Wie das Internet die Saudi-Araberin Rahaf vor der Abschiebung rettete
11.01.2019, 20:07
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Als @rahaf84427714 vor einer Woche auf ihrem neuen
Twitter-Konto den ersten Tweet absetzte, kannte sie kein Mensch. Eine
junge Frau aus Saudi-Arabien, 18 Jahre alt, mit vollem Namen Rahaf
Mohammed el-Kunun. An jenem Samstagabend, 21.23 Uhr, schrieb sie:
"Ich bin das Mädchen, das nach Thailand weggerannt ist. Ich bin in
echter Gefahr. Die Saudi-Botschaft will mich zwingen, nach Hause
zurückzukehren."
Dann fügte sie noch hinzu:
"Ich habe Angst. Meine Familie wird mich umbringen."
Das Ganze schrieb sie in arabischer Sprache. Heute ist Rahaf eine internationale Berühmtheit, vorübergehend
zumindest. Ihr Fall hat Menschen auf der ganzen Welt bewegt: die
junge Frau aus dem konservativen islamischen Königreich, der es
gelang, sich mit einer improvisierten Kampagne auf Twitter vor der
Abschiebung zu retten.
Vor einer Woche folgten ihr auf dem Kurznachrichtendienst 24 Leute.
Zuletzt waren es mehr als 130.000.
Vor allem aber ist die 18-Jährige inzwischen von den Vereinten
Nationen als Flüchtling anerkannt. Unter der Obhut des
UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR wartet sie in einem Hotel in Thailands
Hauptstadt Bangkok darauf, in ein Drittland ausreisen zu dürfen. Die
Aussichten, dass sie nach Australien darf – ihrem eigentlichen Ziel –
sind gut. Der Antrag auf ein Visum aus humanitären Gründen wird
gerade geprüft. Man darf annehmen, dass dies wohlwollend geschieht.
Zwischenzeitlich hatte es sehr schlecht ausgesehen.
Als die
Verzweiflung am größten war, stellte Rahaf kurze Videos ins
Internet. Zu sehen war, wie sie sich in einem Hotelzimmer im
Transitbereich von Bangkoks Flughafen Suvarnabhumi verbarrikadierte.
Die saudische Botschaft hatte ihr den Pass abgenommen, die Thais wollten sie loswerden.
In einer Maschine der Kuwait Airways war für sie bereits ein Platz für den Flug zurück zur Familie reserviert.
Dorthin wollte Rahaf keinesfalls.
Bei einem Ausflug nach Kuwait hatte
sie sich von ihren Leuten abgesetzt. Angeblich wurde sie von Männern
der eigenen Familie schikaniert, nachdem sie sich vom Islam losgesagt
hatte. Weil sie sich die Haare kurz geschnitten hatte, soll sie ein
halbes Jahr in ihr Zimmer eingesperrt worden sein. Auch Morddrohungen
soll es gegeben haben. Nachprüfen ließ sich das nicht, weshalb es
anfangs auch einige Zweifel an der Version der jungen Frau gab.
Da hatte die Geschichte aber längst Fahrt aufgenommen
Vor allem,
weil die US-ägyptische Journalistin Mona Eltahawy ihre Tweets
übersetzt und an ihre mehr als 300.000 Follower weitergeleitet hatte.
Unter dem Hashtag #SaveRahaf ("Rettet Rahaf") stiegen auch die BBC
und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) ein, was
zusätzliche Aufmerksamkeit brachte.
Auch der deutsche Botschafter in Bangkok, Georg Schmidt, twitterte:
Als die Lage immer bedrohlicher wurde, war es der Asien-Experte von
HRW, Phil Robertson, der Rahaf empfahl, keineswegs ihr Smartphone aus
der Hand zu geben. Das war vermutlich der entscheidende Tipp.
Zusammen mit einer australischen Journalistin, die mit ihr im Zimmer
war, und zwei Freundinnen von außerhalb berichtete El-Kunun praktisch
in Echtzeit, wie es ihr ging.
Auf Twitter wurde dies millionenfach verfolgt. Auf dem Flughafen
warteten Dutzende Kameras auf den Ausgang des Dramas. Schließlich
erklärte Thailands Einwanderungsbehörde, auf die Abschiebung zu
verzichten. Und das UN-Flüchtlingshilfswerk hielt ihre Geschichte für
glaubwürdig genug, um ihr Flüchtlingsstatus zu geben: Solange in
Saudi-Arabien ihre Freiheit und ihr Leben bedroht sind, muss sie
nicht zurück. Andere saudi-arabische Frauen, die in den letzten
Jahren ins Ausland geflohen waren, hatten nicht so viel Glück.
Menschenrechtler Robertson meint, dass die Twitter-Kampagne das alles
erst möglich gemacht habe.
"Das hat die Geschichte in die internationalen Nachrichten gebracht und die Aufmerksamkeit der Politik darauf gelenkt. Twitter war das perfekte Werkzeug."
So
ähnlich sieht dies offenbar auch die andere Seite. Der saudische
Geschäftsträger in Bangkok, Abdullah el-Shuaibi, meinte in einem
Moment seltener Offenheit: "Man hätte ihr besser das Handy abgenommen
als den Reisepass. Twitter hat alles verändert."
Die junge Frau selbst schrieb in einem ihrer jüngsten Tweets: "Hey,
ich bin glücklich." Daneben stellte sie zwei Icons: ein rotes Herz
und die gefalteten Hände. So drückt man in Thailand seinen Dank aus.
Auf Twitter bekam sie allerdings nicht nur Lob und Unterstützung,
sondern es gab auch wüste Beschimpfungen, bis hin zu Morddrohungen.
Am Freitag war ihr Konto zwischenzeitlich nicht mehr erreichbar - aus
ihrer Umgebung hieß es, die 18-Jährige habe es selbst deaktiviert.
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