Merkel warnt in Paris vor "nationalem Scheuklappendenken"
12.11.2018, 05:36
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Beim Gedenken an das Ende des verheerenden Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren haben Deutschland und Frankreich eindringlich vor dem erstarkenden Nationalismus und Gefahren für den Weltfrieden gewarnt.
Kanzlerin Angela Merkel sagte zur Eröffnung des Friedensforums, sie habe Sorge, dass sich "wieder nationales Scheuklappendenken ausbreitet".
Dabei habe der Krieg vor 100 Jahren gezeigt, wohin Isolationismus führen könne. Es würden zunehmend Eigeninteressen verfolgt, die im schlimmsten Fall zu gewaltsamen Ausbrüchen führen könnten.
Laut Beobachtern waren ihre Bemerkungen wohl auch auf Trump gemünzt, der am dem Friedensforum in der Halle de la Villette im Osten der Hauptstadt aber nicht teilnahm und stattdessen einen US-Soldatenfriedhof westlich von Paris besuchte.
Zuvor hatte bereits Macron bei einer großen Feier mit rund 70 Staats- und Regierungschefs im Schatten der Pariser Triumphbogens gesagt: "Die alten Dämonen steigen wieder auf - bereit, ihr Werk von Chaos und Tod zu vollenden." Patriotismus sei genau das Gegenteil von Nationalismus.
Auf der Tribüne saßen bei regnerischem Wetter auch die Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Donald Trump. Auch der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu nahmen an der Zeremonie am Triumphbogen teil.
Rund 10.000 Sicherheitskräfte schützten die Gedenkfeier in Paris und das Friedensforum. Etwa 1000 Menschen demonstrierten laut Medien auf den Straßen der Hauptstadt gegen Trump, von Zwischenfällen wurde zunächst nichts bekannt. Allerdings gelang es der Frauen-Aktivistengruppe Femen an einem anderen Ort kurzzeitig, den Konvoi Trumps zu stören, indem mehrere Mitglieder mit nackten Oberkörpern auf die Straße liefen.
Ein besonders wichtiger Tag
Der Weltkrieg gilt als ein Wendepunkt der neueren Geschichte. Große Mächte wie das Deutsche Reich zerbrachen. Es starben fast neun Millionen Soldaten und mehr als sechs Millionen Zivilisten. Das letzte Mal, dass sich in Paris so viele Staats- und Regierungschefs zu einer Gedenkveranstaltung versammelt haben, war nach dem islamistischen Anschlag auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" im Januar 2015 gewesen. Sie waren damals zu einem Trauermarsch in die französische Hauptstadt gekommen - Millionen Menschen protestierten in den Pariser Straßen gegen Terror.
Macron blickte in seiner emotionalen Rede länger auf den blutigen Konflikt zurück, der von 1914 bis 1918 dauerte. "In diesen vier Jahren hat sich Europa fast umgebracht", resümierte er.
Ungeachtet der insgesamt harmonischen Atmosphäre bei der Gedenkfeier am äußersten Ende der Prachtstraße Champs-Élysées goss auch Macron neues Öl ins Feuer. Er forderte in einem Interview mit dem US-Sender CNN, dass Europa bei der Verteidigung eigenständiger werden und sich dabei nicht von US-Waffen abhängig machen solle. "Was ich nicht sehen möchte, sind europäische Länder, die ihr Verteidigungsbudget steigern, um (US-) amerikanische oder andere Waffen zu kaufen (...)." Er fügte hinzu: "Wenn wir unser Budget steigern, geht es darum, unsere Eigenständigkeit aufzubauen."
Trump hatte bei seiner Ankunft in Paris am Freitag Macron heftig kritisiert. Anstoß war die von Macron ins Spiel gebrachte europäische Armee gewesen. Macron betonte nun in dem Interview, er arbeite mit Trump gut zusammen, obwohl es Meinungsunterschiede gebe, beispielsweise in der Klimapolitik.
Merkel sagte mit Blick auf die heutige Weltlage:
"Kein Staat, keine Religion, keine Bevölkerungsgruppe und kein einzelner Mensch darf von uns abgeschrieben werden."
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Es gelte es weiter, an einer politischen Lösung in Syrien zu arbeiten, sagte Merkel. Und im Jemen ereigne sich derzeit wohl eine große menschliche Katastrophe, die deswegen nicht so präsent sei, weil es wenig Bilder davon gebe. Sie erinnerte daran, dass im vergangenen Jahr mehr als 220 gewaltsame Konflikte weltweit ausgetragen wurden und dass an die 70 Millionen Menschen auf der Flucht gewesen seien.
60 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt sind zum Gedenken nach Paris gereist. Bild: imago stock&people
Anlässlich des Jahrestages läuteten um 11.00 Uhr in Frankreich die Glocken. Um 13.30 läuteten die Glocken dann auch in anderen Ländern, so erklangen etwa die Glocken des Petersdoms, wie eine Vatikansprecherin bestätigte.
Papst Franziskus forderte am Sonntag ein Ende der "Kultur des Todes" und der blutigen Konflikte in vielen Regionen der Welt. "Die historischen Ereignisse des Ersten Weltkriegs sind eine ernste Warnung an alle", sagte er. In Deutschland gedachten die Kirchen mit einem ökumenischen Gottesdienst an das Ende des Krieges.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legte bei einer Gedenkfeier in London einen Kranz nieder. Es war das Mal, dass ein deutsches Staatsoberhaupt zur traditionellen Kranzniederlegung am 11. November in die britische Hauptstadt reiste. Die Regierung in London wertet dies als "historischen Akt der Versöhnung".
Steinmeier nahm gemeinsam mit dem britischen Thronfolger Prinz Charles an der Zeremonie teil. Charles legte als erster seinen Kranz im Namen von Königin Elizabeth II. am "Cenotaph" genannten Ehrenmal im Zentrum Londons nieder. Die 92-jährige Königin folgte dem Geschehen von einem nahen Balkon aus.
Steinmeier in London.Bild: imago stock&people
In Polen gedachten Staatspräsident Andrzej Duda und Regierungschef Mateusz Morawiecki gemeinsam mit ihren Landsleuten der Neugründung der Polnischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg. Beide Politiker stellten sich am Sonntagmittag an die Spitze einer feierlichen Versammlung, die am Warschauer Pilsudski-Platz die Nationalhymne sang. Duda hatte zuvor einen Kranz an einem Denkmal für polnische Unabhängigkeitskämpfer niedergelegt. Ein Streit um den Marsch hatte seit Tagen die Feierlichkeiten überschattet. Kritiker warfen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS vor, damit nationalistische und rechte Gruppen unterstützt zu haben.
Mit einer Geste der Versöhnung und Einigkeit hatten Merkel und Macron bereits am Samstag der Opfer des Ersten Weltkriegs gedacht. Merkel bedankte sich bei Macron für die Einladung nach Compiègne an die Stätte des Waffenstillstands von 1918. Es sei das erste Mal seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, dass ein Bundeskanzler mit dem französischen Präsidenten an diesem Ort gewesen sei, sagte sie in Paris. Das sei eine "symbolische Geste". "Insofern ist dieser Tag nicht nur Mahnung, sondern er ist auch Ansporn."
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