Europa oder Russland: Wohin bewegt sich Georgien am Wahltag?Bild: imago images / Jan Schmidt-Whitley
Gastbeitrag
Für Georgien stehe viel auf dem Spiel bei den Parlamentswahlen am 26. Oktober, meint Stephan Malerius von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis. In seinem Gastbeitrag beschreibt er die Stimmung vor Ort.
stephan malerius, gastautor
Anfang Oktober tauchten in der Hauptstadt Wahlkampfplakate der vom Oligarchen Bidsina Iwanischwili gegründeten Regierungspartei des "Georgischen Traums" auf: Rechts die prunkvolle Sameba-Kathedrale in Tiflis vor blauem Himmel und in der Ecke die Zahl 41, Listennummer des "Georgischen Traums". Links in Schwarz-Weiß eine zerstörte Kirche aus der Ukraine, in der Ecke die Zahlen 4, 5, 9 und 25, Listennummern der Oppositionsblöcke.
Die Botschaft war klar: Wer für den "Georgischen Traum" stimmt, wählt Frieden, wer für die Opposition stimmt, bekommt Krieg.
Der pro-russische "Georgische Traum" will sich von der EU abwenden.Bild: imago images / Florian Gaertner
Das ukrainische Außenministerium verurteilte die Verwendung von Bildern des brutalen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine für Wahlwerbung in Georgien scharf und erklärte, die Georgier brauchten keine Angst vor einem neuen Krieg zu haben, solange die Ukraine der russischen Aggression widerstehe.
"Gewinnt der Georgische Traum die Wahl und setzt seine offen anti-westliche Politik fort, droht die EU den ganzen Südkaukasus zu verlieren."
Georgien wählt am 26. Oktober: Europa oder Russland?
Es steht viel auf dem Spiel bei den Parlamentswahlen in Georgien am 26. Oktober; für das Land, für die Region, auch für Europa. Krieg vs. Frieden ist das eine Thema, das den Wahlkampf beherrscht, Russland vs. Europa das andere.
Nachdem der Georgische Traum im Frühsommer zunächst ein "Agentengesetz" verabschiedet hatte, das nach russischem Vorbild die kritische Zivilgesellschaft und unabhängige Medien unter staatliche Kontrollen bringen sollte und dann auch noch ein anti-LGBTQ-Gesetzespaket ankündigte, machte Brüssel ernst: Der EU-Beitrittsprozess wurde auf Eis gelegt.
Auch das europäische Geld, das für Georgien im Sicherheits- und Verteidigungsbericht in diesem Jahr vorgesehen war, wurde eingefroren. Gewinnt der Georgische Traum die Wahl und setzt seine offen anti-westliche Politik fort, droht die EU den ganzen Südkaukasus zu verlieren, einschließlich Armenien, das in den letzten Jahren sehr europafreundlich geworden ist und für das Georgien die Brücke nach Europa bildet.
Auch in Moskau werden die Wahlen in Georgien ganz genau beobachtet.
Sieg des Georgischen Traums würde Russlands Einfluss stärken
Kreml-Sprecher Dimitri Peskow verlautbarte Anfang Oktober, der Westen setze die georgische Regierung unter Druck und wolle den Ausgang der Wahlen beeinflussen. Zuvor hatte schon der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes erklärt, ein Sieg der Opposition in Georgien sei nur durch einen "Tiflis-Maidan" möglich.
Das werte man als eine "Farbenrevolution", die für demokratische Umbrüche in den Ländern stehen. Daher werde Russland versuchen, sie zu verhindern. Ein Sieg des "Georgischen Traums" würde für den Kreml bedeuten, nicht nur dem zuletzt schwindenden Einfluss im Südkaukasus entgegenzuwirken, sondern auch verhindern zu können, dass Georgien sich den europäischen Bemühungen anschließt, Russland zu isolieren.
Georgien ist gespalten zwischen pro-europäisch und pro-russisch.Bild: imago images / Jan Schmidt-Whitley
Diese Parteien treten zur Wahl in Georgien an.
Georgien-Wahl: Listennummern statt Parteifarben
Was in Deutschland die Parteifarben sind, sind in Georgien die Listennummern: Hinter 41 steht der "Georgische Traum", der seit 2012 regiert, zuletzt mit absoluter Mehrheit. Er wird von vier Wahlblöcken der Opposition herausgefordert: Auf der Nr. 4 startet "Achali" (georgisch "Neu"), ein Zusammenschluss von liberal-konservativen Parteien oder Bewegungen aus dem Umfeld der bis 2012 regierenden Vereinigten Nationalbewegung.
