Es gibt sie doch! Interessante Wahlkampfansagen, die – sofern umgesetzt – das Leben der meisten spürbar verbessern könnten. Gemeint sind nicht lieblos aufgebrühte Versprechen der Sozialdemokrat:innen, deren kämpferischer Elan zum Regierungsantritt zuverlässig verpufft. Die SPD ist eben anfällig für linksseitige Lähmung, sobald sie koaliert, siehe Mindestlohn.
Vielmehr geht es um Vorstöße, die für Reibung an (fast) unberührten Flächen sorgen. So sehr, dass neue Debatten entzünden. Die Rede ist von eher linken Ideen. Und die kommen sogar von Politiker:innen, die ihre Ablehnung gegenüber progressiver Vorhaben stets großzügig Raum verschaffen. Die Bundestagswahl 2025 steckt voller Überraschungen.
CSU-Captain Markus Söder fordert zum Beispiel, die Mütterrente auszuweiten, wie das ZDF berichtete. Im Grunde bekommen Mütter für jedes Erziehungsjahr einen Rentenpunkt gutgeschrieben, was knapp 40 Euro mehr Rente entspricht. Jetzt ist aber so, dass es für Kinder, die nach 1992 geboren sind, drei Erziehungsjahre angerechnet werden, bei allen anderen sind es zweieinhalb. Söder will das ändern. Unabhängig des Geburtsjahrs sollen es drei Jahre werden.
Damit einhergehend will die CSU die Ausweitung aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Das ist insofern interessant, als ein Großteil eigentlich von der Rentenkasse bezahlt wird. Eine hehre Idee, ist doch die Finanzierung der Mütterrente eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die "vollständig aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden sollte", schreibt Ökonom Maurice Höfgen in seinem Blog.
Ausweitung und Finanzierung aus dem Bundeshaushalt, beides forderte die Linke bereits zur Einführung der Mütterrente 2014 im Bundestag. Der Regierung, bestehend aus SPD und Union, war das zu teuer. Insofern eine inhaltliche Schnittmenge, die wohl niemand bei Söder erwartet hätte. Letztlich ist aber egal, von wem die Idee kommt. Die Anhebung kommt vor allem denen zugute, die ohnehin wenig verdienen. Dass die prominente Ökonomin Monika Schnitzer diese abschaffen will, weil zu teuer, ist entsprechend bezeichnend.
Großes Aber: Ein Ausgleich ist die Mütterrente nicht, mehr Marke Trostpflaster. Erwerbsarbeit hätte mehr Geld und mehr Rentenpunkte gebracht. Eigentlich wäre eine deutlich höhere Mütterrente angebrachter. Söder selbst reicht eben gerne Finger, nicht die Hand.
250 Milliardäre gibt es in Deutschland, na Glückwunsch! "Und wenn man da einen kleinen Anteil ihres Vermögens besteuern würde, dann hätte man ungefähr fünf bis sechs Milliarden Euro“, sagt Arithmetik-Kanzlerkandidat Robert Habeck in einem "Bild"-Interview. Mit den Einnahmen könnten Schulen saniert sowie Ausstattung und Personal finanziert werden.
Schwenk zur Top-Ökonomin Monika Schnitzer. Sie lehnt das ab, mit halsbrecherischer Rechen-Akrobatik. Der große Verwaltungsaufwand dafür würde die Hälfte der Einnahmen verschlingen, gewonnen wäre also nicht viel. Stellt sich die Frage, wie viele Beamt:innen es braucht, um die Daten von 250 Menschen zu erfassen. Da das Jahressalär eines Finanzbeamten bei 50.700 Euro liegt, verdammt viele, also in Schnitzers Kopf. Ein Abschluss in VWL (und viel Fantasie) hilft vielleicht, die Rechenmethode nachzuvollziehen.
Kritik ist dennoch angebracht. Steuern dürfen nicht zweckgebunden sein, weshalb Habecks Vorstoß in der Form nicht umsetzbar ist. Dass er aber für mehr Umverteilung ist, lässt sich zumindest unter gutem Willen verbuchen.
Den zeigt der Grünen-Politiker auch bei seiner Idee, die Sozialkassen über eine zusätzliche Abgabe aus Kapitalerträgen finanzieren will. Zinsen, Dividenden und Gewinne aus Verkäufen von Aktien, Fonds, ETFs und anderen Geldanlagen sollen nicht nur versteuert, sondern durch die Abgabe zusätzlich belastet werden.
Eigentlich wäre die neue Sozialabgabe ein gutes Umverteilungsinstrument, zumal die Abgaben auf die Löhne dadurch sinken könnten. Nur hat Habeck das nie gesagt. FDP-Chef Lindner und der hier nicht so ganz linke Söder kritisierten den Vorstoß scharf, sahen eine Doppelbelastung, deuteten ihn als Angriff auf alle Sparer:innen um. Sie hatten leichtes Spiel.
Habeck mied jede Konkretisierung, nannte schlicht keine Freibeträge, was eine Gegenoffensive verhindert hätte. Auch die Beitragsbemessungsgrenzen, also der höchst möglich zu zahlende Betrag unter anderem für die Sozial- und Krankenversicherung. Vermögende, die die Grenze aufgrund ihres Einkommens erreichen, müssen nicht mehr zahlen. Was wäre also mit der zusätzlichen Sozialabgabe?
Theoretisch könnte Habeck sie davon entkoppeln, praktisch ein Zusatzbetrag, der losgelöst von der Grenze gezahlt wird. Rechtlich ließe sich das aber schwer umsetzen. Schon kleinere Anhebungen der Obergrenze sind hart umkämpft. Mehrheiten im Bundestag für eine größere Reform lassen sich mit einer starken Union, einer schluffigen SPD und den sprunghaften Grünen kaum gewinnen.
Deshalb sollten Umverteilungskämpfe aber nicht aufgegeben werden. Sinnvoller wäre es, Debatten zu allen drei Punkten weiter aufrechtzuerhalten, für mehr soziale Gerechtigkeit mobil zu machen. Dass Söder und Habeck hier Debatten angestoßen haben, ist erstmal nicht schlecht.
Es wäre allerdings, das sei noch angemerkt, ein Fehler, Habeck und Söder zu Vorkämpfern für mehr Gerechtigkeit zu erheben. Söder verband seine Forderung für die Mütterrente mit völligem Irrsinn. "Ist es wirklich so, dass wir in Deutschland für Mütter – für unsere Mütter – weniger übrig haben als für Menschen, die noch nie im Land waren, neu zu uns gekommen sind?", fragte er mit nationalistischer Schmallippigkeit, populistisch bis ins Mark.
Habecks Hang zum Nebulösen nimmt seinen Vorstößen hingegen jede Glaubwürdigkeit. Verstärkt wird das noch, wenn er bei Gegenwind die Themen kleinlaut verteidigt, aber sich weiterhin nähere Ausführungen spart. Es gehe darum, durchschnittliche Einkommen zu entlasten und das Sozialsystem "solidarischer und effizienter" zu machen, sagte er den Zeitungen der Bayern Mediengruppe.
Wenige Atemzüge später forderte er, dass "wir das Arbeitsvolumen erhöhen müssen". Bisschen Belastung, bisschen Entlastung. Niemand weiß aber, was genau er eigentlich umsetzen will. Ein SPD-Vergleich zwingt sich auf, doch die Grenzen zwischen den Parteien sind ohnehin fließend.