![Deborah Düring und Julian Pahlke kandidieren beide für die Grünen.](/imgdb/6306/Qx,A,0,0,1920,1080,800,450,320,180/2014830380391540)
Deborah Düring und Julian Pahlke kandidieren beide für die Grünen. Bild: imago images / dts Nachrichtenagentur
Interview
Grüne Wähler:innen wohnen in der Stadt, direkt neben dem Bio-Markt, zu dem sie am Wochenende mit ihrem Lastenrad fahren. Seit Jahren halten sich derlei Klischees wacker, tatsächlich bestätigen auch die Wahlergebnisse eine größere Sympathie für die Grünen im urbanen Raum.
Aber haben Menschen auf dem Land wirklich so andere Sorgen als in der Stadt? Wir haben mit zwei jungen Politiker:innen von den Grünen gesprochen und den Vergleich gemacht.
Deborah Düring tritt bei der Bundestagswahl erneut für Frankfurt am Main an. Ihre Wahlheimat hat damit etwa zwanzigmal so viele Einwohner:innen wie die von Julian Pahlke. Der 33-Jährige kandidiert ebenfalls zum zweiten Mal für den Wahlkreis Unterems in Niedersachsen.
Im Gespräch mit watson erklären die beiden, warum Konflikte in Stadt und Land oft eigentlich die gleichen sind – und wo man für gemeinsame Lösungen ansetzen müsste.
watson: Was mögt ihr an euren Wahlkreisen besonders?
Deborah: Ich liebe an meinem Wahlkreis und an meiner Stadt, dass er so ehrlich ist. Frankfurt fasst viele Lebensrealitäten auf sehr kleinem Raum zusammen. Und als Abgeordnete ist es natürlich auch angenehm, wenn man in einer Dreiviertelstunde mit dem Fahrrad überall hinkommt.
Julian: Das Meer. Es ist einer der Gründe, weshalb ich hier wohne. Das Stadtzentrum ist ein alter Flussarm und bis zur Nordsee ist es auch nicht weit. Das macht viel damit, wo man seine Zeit verbringt und sorgt auch für eine gewisse Gelassenheit.
Ist man also auf dem Land vielleicht gelassener, obwohl häufig über die dortige Unzufriedenheit gesprochen wird?
Julian: Ich glaube, die Unzufriedenheit mit der Politik ist größer als die Frage, wie schön der Wohnort ist. Auch Menschen im schönsten Dorf in Niedersachsen haben einen Grund, unzufrieden zu sein. Deichkind hat mal gesungen: "Auch im Bentley wird geweint". Natürlich haben wir auch hier in Unterems mit Unzufriedenheit zu tun.
Was sind denn die Themen, die junge Menschen in euren Wahlkreisen aktuell bewegen?
Deborah: Bezahlbarer Wohnraum. Viele, die nach Frankfurt kommen, um hier zum Beispiel eine Ausbildung zu machen, haben große Schwierigkeiten, eine Wohnung oder WG zu finden, die sie sich leisten können.
Julian: Das ist bei uns immer wieder der schlechte ÖPNV. Ich wohne hier in der größten Stadt der Gegend mit rund 35.000 Menschen. Die Menschen hier empfinden es als Ungerechtigkeit, dass man sich hier das Auto leisten können muss, um mobil zu sein. Außerdem wird immer wieder die Sorge um den Meeresspiegel geäußert. 1,6 Grad haben für uns eine sehr praktische Konsequenz, nämlich dass hier womöglich ganze Landstriche verschwinden.
Spielen klassisch grüne Themen wie die Klimakrise auf dem Land allgemein eine größere Rolle als in der Stadt?
Julian: Auf jeden Fall. Hier weiß jeder, was Sturmfluten sind. In Berlin kennt man die nur aus den Nachrichten. Das ist hier anders, weil es im Zweifel um die eigene Lebensgrundlage geht.
Deborah: Die Klimakrise spielt in Frankfurt auf jeden Fall eine Rolle, weil man sie hier besonders spürt – gerade im Sommer wird es immer heißer in den Straßen. Aber auch langfristig bei der Frage von Wohnraum: Wie schafft man einen CO₂-neutralen oder nachhaltigen Wohnraum? Wie kriegt man es hin, dass die wichtigen Grünflächen nicht gegen Wohnraum ausgespielt werden? Und wie sorgen wir für einen bezahlbaren und gut ausgebauten ÖPNV, damit Menschen klimafreundlich mobil bleiben?
Wird gerade bei diesen Fragen nicht Stadt gegen Land ausgespielt?
Julian: Ich glaube, das ist ein grundlegendes Problem in der Politik, dass es das Gefühl von "Die da oben in Berlin" gibt. Und man vergleicht sich hier immer auch ein Stück weit mit der Großstadt: Wie oft fährt der Bus, wie lange kann ich abends einkaufen, welches kulturelle Angebot habe ich? Aber wir können eben aus dem ländlichen Raum nicht einfach eine Großstadt machen. Wir können aber an den entscheidenden Stellen dafür sorgen, dass das Leben hier attraktiver wird und das Ungerechtigkeitsgefühl sinkt, etwa im ÖPNV.