Mit der Nr. 5 tritt eben diese Vereinigte Nationalbewegung an, die immer noch vom dritten Präsidenten Georgiens, Michail Saakaschwili, dominiert wird. Zum Hintergrund: Saakaschwili, der lange im Exil vor allem in der Ukraine lebte, ist 2021 nach Georgien zurückgekehrt und wurde unmittelbar nach seiner Rückkehr wegen Amtsmissbrauch inhaftiert.
Anhänger:innen von Michail Saakaschwili protestieren für seine Freilassung.Bild: imago images / David Mdzinarishvili
Auf Nr. 9 steht der Wahlblock "Starkes Georgien", ein Bündnis links-liberaler Gruppierungen, die auch die zivilgesellschaftlichen Bewegungen abbilden, welche die Proteste gegen das "russische Agentengesetz" im Frühjahr prägten.
Unter Nr. 25 schließlich tritt mit "Für Georgien" der ehemalige Ministerpräsident Giorgi Gacharia (2019 bis 2021) an, der sich mit Iwanischwili auch wegen dessen Russlandnähe zerstritten hatte und nun helfen will, den "Georgischen Traum" abzulösen.
Georgien: Das sagen die Umfragen zum möglichen Wahlausgang
Meinungsumfragen in Georgien sind wenig belastbar. Jede politische Formierung besitzt ihre eigenen Zahlen, die zumeist zwischen bestelltem Ergebnis und Wunschdenken changieren.
Das Orbi Zentrum des "Georgischen Traums" etwa prognostizierte zuletzt für die Regierungspartei 59,8 Prozent, ein Ergebnis, für das das Etikett "absurd" noch euphemistisch klingt. In diesem soziologischen Nebel zeichnet sich dennoch eine Tendenz ab, die den "Georgischen Traum" bei 30 bis 35 Prozent und die vier Oppositionsblöcke gemeinsam bei über 50 Prozent sieht.
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Insbesondere junge Menschen scheinen landesweit gegen die Regierung mobilisiert werden zu können. In den letzten Wochen hat sich zunehmend spürbar eine Wechselstimmung im Land ausgebreitet: Nach 12 Jahren Amtszeit sind die Menschen des "Georgischen Traums" überdrüssig, der für Korruption, Arroganz und Vetternwirtschaft steht.
Ein Demonstrant hält eine EU-Flagge, während einer Demonstration vor dem Parlamentsgebäude.Bild: AP / Zurab Tsertsvadze
Insgesamt könnte es wie bei anderen Wahlen in diesem Superwahljahr auch in Georgien zu einem Negativvotum gegen die Regierung kommen, das weniger eine Abstimmung für die Opposition wäre.
Die große Frage ist, was am Wahltag passiert. Ist ein wie auch immer gearteter geordneter Machtwechsel vorstellbar?
Wahltag in Georgien: Bleibt es friedlich?
Iwanischwili, der nicht nur Parteigründer, sondern auch der einzige Entscheidungsträger im "Georgischen Traum" ist, hatte es in einer programmatischen Rede im April klar formuliert: Er sei weder Schewardnadse, der 2003 durch die Rosenrevolution in Georgien von der Macht verdrängt wurde, noch Janukowitsch, der 2014 während des Euromaidans in der Ukraine das Land verließ.
Der Oligarch Bidsina Iwanischwili ist Gründer der Regierungspartei des "Georgischen Traums",Bild: imago images / stock&people
Das klingt nicht nach der Anerkennung einer Wahlniederlage. Die Opposition demgegenüber ist genauso entschlossen, sich den Wahlsieg nicht stehlen zu lassen – wenn dieser denn eintritt. Und so stehen sich die beiden Lager genauso unversöhnlich gegenüber wie im April/Mai, als vor allem junge Menschen über mehrere Wochen mit ihren Protesten gegen das Agentengesetz die Straße beherrschten.
Anfang Juni trat das Gesetz dann in Kraft und die Demonstrationen verebbten. Auch, weil es ja noch die Wahlen gab. Neues Spiel, neues Glück.
Dieses Mal aber ernst. Noch ernster.
Krieg oder Frieden. Sieg oder Niederlage. Russland oder Europa. Georgien hat die Wahl.