Als er den Treueschwur auf Fahne und Nation sowie einen Einbürgerungseid aufgesagt, die Nationalhymne sowie "God Bless America" gesungen hat, reckt ein kräftiger Mann namens José Collado triumphierend die Faust in den Himmel. "Jetzt bin ich angekommen", ruft er.
Collado, geboren und aufgewachsen in der Dominikanischen Republik, ist ab sofort Amerikaner.
"Bislang hatte ich immer Angst, auf einen Polizisten zu treffen, der mit dem falschen Fuß aufgestanden ist", sagt Collado. Angst also, dass er im aktuellen Klima Probleme bekommen könnte – trotz seiner Aufenthaltspapiere, Angst. dass er von seiner Frau getrennt wird. "Das ist jetzt vorbei."
Collado ist einer von 14.000 Menschen, die die USA rund um den Unabhängigkeitstag, den 4. Juli, einbürgern. 65 Zeremonien finden dafür quer durchs Land statt. Collado wurde auf den alten Landsitz George Washingtons geladen, dem Gründervater und Helden der amerikanischen Unabhängigkeit. Hier wird der Akt am Mittwoch besonders patriotisch vollzogen, mit Grußwort vom George-Washington-Imitator und reichlich Marschmusik.
101 Neubürger aus 50 Ländern werden "naturalisiert", wie es im Amerikanischen heißt. Sie erheben sich, wenn ihr Herkunftsland aufgerufen wird, bekommen minutenlang Applaus und Jubel gespendet. Gekommen sind nicht nur Angehörige und Freunde, sondern viele Normalbürger, an diesem 4. Juli mit Stars and Stripes auf ihren T-Shirts, ihren Hosen, ihren Hüten.
Es ist eine Realität, die unter den Tiraden Donald Trumps manchmal untergeht: Jahr für Jahr bürgern die USA rund 700.000 Bürger in solchen Zeremonien ein. Die mussten dafür drei bis fünf Jahre legal im Land leben, nachweisen, dass sie gut genug Englisch sprechen, die US-Geschichte und das politische System verstehen.
Es ist der Ort für reichlich Pathos. Ein für Ausländer manchmal kaum zu fassender Stolz auf die eigene Nation, die Überzeugung, einzigartig zu sein, und natürlich – drunter geht es nicht – die großartigste Nation auf unserer Erde. Ein Redner erinnert daran, dass "die Aufnahme von Bürgern aus entfernten Ländern ein amerikanisches Ideal" sei.
In Mount Vernon, nur 30 Autominuten südlich von Washington, könnte man glatt vergessen, dass dieses Land von einem Präsidenten regiert wird, der für die meisten der hier gefeierten Ideale nicht viel übrig zu haben scheint.
Es ist die Inszenierung eines leuchtenden Amerikas, inklusive der Ansage, noch bevor die Dokumente ausgehändigt werden, bitte die Fotos unter dem richtigen Hashtag im Internet zu posten (Er lautet #newUScitizens, zu Deutsch: neue US-Bürger).
Unter Trump dominiert ein dunkleres Amerikabild die Schlagzeilen, und ein paar dieser Ideale wirken eingefroren: etwa der Glaube an Amerika als Nation des Guten oder das selbstverständliche Feiern der Diversität.
Sie sind einer berechnenden Rhetorik gewichen. Unter Trump geht es mehr um kurzfristige Vorteile auf Kosten anderer. Der Präsident befeuert die Spaltung im Land, unter anderem durch seine Einwanderungspolitik. Er stempelte Mexikaner als Vergewaltiger ab, spricht von Tieren, wenn es um Mitglieder einer lateinamerikanischen Gang geht. Muslimen hätte er am liebsten ganz die Einreise verboten.
Neubürger Collado zuckt mit den Schultern. "Ein Mann definiert doch nicht unser Land", sagt er über Trump. Ganz so unbekümmert ist er allerdings nicht. Denn jetzt mischt sich Collados Frau Evelyn ein, eine gebürtige Amerikanerin: "Wegen Trump haben wir uns sehr mit der Einbürgerungssache beeilt. Wir wussten nicht, was er noch alles macht."
Es ist eine typische Szene: Trump wird im offiziellen Teil mit keiner Silbe erwähnt, eine aufgezeichnete Rede zum 4. Juli wird hier nicht ausgestrahlt. Erst wer nach ihm fragt, merkt, dass er bei allen doch im Hinterkopf steckt.
Es fällt etwa auf, dass viele ältere Neubürger da sind, wie die 74-jährige Victoria aus Peru. Ihr Sohn ist schon länger in den USA. Sie wollen zu ihrer Migrationsgeschichte und zu Trump nicht viel sagen. Doch durchblicken lassen sie, dass Trumps monatelanges Wettern gegen den Familiennachzug von Migranten dazu beigetragen hat, sich doch noch um eine Staatsangehörigkeit zu bemühen.
Unter den Neubürgerinnen ist auch eine Iranerin, deren Eltern nicht zur Feier anreisen konnten: Trumps Einreisestopp hat es verhindert.
Nora Kanu (ursprünglich aus Sierra Leone) sagt: kein Kommentar zu Trump. Sie drückt es so aus: "Am meisten freue ich mich darauf, meine Stimme bei Wahlen abzugeben."
So sieht es auch Marcela Posa. Ihre drei Kinder sind bereits in den USA geboren, sie zahlt seit 12 Jahren Steuern, arbeitet als Verkäuferin in einer Boutique. "Ich bin eine stolze Chilenin", sagt die 42-Jährige, "aber jetzt war es an der Zeit."
Das Wichtigste sei, dass nun ihre Stimme gehört werde. Sie sei besorgt über die Politik und die Rhetorik des Präsidenten. "Zugleich fühle ich mich beflügelt, gerade weil ich unter dieser Regierung geschafft habe, Staatsbürgerin zu werden."
Marcela Posa fasst es so zusammen: "Trump hat indirekt dafür gesorgt, dass ich noch stärker US-Amerikanerin werden wollte." Sie will sich einmischen. "Jetzt", sagt sie zum Abschied, "ist es unsere Aufgabe, dieses Land zu verändern."
Dieser Artikel ist zuerst bei t-online erschienen.