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Interview

Grünen-Politikerin Zoe Mayer über Wahlkampf, Fake News und Baerbock

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Zoe Mayer hat das Direktmandat als eine der wenigen Grünen verteidigen können.Bild: imago images / Political-Moments
Interview

Grünen-Politikerin Zoe Mayer über Social Media: Fake News bedrohen Demokratie

12.03.2025, 17:14
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Nach der Bundestagswahl haben die Grünen begonnen, ihre Rolle in der Opposition zu finden. Während die Partei bundesweit Verluste einstecken musste, konnte Zoe Mayer in Karlsruhe ihr Direktmandat verteidigen – ein Erfolg, den sie nicht als selbstverständlich ansieht.

Doch auch sie hat den Wahlkampf als herausfordernd wahrgenommen. Neben Hassnachrichten und gezielten Angriffen erlebte sie dabei so manch skurrile Situation.

Im watson-Interview spricht Mayer über absurde Wahlkampf-Momente, den gefährlichen Einfluss von Social Media – und warum sie glaubt, dass eine Partei nicht nur auf eine Person setzen darf.

Watson: Erinnern Sie sich noch an den Moment, als klar wurde, dass Sie das Direktmandat gewonnen haben?

Zoe Mayer: Ich stand im Rathaus, das Ergebnis schwankte mit jeder neuen Auszählung – und dann wurde klar: Es hat gereicht. In Karlsruhe haben wir das Direktmandat geholt, obwohl die Grünen bundesweit Stimmen verloren haben. Das war ein unglaubliches Gefühl.

Wissen Sie noch, was Ihr erster Gedanke war, als das Ergebnis feststand?

Ich war auf jeden Fall sehr glücklich. Im Rathaus haben wir das Ergebnis ja nach und nach mitverfolgt – mit jedem ausgezählten Bezirk konnte man die Tendenz sehen. Es war ein emotionaler Moment. Und es war vor allem eine Teamleistung. In Karlsruhe waren viele Menschen auf der Straße, haben Wahlkampf gemacht, sich engagiert – und das hat sich ausgezahlt.

Womit erklären Sie sich den Erfolg der Grünen in Karlsruhe, während die Partei bundesweit eher Stimmen verloren hat?

Ich glaube, es liegt an mehreren Faktoren. Zum einen habe ich mit meinem Team viel Wert darauf gelegt, ansprechbar zu sein – für Bürger:innen, für Unternehmen, für Institutionen. Diese Nähe hat sich ausgezahlt. Zum anderen ist Karlsruhe eine sehr weltoffene, progressive Stadt. Da gibt es eine gesellschaftliche Haltung, die mit unseren grünen Werten übereinstimmt. Aber man muss auch ehrlich sagen: Die Ausgangslage mit den anderen Kandidierenden hat sicher auch eine Rolle gespielt. In diesem Wahlkampf war die Demografie der Kandidierenden jünger – das verändert die Dynamik.

Gab es einen Moment im Wahlkampf, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Oh ja, viele. Besonders schön fand ich, dass Menschen gezielt zu unseren Infoständen gekommen sind, um mich kennenzulernen – oft, weil sie mich über Social Media kannten oder meine Arbeit verfolgt haben. Es gab aber auch absurde Situationen.

Zum Beispiel?

Ein Vorfall bleibt mir besonders im Kopf: Am letzten Wahlkampftag, spät in der Nacht, kam ein offensichtlich betrunkener Mann auf mich zu, sagte plötzlich: "Übrigens, ich habe eine Waffe." Dann griff er in seinen Mantel – und zog eine Banane heraus und hielt sie mir an den Kopf. In dem Moment war ich komplett perplex. Im Nachhinein ist es eher skurril als bedrohlich, aber solche Situationen zeigen, wie chaotisch Wahlkampf sein kann.

Apropos unangenehme Situationen: Sie haben erwähnt, dass Sie Hassnachrichten erhalten. Nehmen diese zu?

Auf jeden Fall. Sie reichen von Beleidigungen bis hin zu detaillierten Gewaltfantasien. Eine der extremsten Nachrichten beschrieb seitenlang, wie man mich und mein Team umbringen würde – so detailliert, dass das BKA eingeschaltet wurde. Natürlich gibt es auch harmlosere Beleidigungen, die ich einfach ignoriere. Aber insgesamt hat das Ausmaß in den letzten Jahren zugenommen.

Was glauben Sie, was getan werden sollte, um Politiker:innen besser zu schützen?

Das ist eine riesige Herausforderung. Natürlich gibt es rechtliche Möglichkeiten, gegen Drohungen vorzugehen, aber viele Fälle landen nie vor Gericht. Ich glaube, es braucht eine gesellschaftliche Debatte darüber, was wir als akzeptabel ansehen. Und es braucht eine Regulierung der Plattformen, auf denen solche Hassnachrichten oft ihren Ursprung haben.

