Jewgeni Prigoschin – spätestens seit der Schlacht um Bachmut ist der Name auch vielen Menschen hierzulande ein Begriff. Der russische Oligarch befehligt die Söldnertruppe Wagner, die die umkämpfte ostukrainische Stadt offenbar in der vergangenen Woche für Russland eingenommen hat.
Für die Kriegsstrategen im Kreml ist die Wagner-Gruppe ein wesentlicher Baustein im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Weil Prigoschin weiß, wie unverzichtbar er ist, kritisiert er die russische Führung so offen, wie niemand sonst in Russland. Der Söldner-Chef prangert regelmäßig Korruption, Eitelkeit und überbordende Bürokratie in der russischen Armee an und führt vor allem mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu und dessen Generalstabschef Waleri Gerassimow einen verbalen Kleinkrieg.
Viele Beobachter:innen überrascht die Narrenfreiheit, die Prigoschin in Moskau genießt. Jeder andere wäre für so kremlkritische Äußerungen wohl längst entlassen worden oder im Gefängnis beziehungsweise im Arbeitslager verschwunden. Warum lässt Putin dem Wagner-Chef all das durchgehen? Hat er ihn womöglich selbst nicht mehr unter Kontrolle?
In die anhaltenden Spekulationen um eine mögliche Wachablösung im Kreml hat sich jetzt der russische Hardliner Igor Girkin eingeschaltet. Der Ultranationalist und frühere Geheimdienstoffizier hat Prigoschin vorgeworfen, inakzeptable Beleidigungen zu äußern – und einen Putsch vorzubereiten.
In einem Video, das in den sozialen Medien die Runde macht, sagt Girkin, Prigoschin habe einem Teil der russischen Armee und Elite den "Krieg" erklärt. Er plane, die Risse innerhalb der russischen Führung, die er mit seinen Verbalattacken offengelegt habe, auszunutzen. "Wenn Prigoschin Chef der Wagner-Gruppe bleibt, wird die Meuterei schnell und radikal kommen", sagt Girkin in dem Video zudem.
Der Ex-Offizier, gegen den in Russland im April selbst wegen "Diskreditierung der Armee" ermittelt wurde, fordert vom Kreml, gegen Prigoschin wegen "inakzeptabler Beleidigungen" vorzugehen. Gleichzeitig betonte er die militärische Wichtigkeit der Wagner-Söldner: "Wir haben keine andere Armee und müssen sie zu einem kampffähigen Instrument machen", erklärte Girkin.
Laut der russischen Politologin Tatjana Stanowaja ist Putin immer noch stark genug, um in Moskau die Machtbalance zu bewahren. Allerdings habe die Wagner-Gruppe längst ein Eigenleben entwickelt. In ihren Augen hat Prigoschin zudem tatsächlich revolutionäre Ansichten.
"Der Krieg bringt Monster hervor, deren Rücksichtslosigkeit und Verzweiflung eine Herausforderung für den Staat darstellen können", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Schon bei der kleinsten Schwäche könne das System kippen.
Gegenüber watson hatten Russland-Experte Nikita Gerasimov und Politik-Analyst Andreas Umland die Situation Ende April noch anders eingeschätzt. "Prigoschins öffentliches Auftreten spricht eher dagegen, dass er reale politische Ambitionen im Sinne der Erlangung eines politischen Amtes hat", sagte Gerasimov. Schließlich stelle dieser permanent seine Abneigung gegenüber "wichtigen Leuten in großen Kabinetten" zur Schau. "Sollte er am Ende doch ein politisches Amt erlangen", sagte Gerasimov, "wäre das ein totaler Bruch in der Selbstdarstellung".
Auch Umland rechnete nicht mit einem Schritt Prigoschins in die Politik. Man könne gewisse Ambitionen erkennen, ob diese eine eigene politische Dynamik entfalten, sei aber ungewiss. "Prigoschin ist eher ein Mann der zweiten Reihe", sagte der Politikexperte.
(mit Material der dpa)