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Interview

Bundestagswahl: CDU-Politikerin Serap Güler spricht über Merz und AfD

ARCHIV - 11.12.2023, Berlin: Serap Güler stellvertretende Vorsitzende der Programm- und Grundsatzkommission nimmt an einer Pressekonferenz zum Entwurf der Kommission zum neuen Grundsatzprogramms der C ...
Serap Güler ist Mitglied im Bundesvorstand der CDU. Bild: dpa / Michael Kappeler
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Serap Güler: "Wir brauchen mehr sichtbare Frauen in der CDU"

28.01.2025, 07:32
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Das geplante Interview muss Serap Güler um zwei Stunden verschieben. Wahlkampfstress, "wie in diesen Tagen so oft", sagt sie. Seit 2012 ist Güler im Bundesvorstand der CDU, seit 2021 im Bundestag.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte 2024 über sie: "Eine Serap Güler ist zu wenig, wir brauchen 100 Serap Gülers." Im Gespräch mit watson spricht sie jetzt über große Wahlkampfversprechen, die Kommunikation von Friedrich Merz und den Umgang mit der AfD.

Transparenzhinweis: Das Interview mit Serap Güler ist vor der Messerattacke in Aschaffenburg und den Anträgen der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik geführt worden. Einer Bitte um ergänzende nachträgliche Fragen vor Veröffentlichung dieses Interviews kam Serap Güler nicht nach.

watson: Frau Güler, auf Instagram haben Sie vor Kurzem gepostet: "Nicht wählen ist wie 'Die Discounter' ohne Jonas – einfach lame." Ist das Ihre Art, junge Wählergruppen zu erschließen?

Serap Güler: Unter anderem. Die Serie kam bei jungen Menschen gut an. Und sie mit einer passenden Sprache anzusprechen, ist für uns alle wichtig. Nach der Europawahl haben wir gesehen, wie Jungwähler zur AfD tendieren. Ich glaube, das hat weniger mit den Inhalten zu tun, als dass es der AfD gelungen ist, sie auf Social Media in ihrer Sprache anzusprechen.

Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass zu den zentralen Themen für junge Menschen Bildung zählt. Dazu findet man in Ihrem Wahlprogramm nicht viel.

Bei der Bildung sprechen wir von 16 Bildungssystemen, weil Bildung hauptsächlich Ländersache ist. Wir brauchen da eine Vereinheitlichung, das haben wir in unserem Programm hervorgehoben. Auf der Bundesklausurtagung haben wir gesagt, dass wir 3,5 Prozent des BIP in Forschung und Wissenschaft investieren möchten, auch das ist eng mit Bildung verknüpft. Aber auch andere Dinge wie die bessere Unterstützung für Familien bei dem Bildungsweg haben wir mit aufgenommen.

Politikerin Serap Güler CDU in der 115. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin, 06.07.2023 Berlin Deutschland *** Politician Serap Güler CDU in the 115 session of the German Bu ...
Seit 2021 ist Serap Güler Mitglied des Bundestags.Bild: imago images / Christoph Hardt/ Panama Pictures

Laut der Studie ist auch mentale Gesundheit ein wichtiges Thema. Der Begriff fällt im Programm ein Mal, bezüglich Medaillen bei Sportveranstaltungen.

Ich weiß nicht, ob das als Schlagwort im Programm stehen muss, oder ob das Themen sind, die man damit in Verbindung setzt. Wir sagen ganz klar, dass der Leistungsgedanke eine Rolle spielen soll. Jeder Mensch soll sich einbringen können, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Behinderung.

Mentale Gesundheit meint, dass das psychische Wohlbefinden einen größeren Stellenwert einnimmt.

Dass das Eingebrachte anerkannt wird, hat auch mit mentaler Gesundheit zu tun. Ich darf aber daran erinnern, dass ein Wahlprogramm mit 70 Seiten überschaubar ist. Es wird vor allem das Regierungshandeln sein, das für junge Menschen entscheidend ist, ob sie mit der Politik des Landes zufrieden sind.

Eine Partei muss sich doch an ihrem Wahlprogramm messen lassen.

Die 70 Seiten im Wahlprogramm mögen als Entscheidungsgrundlage eine Rolle spielen, keine Frage. Aber auch wenn jede der Ampelparteien für sich den Anspruch erhebt, einiges durchgesetzt zu haben – das Regierungshandeln und die Kommunikation darüber, lässt das Wahlprogramm völlig im Schatten stehen.

"Es ist wichtig, die Sorge nach Überforderung aufzugreifen."

Gerade jungen Menschen fehlt zunehmend das Vertrauen in politische Entscheidungsträger:innen. Laut dem CDU-Wahlprogramm soll sich alles von Grund auf ändern. Wenn das nicht klappt, folgt darauf Frust. Sie haben selbst gesagt, dass die Ampel an ihren eigenen Versprechungen gescheitert ist.

Die Ampel ist vor allem daran gescheitert, dass alles bis ins Detail ausformuliert wurde. Spätestens nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum zweiten Nachtragshaushalt hätte sich die Ampel noch mal zusammensetzen müssen, um in großen Linien zu denken. Politik muss flexibel sein.

