Vor dem Weißen Haus steht ein Mann und denkt an Syrien. "Am liebsten hätten wir Amerikaner nichts damit zu tun", sagt Jason West und zuckt mit den Schultern, "aber irgendwer musste wohl reagieren." Der 41-Jährige ist aus Los Angeles eingeflogen und genießt in der Abendsonne den Blick auf das Weiße Haus.
Dort drinnen verkündete Donald Trump knapp 24 Stunden zuvor den Vergeltungsschlag gegen Syrien. "Trump hat getan, was er gesagt hat, er ist nicht eingeknickt", sagt West, der als Demokrat eigentlich kein Anhänger des Präsidenten ist. Er findet, Trump habe "Führungsqualitäten" gezeigt. Es sei ja eine vertrackte Lage, die Russen stünden hinter Assad, das mache alles schwierig.
Er kenne keine Details, weder für die Angriffe noch über die Lage im Land, sagt er etwas entschuldigend, er sei einfach erleichtert, dass die Regierung etwas getan hat.
West bringt damit auf den Punkt, was viele seiner Mitbürger über die Militärschläge denken. Syrien ist kein Thema, das normale Amerikaner umtreibt. Zu weit weg, zu kompliziert und zu deprimierend. Anders als in Deutschland zwingt auch keine große Fluchtbewegung zur Beschäftigung mit dem Land.
In der Parallelöffentlichkeit der Neurechten, die für Verschwörungstheorien empfänglich ist, schrillen die Alarmglocken. Hier wird der Chemiewaffeneinsatz als sogenannte "False Flag"-Operation gesehen, die Amerika in neue Kriege drängen soll. Einer der erfolgreichsten Verschwörungstheoretiker im Trump-Orbit, Alex Jones, bricht in seiner Sendung gar in Tränen aus, weil er sich von Trump getäuscht sieht.
Doch er und seine Mitstreiter werden Trump verzeihen: Auch für sie gibt es wichtigere Themen als Syrien.
Ähnlich erging es Trump vor einem Jahr, als er mit einem Luftschlag auf eine Militärbasis den Chemiewaffenangriff von Chan Scheichun vergelten ließ. Die rechte Basis heulte kurzzeitig auf, doch in der Gesamtheit stiegen seine Beliebtheitswerte an – wenn auch nur für wenige Tage. Dies dürfte jetzt auch passieren.
Am anderen Ende des Meinungsspektrums herrscht Erleichterung über die Begrenztheit der Schläge, nachdem Trumps eskalierende Rhetorik Sorgen vor einer Konfrontation mit Russland beflügelt hatte. Die "New York Times" hält das in ihrem Leitartikel vom Samstag Verteidigungsminister James Mattis zu Gute.
Tatsächlich hatte dieser in internen Debatten im Weißen Haus immer wieder bei der Entscheidung gebremst, bis sich die Beweislage klarer gestaltet hatte, und vor einer Konfrontation mit russischen Kräften in Syrien gewarnt. Im außenpolitischen Establishment in Washington schüttelt man dementsprechend immer noch den Kopf über Trumps wilde Kommunikation.
Im Ergebnis hat Trump allerdings, trotz allem rhetorischen Hin und Her, Wort gehalten und mit Paris und London zumindest zwei Verbündete für diesen Militärschlag gewonnen – vor einem Jahr war man noch im Alleingang vorgeprescht. Und eine Eskalation mit Russland und dem Iran, die beide zahlreiche Kämpfer in Syrien haben, wurde nach jetzigem Stand abgewendet.
Für Trump hat sich das Manöver innenpolitisch also ausgezahlt. Zusätzlich verschafft es ihm kurzfristig Luft in Tagen, in denen sich parallel zur Syrien-Debatte mehrere Affären und Probleme des Präsidenten dramatisch zugespitzt haben. Mit den Ermittlungen gegen seinen Vertrauten Michael Cohen, Konfrontationen über die Russland-Sonderuntersuchung und einer regelrechten Schlammschlacht mit Ex-FBI-Direktor James Comey, der eine brutale Abrechnung mit Trump in Buchform veröffentlicht hat.
Trumps Syrien-Politik bleibt voller Widersprüche: Die Priorität hat nach wie vor die Bekämpfung der Terrormiliz "Islamischer Staat", zugleich will Trump die genau zu diesem Zweck in Syrien eingesetzten US-Soldaten so schnell wie möglich nach Hause holen.
Trump scheint laut Berichten von Mitarbeitern das Schicksal syrischer Kinder und Zivilisten bei Giftgasangriffen wirklich zu bewegen, doch zugleich schottet er die USA für Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Land ab: Im laufenden Jahr sind gerade einmal elf Syrer aufgenommen worden.