Stichwort Plattformen: Social Media spielt eine immer größere Rolle im Wahlkampf. Wie hat sich das für Sie ausgewirkt?

Social Media hat mir definitiv geholfen, Menschen zu erreichen. Viele Wähler:innen haben mich dort entdeckt und sind dann zu Veranstaltungen gekommen. Gleichzeitig sehe ich die Gefahren sehr deutlich: Polarisierung, Fake News und gezielte Wahlbeeinflussung sind riesige Probleme. Die Algorithmen belohnen Extreme – das verzerrt die öffentliche Debatte.

Die Linke hat auch auf Social Media viele Stimmen geholt. Gleichzeitig haben die Grünen die meisten Stimmen an die Linke verloren. Inwiefern müssen Sie hier nachholen?

Jede Partei muss sich mit Social Media intensiver auseinandersetzen. Wir Grünen haben sicher Potenzial, uns besser aufzustellen. Aber man darf sich auch nicht vormachen, dass eine Partei das allein in der Hand hat. Wir sehen sehr klar, dass Inhalte je nach Algorithmus verstärkt oder gedrosselt werden. Wer da Einfluss nimmt und warum, ist oft intransparent. Das ist ein demokratisches Problem.

Was würden Sie tun, um Social Media zu regulieren?

Ich glaube, das kann nur auf europäischer Ebene funktionieren. Plattformen müssen verpflichtet werden, offenzulegen, wie ihre Algorithmen funktionieren. Es darf nicht sein, dass ausländische Akteure oder wirtschaftliche Interessen unsere politische Debatte manipulieren. Wir haben in Deutschland noch keine umfassende Analyse dazu, aber ich bin sicher, dass wir dort beunruhigende Trends sehen werden.

Für die Grünen steht jetzt wohl Oppositionsarbeit an. Was haben Sie sich hier vorgenommen?

Wir wollen eine konstruktive Opposition sein – anders als die Union in den letzten Jahren. Natürlich wird das nicht einfach. Wir sehen jetzt schon, wie konservative Kräfte versuchen, den Green Deal zurückzudrehen. Dem müssen wir entgegentreten und gleichzeitig unsere eigenen Themen wieder stärker in den Vordergrund rücken. Viele Menschen haben mir gesagt: "Warum redet ihr nicht mehr über soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, die Zukunft der Wirtschaft?" – und genau das müssen wir nun tun.

War das eines der Hauptprobleme im Wahlkampf – dass die Grünen nicht genug über diese Themen gesprochen haben?

Ja, das hat sich oft so angefühlt. Die Debatte war extrem auf Migration fixiert. Natürlich ist das ein wichtiges Thema, aber es gibt so viele andere drängende Probleme: Fachkräftemangel, Klimaschutz, Transformation der Wirtschaft. Viele Menschen in Karlsruhe haben mir gesagt: "Warum geht es immer nur um Migration?" – oder ihre Sorgen über den wachsenden Rassismus geäußert. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was politisch diskutiert wird, und dem, was viele Menschen wirklich bewegt.

Zentrale Figuren wie Robert Habeck und Annalena Baerbock haben sich nach der Wahl aus Spitzenpositionen zurückgezogen. War das der richtige Schritt für die Partei?

Ich halte das für eine sehr bemerkenswerte Entscheidung. Viele klammern sich an ihre Posten, aber Habeck und Baerbock haben gezeigt, dass sie für einen anderen Politikstil stehen. Die Entscheidungen geben uns aber auch die Möglichkeit, die Partei breiter aufzustellen und weiterzuentwickeln. Eine Partei kann sich nicht nur auf eine oder zwei Personen verlassen – das sieht man auch an der FDP, die sich völlig auf Christian Lindner fokussiert hat. Das ist langfristig keine gute Entwicklung.

In der Opposition haben die Grünen nun weniger direkten Einfluss auf Gesetzesvorhaben. Wenn Sie dennoch die Möglichkeit hätten, ein Gesetz sofort umzusetzen – welches wäre das?

Puh, da gibt es viele Themen. Persönlich liegt mir der Tierschutz sehr am Herzen. Ich habe dreieinhalb Jahre an einem neuen Tierschutzgesetz gearbeitet, das in den letzten Metern gescheitert ist. Auch die Energiepolitik muss dringend reformiert werden, damit sie wirklich auf Erneuerbare Energien zugeschnitten ist. Und die Regulierung von Social Media wird immer wichtiger. Wenn ich nur eines wählen müsste? Dann vielleicht das Tierschutzgesetz – weil es schon fertig ist und einfach nur beschlossen werden müsste.

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