufstellen- Bild: dpa / Sebastian Willnow
Exklusiv
Im kommenden Jahr stehen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt Landtagswahlen an. Die Grünen bereiten sich mit einer strategischen Neuaufstellung darauf vor. Vor Ort reagiert man zuweilen verhalten.
17.07.2025, 19:1417.07.2025, 19:14
"Haben wir den Osten aufgegeben – oder der Osten uns?" Eine Frage, die zumindest bis zum Gedankenstrich schon Dutzende Male gestellt wurde.
Auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sind die strukturellen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland ein großes und entsprechend viel diskutiertes Thema – auch und vor allem für die Politik. Angesichts der hohen Wählerzustimmung für die in weiten Teilen rechtsextreme AfD-Partei in Ostdeutschland ringen die anderen Parteien erbittert um gemäßigte, aber überzeugende Positionen.
Die Grünen kamen bei der Bundestagswahl 2025 in den ostdeutschen Bundesländern zusammen auf gerade einmal 7,9 Prozent. In Westdeutschland waren es mit 12,5 Prozent deutlich mehr – trotz Verlusten im Vergleich zu 2021.
Seit Jahren kämpfen die Grünen in einigen Landkreisen in Ostdeutschland erbittert gegen Zustimmungswerten unter drei Prozent. Gerade angesichts der anstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt im kommenden Jahr hätte die Partei einen Stimmungswandel aber bitter nötig – auch weil die Politik in Ostdeutschland häufig als "Seismograf" für die Bundespolitik bezeichnet wird.
Grüne-Parteichef öffnet Wahlkreisbüro in Ostdeutschland
"Es ist mehr zu verlieren als zu gewinnen im nächsten Jahr", weiß auch Parteichef Felix Banaszak. Am Dienstag hat er daher sein zweites Abgeordnetenbüro eröffnet – in Brandenburg an der Havel, gut 400 Kilometer von seinem eigentlichen Wahlkreis in Duisburg entfernt. Auch hier stürzten die Grünen bei der Bundestagswahl zuletzt um gut vier Prozent ab.
In Brandenburg (und damit ganz Ostdeutschland) will man den Wähler:innen nun mehr auf Augehöhe begegnen. "Präsenz und Relevanz" seien die Ziele, so heißt es in einem neuen Impulspapier, aus dem auch die provokante Frage zum aufgegebenen Osten stammt.
"Wir wollen auf die Erfahrungen der Ostdeutschen zurückgreifen und sie für die gesamte Partei, das gesamte Land nutzbar machen", schreibt Banaszak dort zusammen mit seinem Thüringer Parteikollegen Heiko Knopf.
Konkret soll bei den Grünen nun ein Beirat mit dem Namen "Bündnisgrüner Osten" entstehen. Dieser soll den Bundesvorstand in Bezug auf ostdeutsche Belange beraten. Auch häufigere Besuche von Spitzenpolitiker:innen in den ostdeutschen Landesverbänden sind laut dem Papier geplant. Andere konkrete Schritte werden nicht genannt.
Die Grünen und ihr schwerer Start im Osten
Vor Ort in Ostdeutschland hält man sich mit großen Freudensprüngen bisweilen ebenfalls zurück. "Das Papier ist sicherlich ein guter Ansatz, reicht jedoch nicht aus, um direkt Wahlerfolge zu erzielen", sagt Miriam Schröter, Sprecherin der Grünen Jugend (GJ) in Sachsen auf watson-Anfrage. "Dafür braucht es neues Vertrauen in die Partei, das in den letzten Jahren stark gelitten hat."
Schröter fordert in diesem Zusammenhang auch mehr Sichtbarkeit von ostdeutschen Vertreter:innen in der Bundespolitik sowie in den Medien. "Gerade hier, wo soziale Fragen so ausschlaggebend sind, brauchen wir eine Ausrichtung, welche die bündnisgrüne DNA in den Fokus stellt: sozial-gerecht, ökologisch, antifaschistisch und queerfeministisch", betont sie.
Grüne Jugend sieht Nachholbedarf in Ostdeutschland
Aktuell leben gerade einmal acht Prozent aller Grünen-Mitglieder in Ostdeutschland. Das Problem der fehlenden Begeisterung für die Partei ist allerdings kein neues. Schon mit dem Zusammenschluss der westdeutschen Grünen und der ostdeutschen Bürgerbewegung Bündnis 90 im Jahr 1993 kam es immer wieder zu innerparteilichen Fehden und Ungereimtheiten.
In Sachsen-Anhalt etwa lag der Höchstwert bei einer Landtagswahl im Jahr 2011 bei sieben Prozent, nach der Wende kam die Partei kaum über die drei Prozent. Angesichts des bundesweiten Trends ist nun kaum mit einer Besserung zu rechnen.
"In den letzten Jahren haben sich Bündnis 90/Die Grünen zu sehr auf das Grüne sein fokussiert und das Bündnis 90 ging unter", sagt Markus Pesch von der GJ in Sachsen-Anhalt. "Aber jetzt ist die Zeit gekommen, dass wir wieder auf die Menschen hören, die eine friedliche Revolution in Gang gesetzt haben."
Dass die Grünen allein durch die Impulse im Papier einen erneuten Einzug in den Landtag schaffen werden, hält er allerdings für "unrealistisch". Tatsächlich ist hier zwar vielfach die Rede von "gemeinsamen" Anstrengungen und gegenseitigem Verständnis. Wie dadurch Veränderungen begünstigt werden sollen, bleibt aber offen.
"Die strukturellen Probleme und Unterschiede sind substanziell und nicht wegzudiskutieren", sagt er Pesch gegenüber watson.
In Mecklenburg-Vorpommern sieht es zahlenmäßig indes nicht sehr viel besser aus. "Der Wiedereinzug in den Landtag wird kein Selbstläufer", bestätigt Katharina Horn vom Landesverband der Grünen. Die Stärkung durch den Bundesverband begrüßt man hier erstmal als "wichtiges Signal" und freut sich, dass auch Mitglieder aus den eigenen Reihen dort unterstützen werden-
Wie oft von prominenten Figuren wie Banaszak aber letztlich Impulse in Ostdeutschland ausgehen, bleibt zunächst abzuwarten. Mitbringen will er dem "Tagesspiegel" zufolge unter anderem sein Format "Bier mit Banaszak", bei dem er auch in Duisburg regelmäßig Bürger:innen mit in die Kneipe nimmt.
"Das in Umfragen diagnostizierte Gefühl, Deutsche zweiter Klasse zu sein, wird sich auch nicht mit einer höheren Taktfrequenz des öffentlichen Nahverkehrs lösen lassen", betont man zwar im neuen Impulspapier. Ob das aber bei einem Kneipenabend anders aussieht?
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