Der Ukraine-Krieg hat sich zu einem der schwerwiegendsten Konflikte in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Was ursprünglich als russische Invasion in der Ostukraine begann, hat sich zu einem umfassenden militärischen Konflikt ausgeweitet. Er zerstört nicht nur das Leben von Millionen von Menschen in der Region, sondern verschärft auch geopolitische Spannungen auf globaler Ebene.
Dass Moskau und Kiew sich für Verhandlungen an einen Tisch setzen, schien in den vergangenen Monaten kaum noch möglich.
Laut einem aktuellen Bericht hatten Russland und die Ukraine für den August jedoch geheime Pläne geschmiedet. Die Kriegsparteien wollten demnach Delegationen nach Doha, der Hauptstadt Katars, entsenden. Doch nun stehen diese Gespräche auf wackligen Beinen.
Bei den geplanten Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine sollte es um die Einstellung der Angriffe auf die Energieinfrastruktur beider Länder gehen. Die geht aus einem Bericht der "Washington Post" hervor.
Die Energieinfrastruktur ist eine der verwundbarsten Stellen im Ukraine-Krieg. Russland greift kontinuierlich ukrainische Kraftwerke, Staudämme und andere Energieanlagen mit Raketen und Drohnen an. Dadurch standen ganze Städte und teils Regionen ohne Wärme und Strom da. Die Ukraine hat ihrerseits Drohnenangriffe auf russische Ölraffinerien und -lager durchgeführt, wodurch die russische Ölproduktion um etwa 15 Prozent gesenkt wurde.
Diplomatische Kreise und Regierungsquellen berichteten zudem, dass sie als Schritt hin zu einem Teil-Waffenstillstand angesehen wurden. Ein solcher Kompromiss hätte es beiden Nationen ermöglicht, sich von dem anhaltenden Abnutzungskrieg zu erholen. Allein die Bereitschaft Moskaus und Kiews, in Verhandlungen einzutreten, wurde als bedeutender Fortschritt angesehen.
Verhandlungen in Doha wären eine erste Annäherung seit den gescheiterten Gesprächen in Istanbul, kurz nach dem Beginn des groß angelegten Krieges. Zwar wurden die Getreideabkommen zu einem weiteren, wenn auch kurzlebigen, diplomatischen Erfolgspunkt. Russland zog sich jedoch vor einem Jahr nach nur wenigen Monaten davon zurück. Seitdem herrschte diplomatische Eiszeit.
Vor diesem Hintergrund könnten die neuen Gespräche in Doha einen Durchbruch darstellen, schreibt auch das unabhängige, russische Exilmedium "Meduza". Auch eine Basis für einen folgenden Teil-Waffenstillstand schien möglich.
Waffenstillstandgespräche sind ohnehin schwierig: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuvor mehrfach betont, dass ein Waffenstillstand erst nach dem vollständigen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine möglich sei. Einschließlich der bereits 2014 annektierten Krim. Der russische Präsident Wladimir Putin hingegen stellte klar, dass Moskau nur dann Frieden sehen würde, wenn die Ukraine die Annexion der vier von Russland beanspruchten Gebiete Donetsk, Luhansk, Cherson und Saporischschja akzeptiere.
Doch die unerwartete Offensive der ukrainischen Streitkräfte in der russischen Region Kursk haben die Verhandlungspläne abrupt gestoppt, heißt es in dem Bericht. Russische Beamte sollen nun den Besuch in Doha verschoben haben.
Ein Diplomat, der mit den Vorbereitungen vertraut ist, erklärte, dass Moskau die Offensive als "Eskalation" wertete. Dass Russland diesen Krieg mit seiner Invasion gestartet hatte, wird hier offenbar außer Acht gelassen. Kiew hatte Doha jedenfalls im Vorfeld nicht über die bevorstehende Militäroperation auf russisches Territorium informiert.
Russland habe die Gespräche jedoch nicht endgültig abgesagt. Moskau habe lediglich um Zeit gebeten, um die Situation zu analysieren, berichtete eine Quelle der "Washington Post".
Das Treffen in Doha sei nun auf den 22. August verschoben worden, berichtete ein Berater aus dem Büro des ukrainischen Präsidenten dem Medium. Es solle allerdings aufgrund der Lage im Nahen Osten als Videokonferenz stattfinden. Nach dem Gipfel plane Kiew Konsultationen mit seinen Verbündeten, um mögliche Vereinbarungen umzusetzen.
In Moskau und Washington war man zu keiner Stellungnahme bereit. Die US-Regierung hatte zuvor mehrfach betont, dass die Teilnahme an Waffenstillstandsverhandlungen eine souveräne Entscheidung der Ukraine sein müsse.
Ein anonymer Diplomat erklärte gegenüber der "Washington Post", dass sowohl Kiew als auch Moskau Signale der Kompromissbereitschaft gesendet hätten. Doch zwei weitere Quellen, die mit den Vorbereitungen vertraut sind, äußerten Zweifel am Erfolg des Treffens. Sie bezifferten die Chancen auf eine Einigung auf nur 20 Prozent oder weniger – ohne Berücksichtigung des "Kursker Faktors".
Ein weiterer Grund für die Skepsis ukrainischer Beamter gegenüber den russischen Absichten sei die Intensivierung der russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur in den letzten Wochen. Diese Situation könnte zu einer drastischen Einschränkung der Stromversorgung in den Wintermonaten führen, möglicherweise auf nur fünf bis sieben Stunden pro Tag.
Ein ukrainischer Beamter betonte: "Unser Überleben im Winter hängt davon ab, dass Russland die Angriffe auf unsere Energieinfrastruktur einstellt." Die Operation in Kursk wurde von mehreren Quellen als Versuch Kiews gesehen, seine Verhandlungsposition zu stärken. Doch bislang scheint dieser Plan nicht aufgegangen zu sein: Die Wahrscheinlichkeit einer friedlichen Einigung hat nach dem ukrainischen Einmarsch in russisches Gebiet offenbar abgenommen.
Im Gegensatz zum Getreideabkommen, das unter Vermittlung der Türkei und der UNO zwischen Ukraine und Russland ausgehandelt wurde, wolle die Ukraine sicherstellen, dass ein mögliches Abkommen über ein Embargo gegen "energetische" Angriffe durch die Garantien ihrer Partner "definitiv funktionieren" wird.