Wissenschaft braucht Freiheit. Doch genau diese gerät in den USA zunehmend unter Druck – nicht durch fehlende Forschungsgelder oder Fachkräftemangel, sondern durch politische Einflussnahme. Wenn Staaten bestimmen, wo Erkenntnisse veröffentlicht werden dürfen, gerät die Glaubwürdigkeit der Forschung ins Wanken.
Aktuell sorgt ein Vorstoß aus Washington für internationale Empörung. US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. unter Präsident Donald Trump will Forschenden künftig vorschreiben, ihre Studien nicht mehr in renommierten Fachjournalen zu veröffentlichen – sondern nur noch in regierungseigenen Medien. Wissenschaftler:innen weltweit sprechen von einem gefährlichen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit.
In einem Podcast-Interview mit "The Ultimate Human" erklärte Kennedy: "Wir werden wahrscheinlich das Publizieren im 'Lancet', im 'New England Journal of Medicine', in 'Jama' und diesen anderen Zeitschriften stoppen, weil die alle korrupt sind." Alles renommierte, große medizinische Fachjournale. Laut "Washington Post" wirft er ihnen vor, von der Pharmaindustrie gesteuert zu sein – nannte dafür jedoch keine Belege.
Er kündigte zudem an, staatlich geförderte Forschung künftig über ein eigenes Regierungsmagazin veröffentlichen lassen zu wollen. Kennedy sagte laut "Washington Post", diese Journale würden "zu den führenden Zeitschriften werden, weil NIH-Finanzierung einen als guten, legitimen Wissenschaftler auszeichnet".
Doch führende Wissenschaftler:innen schlagen Alarm. Matthias Tschöp, wissenschaftlicher Direktor des Helmholtz Zentrums München und designierter Präsident der LMU München, sagte gegenüber der "Süddeutschen Zeitung":
Auch der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung spricht in dem Blatt von einem "schockierenden" Vorhaben: "Wenn Kennedy das durchsetzt, wird die gesamte US-amerikanische Wissenschaftslandschaft kaputt gemacht."
Die Regierung habe schon jetzt durch ihre Förderpolitik erheblichen Einfluss auf Forschungsthemen. Wenn nun auch die Veröffentlichung der Ergebnisse gelenkt werde, drohe eine direkte politische Steuerung von Erkenntnissen.
Ein zentrales Problem: Die geplanten Regierungsjournale sollen offenbar das etablierte Peer-Review-Verfahren umgehen – also die unabhängige Prüfung von Forschungsergebnissen durch Fachkolleg:innen. Watzl erklärt: "So wird dafür gesorgt, dass die Forschung wissenschaftlich solide ist, wirklich neu ist und weitestgehend fehlerfrei."
Auch Tschöp betont, dass eine unabhängige, internationale Begutachtung für die Qualität medizinischer Forschung essenziell sei – und damit auch für die Sicherheit der Patient:innen. Wenn wissenschaftlich zweifelhafte Studien künftig durch ein staatliches "JFK-Jr.-Siegel" ersetzt würden, könnten sich Ärzt:innen und Politik nicht mehr auf fundierte Daten verlassen.
Kennedy kritisierte in dem Podcast auch mehrere US-Behörden wie die CDC, NIH und FDA, die seinem Ministerium unterstehen. Diese seien "Marionetten" der Pharmaindustrie.
Die Trump-Regierung kürzte bereits in der Vergangenheit Mittel für bestimmte Forschungsbereiche – darunter Studien zu Geschlechterunterschieden. Watzl warnt: "Dabei ist das Geschlecht in der Medizin nicht egal. Es ist bekannt, dass Frauen und Männer immunologisch unterschiedlich reagieren." Auch diese Art von inhaltlicher Einflussnahme werde durch die neuen Vorgaben weiter verschärft.
Kennedy selbst verbreitet seit Jahren Verschwörungstheorien über Impfungen. In dem von ihm herausgegebenen Report werden auch angebliche Gesundheitsgefahren durch Impfstoffe genannt – entgegen dem wissenschaftlichen Konsens. Bereits in der Vergangenheit hatte Kennedy die widerlegte Theorie vertreten, Impfungen würden Autismus auslösen.
Katherine Keyes, Epidemiologin an der Columbia University, sagte der "New York Times": "Ich bin besorgt über die Seriosität des Berichts, wenn grundlegende Zitierpraktiken nicht eingehalten werden." Inzwischen hat das Ministerium eine korrigierte Version veröffentlicht – doch selbst dort führten einige Quellen nicht zu wissenschaftlichen Studien, sondern zu Artikeln in der "New York Times".
Die Forschungsgemeinde sieht in dem Vorstoß nicht nur einen politischen Eingriff, sondern eine Bedrohung für die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. "Wenn wir auf Basis solcher Berichte handeln, etwa Impfprogramme stoppen oder falsche Medikamente verabreichen, dann hat die ganze Gesellschaft einen Nachteil davon", warnt Watzl.
Für Tschöp ist klar: Die internationale Wissenschaftsgemeinschaft muss dem politischen Druck geschlossen entgegentreten. "Wir müssen die Freiheit von Forschung und Lehre gemeinsam und entschlossen gegen den Anspruch der Politik auf die Deutungshoheit verteidigen", fordert er.