Man vergisst leicht, dass ihr Rücktritt erst drei Monate her ist, wenn sie einem ein fröhliches "Hallo" entgegenruft, noch bevor sie den Raum betreten hat. Als Ricarda Lang im September 2024 den Parteivorsitz der Grünen abgegeben hat, war das ihr "Tiefpunkt", sagt sie selbst im Interview mit watson – mit einer Ehrlichkeit, die man beeindruckend finden kann.
Anzumerken ist ihr dieser Tiefpunkt jetzt, einen Monat vor der Bundestagswahl, überhaupt nicht.
Schwungvoll wirkt sie, wenn sie spricht. Was daran liegen kann, dass Ricarda Lang extrem schnell sprechen und Gedanken entwickeln kann.
watson: Du bist seit zehn Jahren in der Bundespolitik. Bist du noch Optimistin?
Ricarda Lang: Ich bin auf jeden Fall Optimistin. Ich glaube sogar, dass man gar keine gute Politik machen kann, wenn man nicht Optimist:in ist.
Wieso?
Man darf natürlich nicht naiv sein. Man sollte Probleme nicht wegreden – was vielleicht das größte Problem von Olaf Scholz war: Ein "Ist doch alles gut, was habt ihr denn?" hilft den Leuten nicht, wenn sie nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen oder Angst vorm Krieg haben. Das ist nicht vertrauensstiftend. Aber als Politiker:in muss man auch daran glauben, dass wir diese Probleme gelöst bekommen.
Im September bist du zurückgetreten als Grünen-Vorsitzende, nachdem die Partei bei der Europawahl und auch bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg enttäuschte.
Das war auf jeden Fall ein Tiefpunkt für mich.
War das die härteste Lektion, die du in der Politik gelernt hast?
Politik ist verdammt hart. Man sollte da nicht reingehen und erwarten, dass man in irgendeiner Form geschont wird. Das gehört dazu, wenn man sich für ein Spitzenamt entscheidet. Es gibt aber auch Dinge, die ich einfach nicht akzeptieren will.
Was denn?
Politik wird zu oft als Spiel des Gewinnens und Verlierens begriffen: Wer hat sich durchgesetzt, wer hat in der Debatte gewonnen? Dabei ist das den Bürger:innen völlig egal. Die wollen wissen: Was bedeutet das für mich und meine Kinder und kann ich das bezahlen?
Stimmt der Vorwurf, dass Berlin keine Ahnung hat, was Menschen wirklich bewegt?
Man verbringt hier sehr viel Zeit mit Menschen, die ähnliche Jobs haben, die auch in der Politik oder als Journalist:innen arbeiten – und dann kann es passieren, dass wichtige Themen aus dem Fokus geraten.
Was ist zum Beispiel mit Mobilität?
Mobilität ist ein Riesen-Thema – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Das 49-Euro-Ticket ist ein Riesen-Gewinn und ich werde mich mit allem, was ich habe, dafür einsetzen, dass es bleibt. Bei meiner Mutter auf dem Dorf mit unter 100 Einwohner:innen geht es aber eher um die Frage, ob es überhaupt eine Bahnstation in der Nähe gibt.
Wie blickt deine Mutter auf die Politik der Grünen?
Zum großen Teil ist sie sehr unterstützend. Aber nach der Europawahl hat mir meine Mutter die Leviten gelesen. Sie hat zu mir gesagt, sie will nicht den lieben langen Tag von uns hören, wen sie nicht wählen soll – nämlich rechts. Wenn wir die Demokratie schützen wollen, müssen wir viel mehr zeigen, dass wir die besten Ideen für die Zukunft haben, wie wir das Leben der Menschen konkret verbessern.
Ist Klima ein Thema, das Menschen auf dem Land wirklich interessiert?
Wenn es um Klimaaktivismus geht, findet das stärker in den Städten statt. Aber auch auf dem Land beschäftigen sich Menschen mit dem Klima. In meinem Wahlkreis Backnang / Schwäbisch Gmünd erzählen manche freudig davon, dass sie gerade die Solarkraftanlage auf dem Balkon integriert haben. Und manchmal sind sie auch genervt, weil sie sich mit der Bürokratie auseinandersetzen müssen, wenn sie einen Speicher einbauen wollen.
Wie erklärt man den Menschen, die sich kein teures E-Auto leisten können, dass sie bitte nicht mit dem Verbrenner fahren?
