Jahrzehntelang gehörte die Zeit "beim Bund" zu den prägenden Erfahrungen junger Männer in der Bundesrepublik. Seit 13 Jahren ist die verpflichtende Ableistung des Grundwehrdiensts bei der Bundeswehr allerdings ausgesetzt. Am Mittwoch stellte nun Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sein mit Spannung erwartetes Konzept für einen "neuen Wehrdienst" vor, mit dem er angesichts wachsender Bedrohungen von außen die Landes- und Bündnisverteidigung stärken will.
Genau genommen machen zwei Entwicklungen nach Pistorius' Einschätzung die Reform erforderlich: die anhaltende Personalschwäche der Bundeswehr – und die wachsende militärische Bedrohung durch Russland.
Sein Ministerium geht davon aus, dass Russland trotz des schwierigen Kriegs in der Ukraine bis 2029 in der Lage ist, Nato-Territorium anzugreifen. Das Fazit des Ministeriums: "Wir müssen unsere Fähigkeiten zur Abschreckung und Verteidigung so verbessern, dass Aggressoren davon ablassen, Nato-Territorium anzugreifen."
Doch verpflichtend ist Pistorius' Modell keineswegs. So betont der Verteidigungsminister vehement einen "neuen Wehrdienst", der "verpflichtende Elemente" enthält.
Denn verpflichtend wird in seinem Vorschlag die Erfassung von jungen Menschen. Konkret heißt das, dass Frauen und Männer bei Erreichen des wehrfähigen Alters – in der Regel zum 18. Geburtstag – angeschrieben werden. Männer werden aufgefordert, einen Fragebogen auszufüllen, und sie sind verpflichtet, ihn zu beantworten und zurückzusenden. Bei Frauen ist die Rücksendung freiwillig.
Nächster Schritt nach der Erfassung ist die Musterung. Bereits vor der Musterung trifft die Bundeswehr eine Auswahl: Sie prüft die zurückgesandten Fragebögen und lädt nur jene Absender:innen zur verpflichtenden Musterung ein, die besonders geeignet und motiviert für einen Wehrdienst erscheinen. Die Auswahl soll laut Verteidigungsministerium nach Qualitätskriterien erfolgen.
Die Ausgewählten sollen dann, wenn sie wollen, sechs Monate Grundwehrdienst leisten. Dieser kann freiwillig um bis zu 17 Monate verlängert werden. Gezwungen wird niemand.
Rechtlich wird es aber an einer Stelle etwas kompliziert: Das Grundgesetz beschränkt eine Verpflichtung zum Dienst in den Streitkräften in Artikel 12a ausdrücklich auf Männer. Eine solche Ungleichbehandlung erscheint vielen heute nicht mehr zeitgemäß.
Für eine Angleichung müsste aber das Grundgesetz geändert werden – ein aufwändiger Prozess. Pistorius will dieses heiße Eisen in dieser Legislaturperiode nicht mehr anpacken.
Eine Unmöglichkeit, wie Grünen-Abgeordnete Emilia "Milla" Fester findet. Sie setzt sich mit ihrer Politik vor allem für junge Menschen und Frauen ein.
"Wäre die Musterungspflicht nicht sowieso schon ein fragwürdiger Vorschlag für die angesprochene Jugend, so gilt der erwartbare verpflichtende Einzug zu allem Überfluss auch noch nur den jungen Männern", sagt Fester bei watson. Sie fragt sich: "Was soll das für ein Zeichen an die Frauen in der Bundeswehr sein, die einen so wichtigen Teil zur Kulturveränderung in der Armee beitragen?"
Fester betont zudem: Der Vorschlag werde der Jugend insgesamt nicht gerecht. "Wieder muss sie herhalten, um die Versäumnisse der letzten Jahre aufzufangen." Den Grund sieht sie darin, dass die Verteidigungspolitik nach dem Ende der Wehrpflicht keine angemessenen Angebote gemacht habe, um genug Leute für den freiwilligen Wehrdienst zu bekommen.
"Das ist ein krasser Eingriff in das Leben von jungen Menschen." Fester fordert: "Stattdessen sollten wir ihnen besser zuhören und ihre Wünsche und Sorgen ernst nehmen."
Ihr Vorschlag: eine weitreichende Reform des freiwilligen Wehrdienstes, aber auch aller zivilen Freiwilligendienste. Diese soll die Jugend einerseits gleichstellen und andererseits mit guter Demokratiebildung und finanzieller Absicherung für alle jungen Menschen ausstatten. "Wir sollten das komplette Potenzial der Freiwilligkeit nutzen!"
(Mit Material der afp)