Der Brexit wird allmählich zu einer dramatischen Angelegenheit. Die britische Regierungschefin Theresa May hat eine für Dienstag geplante Abstimmung zum Austritt des Landes kurzfristig verschoben. Die Regierungschefin fürchtete eine Niederlage. EU-Ratspräsident Donald Tusk berief für Donnerstag einen EU-Sondergipfel ein.
Zuvor hatte der höchste europäische Gericht, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, ein wegweisendes Urteil gefällt. Demnach kann das Land seinen Rücktrittsantrag aus der EU bis zum Austrittstermin am 29. März 2019 zurückziehen. Großbritannien bliebe dann Mitglied der EU.
Ein Drama in 3 Akten.
Großbritannien könnte den für 2019 angekündigten Brexit noch einseitig und ohne Zustimmung der übrigen EU-Länder stoppen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof am Montag in Luxemburg.
Die britischen Wähler hatten 2016 für einen EU-Austritt des Landes gestimmt. Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten offiziell darüber informiert, dass das Land die EU verlassen will.
Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit am 29. März 2019 endet. Die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsländer hatten vor dem EuGH argumentiert, das Verfahren lasse sich nur mit einem einstimmigen Beschluss des Rats stoppen.Der EuGH sieht das eindeutig anders. Ein Rückzieher der Austrittsankündigung sei "in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten" in Großbritannien möglich.
Dann bliebe das Vereinigte Königreich unter unveränderten Bedingungen Mitglied der EU, entschieden die Luxemburger Richter.Das Urteil dürfte den Brexit-Gegnern in Großbritannien Auftrieb geben. May hatte noch am Wochenende abermals für ihr Brexit-Paket geworben. Es besteht aus einem knapp 600 Seiten starken Austrittsvertrag, der die Bedingungen der Trennung regelt. Darunter sind die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, aber auch finanzielle Pflichten Londons gegenüber der EU.
Die britische Premierministerin musste im Unterhaus eine herbe Niederlage und eine Revolte ihrer konservativen Gegner um Boris Johnson fürchten. Deshalb ist die Abstimmung erstmal verschoben.
May hatte im November einen Abschiedsvertrag mit der EU besiegelt. Dieser muss vom Parlament gebilligt werden.
May muss also früher oder später ins Unterhaus.
Die Lage ist verzwickt. May muss früher oder später ins Parlament. Ihre Chancen:
Am Donnerstag kommt ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs. May wird nach Brüssel reisen und auf Nachbesserungen hoffen. Das Problem: Die EU-Staaten haben bereits signalisiert, dass der Abschiedsvertrag nicht geändert wird, lediglich in einem nichtbindenden Teil, der sogenannten politischen Erklärung, kann sich die EU nachgiebig zeigen. Klar ist aber auch: Irland wird keiner Änderung zustimmen, die die Grenze zu Nord-Irland weniger durchlässig macht.
Wenig Hoffnung also aus Brüssel
May muss den Austrittsvertrag im Parlament einreichen. Die Chancen auf eine Zustimmung sind aber fast 0. Viele Abgeordnete ihrer Tories lehnen den Deal ab, ebenso wie ihr nordirischer Koalitionspartner DUP und die oppositionelle Labour-Partei.
Wenig Hoffnung auf Erfolg im Unterhaus.
Theresa May reist seit Wochen durchs Land. Viele spekulieren, sie will die Bevölkerung auf ein zweites Referendum vorbereiten.
Klingt gut, ist aber gefährlich. Anders als im Sommer 2016 wird auf dem Zettel nicht einfach Bleiben oder Gehen stehen. Es könnte zum Beispiel auch die Variante geben: Gehen ohne Vertrag (das wollen Mays konservative Kritiker).
Die große Gefahr: der Brexit endet im Chaos.
Das können nicht mal die EU-Staaten wollen. Zwei Monate nach dem Brexit-Termin im März 2019 wählt Europa ein neues EU-Parlament. Ein Chaos-Brexit würde rechten Parteien Auftrieb verschaffen.
Theresa May hat sich in Abseits manövriert. Und die EU gleich mit.
Klar ist nach diesem Gezerre nur: Längst ist Europa so eng verflochten, einfach gehen und die Tür zu machen, ist nicht.
Und noch eines wird deutlich: Mays Kritikern wie Boris Johnson geht es weniger um den Brexit, als um das Amt des Regierungschefs. Verantwortungslos. Ein klarer Fall von konservativem Elitenversagen.
(per/rtr/dpa)