Ich glaube, wir treten zu oft noch im Erklär-Modus auf. Wenn sich Menschen mit einem geringeren Einkommen entscheiden, beim Verbrenner zu bleiben, statt sich ein E-Auto zuzulegen, dann muss ich denen nicht sagen, was Klimaschutz ist. Das wissen die. Aber sie treffen mit den Mitteln, die sie haben, rationale Entscheidungen. Mein Job ist es eher, dafür zu sorgen, dass die rationale Entscheidung, die sie treffen, klimafreundlich sein kann.
Viele junge Menschen wählen AfD, immer weniger die Grünen. Wie konnte das passieren?
Früher hat die Jugend extrem wenig rechts gewählt. Aber wir haben uns zu sehr drauf ausgeruht, dass das so bleibt. Ich selbst habe eine lange Phase erlebt, die von einer großen Sicherheit und von Frieden in Europa geprägt war. Dass all das jetzt infrage steht, sorgt für eine tiefe Verunsicherung. Zusätzlich fragen sich viele junge Menschen, wann es endlich mal um sie geht: Wir haben nie wirklich aufgearbeitet, dass vor allem die Jugend zurückgesteckt hat bei der Corona-Politik. Danach kam der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und schon wieder sind die Themen junger Menschen – Bildung, Klimaschutz, Digitalisierung – an den Rand gedrängt worden.
Wie lösen die Grünen das Problem mit der Jugend?
Die Erklärung vieler Politiker:innen war: Wir müssen mehr auf Social Media machen. Als ob junge Menschen keine realen Probleme hätten, sondern nur die falschen Medien nutzen. Die Jugend will nicht mit einem besseren Tiktok-Video abgespeist werden. Die macht sich auch Sorgen ums Geld.
Viele haben den Eindruck, dass Klimathemen jetzt hintenüberfallen.
Dass wir gerade einen starken Fokus auf Wirtschaft haben, ist wichtig. Da kommen wir nicht drum rum. Für mich ist das aber kein Entweder-oder. Ich halte es schlicht für falsch, dass wir uns entscheiden müssen zwischen Wirtschaft und Klimaschutz.
Du bist auf Social Media gerade eine der lustigsten deutschen Politiker:innen. Ist die deutsche Politik zu ernst?
Die aktuellen Themen sind zutiefst ernst. Wir haben einen Krieg auf europäischem Boden, eine wirtschaftliche Krise in Deutschland – ich finde es wichtig, dass wir als Politiker:innen da auch mit einer Ernsthaftigkeit rangehen. Aber die Probleme der Welt werden nicht besser, wenn wir stocksteif rumstehen. Manchmal kann es sogar helfen, mit etwas Humor mit dieser aktuell sehr verrückten Realität umzugehen.
Du lachst besonders gerne über Markus Söder. Warum?
Markus Söder nimmt sich selbst vielleicht sehr ernst, aber seinen Job leider viel zu wenig. Er wirkt manchmal mehr wie ein Food-Blogger als wie ein seriöser Politiker.
Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie abgehärtet bist du, wenn es um Kritik geht?
Ich bin so eine 8. Ich glaube, grundsätzlich bin ich sehr abgehärtet. Sonst hätte ich die letzten Jahre nicht überlebt. Aber ich finde es auch immer wichtig, dass die Schutzrüstung, die man als Politiker:in trägt, nicht so dick ist, dass legitime Kritik nicht mehr durchkommt.
Aber bei dir geht es oft nicht um Inhalte.
Wenn Leute wirklich nur meine Figur kommentieren, lasse ich das nicht an mich ran. Deshalb hinterfrage ich mich nicht. Diese Menschen sollten sich lieber um ihr eigenes Leben kümmern.
Das ist leicht gesagt. Wie lässt man das an sich abprallen?
Man braucht eine gewisse Resilienz, ein gewisses Selbstbewusstsein und ein Umfeld, wo man sein Handy einfach mal zur Seite legen kann. Wo man merkt: Mein Wert bemisst sich nicht darin, was andere über mich auf Social Media schreiben.
Nach dem letzten Parteitag wurdet ihr gefeiert, wie offen ihr mit Emotionen umgeht, es sind sogar Tränen geflossen. Sollte es öfter solche Bilder geben?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden, ob man das so offen zeigen will oder nicht. Aber wir Politiker sind keine Maschinen, keine Roboter. Wir sind Menschen mit Emotionen, Fehlern, Stärken – und das darf man auch gern mal spüren.