Melitopol im Süden der Ukraine steht seit dem 3. März 2022 unter russischer Besatzung. Es war eine der ersten größeren Städte, die Russland nach Beginn des Krieges einnahm. Einst war die Stadt ein Ort religiöser Vielfalt. Seit der Besetzung durch Russland hat sich das Bild gewandelt. In der investigativen Dokumentation "No God But Theirs" des "Kyiv Independent" berichten Geistliche von Repressionen und Verfolgung.
Einer von ihnen ist Dmytro Bodyu, ein US-amerikanischer Pastor, der in Melitopol lebte und predigte. Seine Geschichte steht exemplarisch für die systematische Unterdrückung religiöser Gemeinschaften durch die russischen Besatzungsbehörden.
Am Morgen des 19. März 2022 rückten rund 15 russische Soldaten in Sturmhauben und mit Schilden zu Bodyus Haus vor. "Sie sprangen über Zäune, kamen durch Nachbargärten, drangen von allen Seiten gleichzeitig ein", erzählt er im Interview mit dem "Kyiv Independent". Sie verhielten sich, als würden sie einen Drogenboss jagen. Bodyu wurde verhaftet – unter dem Vorwurf, für die CIA zu arbeiten.
Was folgte, war eine mehrtägige Haft. Russische Geheimdienste verlangten von ihm, seinen "Führungsoffizier aus Langley" zu nennen – ein direkter Verweis auf amerikanische Geheimdienste. Immer wieder wurde er mit absurden Fragen konfrontiert, etwa nach seinem "Rufzeichen".
"Es fühlte sich an wie in einer psychiatrischen Klinik – man ist völlig gesund, aber sie versuchen, dich vom Gegenteil zu überzeugen", erinnert sich Bodyu. Russische Soldaten warfen ihm vor, Proteste organisiert, Geld an das ukrainische Militär gespendet und Partisanengruppen unterstützt zu haben. "Wir haben den Befehl, Sie zu erschießen", sagten sie laut Bodyu.
Nur eine Intervention des US-Außenministeriums rettete ihn offenbar davor, noch länger in Haft zu bleiben – oder Schlimmeres zu erleben. Nach acht Tagen wurde er überraschend freigelassen. Ein FSB-Agent sagte nur: "Sie haben es ganz oben entschieden." Auf die Nachfrage, ob er "Gott" meine, antwortete er: "Nein, Moskau."
Nach seiner Entlassung floh Bodyu mit seiner Familie aus Melitopol. Sie leben heute in der Nähe von Kiew. Seine frühere Kirche, "Wort des Lebens", wurde am 26. Dezember 2022 – einen Tag nach Weihnachten – offiziell verboten. Das Gebäude nutzt heute das russische Innenministerium.
Auch privat verlor er alles: Sieben Cafés und Restaurants, die er in der Stadt betrieb, wurden beschlagnahmt. "Ich nenne sie Piraten. Genau das sind sie – Piraten. Sie haben sich genommen, was sie wollten", sagt Bodyu.
Der Fall von Dmytro Bodyu ist kein Einzelfall. In der Dokumentation "No God But Theirs" zeigen Journalist:innen des "Kyiv Independent", dass mehrere christliche Gemeinden in Melitopol gezielt geschlossen und enteignet wurden.
Betroffen sind neben Bodyus Kirche auch die protestantische Freikirche "Neue Generation", die Baptistenkirche "Grace" sowie die ukrainische griechisch-katholische Kirche, die dem Vatikan untersteht. Ihre Gotteshäuser wurden in russische Behördengebäude umgewandelt.
Religiöse Identität steht im Zentrum russischer Besatzungspolitik – das zeigt sich besonders deutlich in Melitopol. Die Doku legt nahe, dass es sich nicht nur um vereinzelte Übergriffe handelt, sondern um eine gezielte Kampagne.
Unabhängige Kirchen sollen mundtot gemacht, westlich orientierte Glaubensgemeinschaften aus der Öffentlichkeit verdrängt werden. Was Bodyu passiert ist, macht deutlich: Es geht nicht nur um Macht über Gebiete, sondern auch um Kontrolle über Werte, Glauben und Gedanken.