In Brüssel herrscht nach einem Attentat die höchste Terrorwarnstufe.Bild: AP / Nicolas Landemard
International
17.10.2023, 08:1117.10.2023, 08:58
Die europäischen Terrorjahre sind mehr oder weniger vorbei, diese Hoffnung hatten wohl zumindest viele Menschen nach 2017.
Auf die Anschlagsserie vom 13. November 2015 in Paris, bei der 130 Menschen getötet und 350 verletzt wurden, folgten Attentate in Brüssel, Nizza, Berlin, Istanbul, Manchester und London. Nach 2017 wurde es ruhiger, ganz weg war die Gefahr islamistischer Anschläge allerdings nie.
Die Nachricht vom 16. Oktober dieses Jahres aus Belgien erschüttert nun allerdings aufs Neue. Zwei Schweden sterben durch tödliche Schüsse, der mutmaßliche Attentäter befindet sich derzeit noch auf der Flucht. Für die belgische Hauptstadt wurde am Montagabend die höchste Terrorstufe ausgerufen. Wegen eines "potenziell terroristischen Motivs" zog die Bundesstaatsanwaltschaft die Ermittlungen an sich.
Jetzt, mit dem Krieg im Nahen Osten und der damit verbundenen Destabilisierung der Region befürchten viele, die Zeit des Terrors könne endgültig nach Europa zurückkommen. Der Flughafen in Hamburg und das Museum Louvre in Paris mussten zwischenzeitlich bereits gesperrt werden. Der Grund: Bombendrohungen.
In Frankreich wurde in diesem Zusammenhang bereits die Terror-Warnstufe ausgerufen. Sie ermöglicht unter anderem die Sperrung bestimmter Straßen oder Verkehrsmittel oder die Benachrichtigung aller Einwohner:innen über ein Notsystem. Ist die Terrorgefahr in Europa durch den Krieg zwischen Israel und der Hamas nun tatsächlich gestiegen?
Sicherheitsbehörden und Innenministerium sprechen von ernster Lage
Der Thüringer Verfassungsschutz geht zumindest davon aus. Landesverfassungsschutzpräsident Stephan Kramer erklärte gegenüber dem "Handelsblatt", dass radikalisierte Sympathisant:innen der Hamas es möglicherweise "nicht mehr nur beim Demonstrieren belassen, sondern konkrete Anschläge gegen jüdische und israelische Einrichtungen und Personen verüben" könnten.
Er äußert außerdem die Befürchtung, dass wegen des Terrors der Hamas die Feindlichkeit gegen Muslime und andere Migrant:innen in Deutschland wachsen könnte.
Innenministerin Nancy Faeser machte derweil deutlich: "Wir nehmen die aktuelle Gefahr von Solidarisierungs- und Unterstützungsaktionen für den Terror der Hamas sehr ernst."
Aus diesem Grund würden islamistische Vereinigungen in Deutschland aktuell noch genauer unter die Lupe genommen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung im Bundestag klargestellt: Wer die Verbrechen der Hamas in Deutschland verherrliche oder die Organisation unterstütze, mache sich strafbar.
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Jüdisches Leben besonders gefährdet
Expert:innen rechnen damit, dass vor allem jüdisches Leben in Europa bedroht sein dürfte. "Es ist denkbar, dass, solange der Krieg anhält, jüdische Personen und Einrichtungen ins Visier von gewaltbereiten Gruppierungen und Einzeltätern geraten", erklärt Johannes Saal, Dschihadismus- und Terrorexperte an der Universität Luzern dem Schweizer Onlinemedium "20Minuten".
In Berlin beispielsweise wurden bereits in der vergangenen Woche mehrere Häuser, in denen Menschen jüdischen Glaubens leben, mit Davidsternen markiert. Das Berliner Landeskriminalamt ermittele nun wegen Volksverhetzung, heißt es auf Nachfrage von watson.
Extremismusexperte Peter Neumann vom King’s College in London erklärte gegenüber "20Minuten", dass Gewaltausbrüche am Rande von pro-palästinensischen Demonstrationen zu befürchten seien. Umso länger der Krieg dauere, meint Neumann außerdem, desto mehr steige die Terrorgefahr in Europa an. Zwar gebe es keine Anzeichen für größere Netzwerke, die Terroranschläge planten – aber durch den Krieg im Nahen Osten könnten schlafende Einzeltäter aktiviert werden.
Migrationsforscher Ruud Koopmans von der Humboldt-Universität Berlin teilt auf X, früher Twitter, seine Befürchtung, dass sich Hamas-Terroristen in einer möglichen Fluchtbewegung untertauchen könnten. Er schreibt: "Die Einreise von Tausenden Hamas-Sympathisanten und Aktivisten wäre eine große Bedrohung für die innere Sicherheit Europas, nicht zuletzt auch für die europäischen Juden. Was die Folgen sein können, haben wir bereits einmal ab 2015 gesehen, u.a. in Paris, Brüssel, Berlin." Er fordert deshalb Migrationsabkommen mit Ägypten und Lybien.
Eine Sorge, die Neumann bei "20Minuten" nicht teilt. Dort erklärt der Extremismusexperte: "Die Hamas hat immer gesagt, sie verübe keine Anschläge außerhalb des Nahen Ostens. Dass sich das ändert, glaube ich nicht." Was nun aber passieren müsse: Die Sicherheitsbehörden müssten ihren Blick auf Online-Radikalisierung richten. Denn viele junge Menschen radikalisierten sich beispielsweise über Telegram.
Der Anschlag auf den Club "Bataclan" in Paris setzte eine Terrorserie in Gang.Bild: imago images / PanoramiC/ Jonathan Rebboah
Auch Thomas Greminger, Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, spricht bei der "Aargauer Zeitung" von einer Eskalationsgefahr. Er sagt: "Wenn nun ein längerer brutaler Krieg ausbricht, könnten wieder vermehrt Einzeltäter aktiv werden und versuchen, sich besser zu organisieren." Die Eskalation im Nahen Osten sei ein gefundenes Fressen für IS-Terroristen, um stärker zu mobilisieren. "Ob der Westen gut gerüstet ist, um dies zu verhindern, werden wir sehen", schließt der Experte.
Klar sei aber auch, meint der Sicherheitsexperte Joachim Krause in einem früheren Gespräch mit watson, die absolute Sicherheit gibt es nicht. "Man kann sich vor so etwas nicht sichern. Es sei denn, man bleibt zu Hause", sagt er. Deutschland sei trotz allem eines der sichersten Länder der Welt. Das liege auch an der guten Koordination zwischen den Behörden und zahlreichen sinnvollen Sicherheitsmaßnahmen. Etwa Pollern, die verhindern, dass Autos an Orte gelangen, an denen sich viele Menschen aufhalten.
Der Gazastreifen liegt in Schutt und Asche, das Sterben gehört dort zum Alltag, Kinder leiden massiv: Der Nahost-Konflikt und das brutale Agieren Israels im Gazastreifen spaltet die Gesellschaft. Es hagelt seit Monaten Kritik zur ungeheuren Brutalität, mit der das Land unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Enklave vorgeht. Auch in Israel wird der Widerstand größer.