Was heißt das konkret?
Wenn wir es schaffen, hier tatsächlich Geld reinzustecken, würde das in vielen ländlichen Regionen sehr spürbar was verändern. Wir wissen, dass es da keine einfachen Lösungen gibt. Wir haben jetzt 1000 Euro als Zuschuss zum Führerschein ins Spiel gebracht. Weil mir immer wieder die Kritik begegnet, dass wir hier auf dem Land das 49-Euro-Ticket mitfinanzieren, aber viele nichts davon haben. Am Ende ist es ein Solidarsystem. In der Kölner Innenstadt wird ja auch die Autobahn zur Küste mitfinanziert. (lacht)
Deborah: Ich würde bestreiten, dass es grundsätzlich immer einen Stadt-Land-Konflikt gibt. Erstens glaube ich, dass es häufig eher ein Konflikt zwischen Arm und Reich ist. Der zweite Punkt ist, dass es auch auf die Region ankommt. Ich komme ursprünglich aus einem Dorf in Oberbayern – da bekommt man auch keine bezahlbare Wohnung.
Wie einfach ist es denn aktuell, in Frankfurt und in Leer als Durchschnittsverdiener:in eine Wohnung zu finden?
Deborah: In Frankfurt ist die soziale Schere sehr groß. Es gibt Menschen, die sich das Wohnen nicht mehr leisten können, weil ihnen die Lebensmittelpreise die Haare vom Kopf fressen. Das liegt zum einen daran, dass die Mieten extrem hoch sind. Aber auch daran, dass Wohnraum nicht in Massen da ist – und schon gar kein bezahlbarer Wohnraum. Außerdem gibt es Raumkonflikte: Es braucht Grünflächen, Sportplätze, Wohnraum, Fahrradwege und breite Fußgängerwege. Der Platz ist aber in der Fläche gleich.
Julian: Die Städte werden immer teurer, immer mehr Menschen ziehen raus aufs Land. Und wenn dann hier Neubaugebiete ausgewiesen werden, gab es oft einen großen Run auf die Bauplätze. Die Mieten sind zwar letztlich günstiger als in der Stadt, aber es gibt mittlerweile kaum noch was im Angebot.
Auf dem Land ist der Platz also da, aber Probleme gibt es trotzdem.
Julian: Der Platz wäre da. Aber wenn wir jetzt anfangen, massenhaft Bauplätze auszuweisen, dann beklagen sich die Landwirte – zu Recht. Auf der einen Seite werden Photovoltaikanlagen genehmigt und auf der anderen Seite vom Feld soll ein riesiges Neubaugebiet entstehen. Und Fläche ist leider zweidimensional und begrenzt. In Städten wie Leer mehr in die Höhe zu bauen, wäre ein kluger Weg. Aber perspektivisch laufen wir da trotzdem auf große Konflikte zu, was die Verteilung von Fläche angeht.
Frankfurt und andere Großstädte stehen häufig beim Thema Drogenpolitik im Fokus. Ist das wirklich ein Problem, das auf dem Land nicht existiert?
Deborah: Sucht ist eine Krankheit, die man überall findet – in jeder Gesellschaftsschicht, auf dem Land und in der Stadt. Ich gehe durchs Bahnhofsviertel und treffe dort Menschen, denen es wirklich schlecht geht. Sie sind Teil unserer Gesellschaft, wie alle anderen auch. Ich finde, dass wir als Gesellschaft damit einen besseren Umgang finden müssen – einen, der nicht stigmatisiert, sondern auf Respekt und Unterstützung setzt.
Julian: Wir sind in der Nähe der niederländischen Grenze. Du kannst dir vorstellen, was hier manchmal los ist. Als wir das Cannabis-Gesetz angekündigt haben, habe ich gefordert, dass wir hier Modell-Region werden sollen. Ich halte Niedersachsen für ein optimales Anbauland. Wir haben viele Schweineställe. Perspektivisch brauchen wir weniger Schweine und könnten den Grasanbau in solchen Ställen fördern. Die sind geschlossen, haben Filter und am Ende käme ein sauberer Wirkstoff raus – und man würde Landwirten einen neuen Geschäftszweig eröffnen. Das wäre ein vielfacher win. Grundsätzlich spielt im ländlichen Raum Alkohol natürlich eine Rolle. Da wäre es sinnvoller, in Prävention zu investieren.
Transparenzhinweis: Die Gespräche mit Deborah Düring und Julian Pahlke mussten wir getrennt voneinander führen. Wir haben ihnen die gleichen Fragen gestellt und geben ihre Antworten nach Rücksprache aus Darstellungsgründen miteinander kombiniert wieder.