Und Ihre Reaktion darauf ist, Versprechungen anzustellen, die nicht zu halten sind?

Man muss mit geschlossenen Augen durch dieses Land gehen, um nicht zu sehen, dass vieles im Argen liegt. Ich mache seit 20 Jahren Politik und hatte diese Situation noch nie. Deshalb ist es wichtig zu sagen, dass gerade viel schiefläuft – aber wir trauen uns zu, das besser zu machen.

Der Generationenforscher Rüdiger Maas meint, dass viele junge Menschen auf Nachfrage sagen, es gehe ihnen gar nicht so schlecht. Schürt die CDU mit ihrer Rhetorik nicht weiter solche Ängste?

Wir greifen die Ängste der Menschen auf, die uns jeden Tag erreichen. Wenn Sie das beschönigen, werden die extremen Ränder nur verstärkt. Es bringt nichts, zu sagen, die AfD ist undemokratisch und spaltet nur. Mit diesen Sätzen allein überzeugen Sie niemanden mehr, der ernsthaft darüber nachdenkt, die AfD zu wählen. Das macht mir Sorge, gerade als Mensch mit Migrationsgeschichte.

In der Migrationspolitik will die Union nicht weniger als einen Paradigmenwechsel.

Wir müssen darauf achten, dass Integration nicht in einem luftleeren Raum steht. Integration gelingt nur dann, wenn Menschen, die nach Deutschland kommen, nicht nur ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit haben, sondern ihnen auch die Möglichkeit geben, an Sprachkursen teilzunehmen, Schulen oder Kitas zu besuchen. Das hat viel mit Kapazitäten zu tun. Wenn es nur darum geht, seiner humanitären Verantwortung als Land gerecht zu werden, müssten wir jeden, der vom Krieg verfolgt wird, aufnehmen. So wird Integration niemals gelingen. Deshalb ist es wichtig, die Sorge nach Überforderung aufzugreifen.

Das behauptet die AfD auch von sich.

Klar kann man sagen, alle sprechen mittlerweile wie die AfD. Ich würde eher sagen, wir stehen kapazitätstechnisch vor so großen Herausforderungen, dass dieses "Noch mehr" einfach nicht mehr funktioniert. Mir ist wichtig, dass wir über das Thema Migration offen sprechen, aber sachlich und unaufgeregt – ohne die vielen Menschen, die sich in den vergangenen Jahren hervorragend eingebracht und integriert haben, zu diffamieren.

Gerade beim Thema Migration hat sich Friedrich Merz in der Vergangenheit einige verbale Kalauer geleistet.

Bei Friedrich Merz muss man sich auch mal die Interviews anschauen, die er im Rahmen des Bundesvorstands gegeben hat. Nicht nur die, in denen er zugespitzt formuliert. Jeder hat seine eigene Art der Kommunikation. Aber wenn man ignoriert, dass er sein politisches Schicksal als Parteivorsitzender an die Brandmauer zur AfD geknüpft hat, finde ich das auch nicht fair.

Das ist trotzdem nicht die feinfühlige Kommunikation, von der wir gesprochen haben.

Wir leben in einer Zeit, in der jeder Halbsatz aufgebauscht wird. Uns allen kann im Interview mal eine Verkürzung passieren. Wir alle, damit meine ich nicht nur die CDU, müssen in der Kommunikation besser werden, weil vieles aus dem Zusammenhang gerissen wird.

Klingt so, als seien sie mit der Art der Kommunikation von Friedrich Merz nicht zufrieden.

Das habe ich nicht gesagt. Ich habe Friedrich Merz in vielen Situationen erlebt, in denen er klar sagt, dass die Stärke von Nordrhein-Westfalen auf unserer Vielfalt beruht. Ich bin unzufrieden darüber, dass seine Aussagen sehr verkürzt dargestellt werden und alles andere ignoriert wird.

2019 waren die drei mächtigsten Personen in der CDU Annegret Kramp-Karrenbauer, Angela Merkel und Ursula von der Leyen – alles Frauen. Was ist seitdem passiert?

Das war frauenpolitisch eine Hochzeit in der CDU. Dass eine Partei nicht nur durch Frauen an der Spitze vertreten sein kann, ist auch eine Selbstverständlichkeit. Wir brauchen noch mehr sichtbare Frauen in der CDU, auch in der ersten Reihe. Es ist nicht so, dass wir sie nicht haben, aber sie müssen auch stärker wahrgenommen werden.

Mittlerweile bezeichnet sich selbst Angela Merkel als Feministin. Sie auch?

Ich setze mich für Frauen in verschiedenen Bereichen ein. Im Kreisverband oder in meinem Team versuche ich gerade junge Frauen zu fordern und sie für Politik zu begeistern. Aber wenn ich an Feministinnen der Vergangenheit denke, die ihr ganzes Tun und Sein in die Gleichberechtigung gesteckt haben, dann fände ich das fast anmaßend.

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