Russische Soldaten lernen Software in der Achmat-Luftaufklärungsschule in Luhansk.Bild: imago images / SNA
Interview
Die Art und Weise, wie Kriege geführt werden, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verändert. Wer an Krieg denkt, hat Bilder von Panzern und Soldaten im Kopf, die sich auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen. Ein großer Teil moderner Konflikte spielt sich jedoch in Grauzonen ab.
Oberst Dr. Johann Schmid forscht am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) zum Themenkomplex Hybride Kriegführung. Der Experte gibt im Gespräch mit watson Einblicke in die Mechanismen und Auswirkungen dieser zum Teil unsichtbaren, aber allgegenwärtigen Bedrohung. Dabei mahnt er eine massive Blauäugigkeit Deutschlands an.
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watson: Herr Schmid, ist der Ukraine-Krieg ein hybrid geführter Krieg?
Johann Schmid: In der Tat, die hybride Kriegführung ist bereits heute die dominierende Form der Kriegführung. Auch der Krieg in der und um die Ukraine wird seit 2014 in hybrider Form geführt. Als militärische Auseinandersetzung einerseits – gleichzeitig aber auch als Informations- und Propagandakrieg, als Wirtschaftskrieg, als gesellschaftlicher Kulturkampf und als ein Ringen um internationale Unterstützung. Seit Februar 2022 erleben wir eine militärische Eskalation dieses Krieges, die jedoch die Hybridität nicht neutralisiert. Angriffe auf die zivile Energie- und Versorgungsinfrastruktur unterstreichen, dass auch die Gesellschaft, ihre Leidensfähigkeit und ihr Durchhaltewillen zum Angriffsziel geworden sind.
Seit Februar 2022 erleben wir eine militärische Eskalation des Ukraine-Krieges.Bild: dpa / Michal Burza
Ist die hybride Kriegsführung also ein eher neues Phänomen?
Hybride Kriegführung ist dem Wesen nach so alt wie Krieg und Konflikt selbst. Doch heute wird die Verknüpfung und Integration unterschiedlicher Domänen und Dimensionen zunehmend kreativer. Die Erscheinungsformen sind immer wieder neu und überraschend. Die Schattenkriegsführung in der Grauzone von Schnittstellen ist hier ein wichtiger Faktor.
Was bedeutet Schattenkrieg konkret?
Hybride Aggressoren streben oftmals danach, möglichst lange unterhalb der Wahrnehmungsschwelle durch den Gegner zu agieren, um ihre Ziele möglichst ohne Widerstand zu erreichen. Dazu operieren sie insbesondere an Schnittstellen traditioneller Verantwortungsbereiche und Ordnungskategorien – also etwa in den Grauzonen zwischen Krieg und Frieden, Freund und Feind, innerer und äußerer Sicherheit. Diese sind in besonderem Maße verwundbar, da sie in der Regel mit Räumen unklarer Zuständigkeit und mangelnder Gesamtverantwortung beim Opfer korrespondieren. Gleichzeitig werden so Lagefeststellung und Entscheidungsfindung des Gegners paralysiert und sein Handeln in Verteidigung und Gegenreaktion gelähmt.
Klingt, als wäre hybride Kriegsführung die schlauere Variante. Ist sie deshalb auf dem Vormarsch?
Hybride Kriegführung ist die ganzheitlichere und damit meist intelligentere Form der Kriegführung. Durch unsere Unfähigkeit, hybride Angriffsvektoren insbesondere auch nicht-militärischer Art zu erkennen, leisten wir dem selbst Vorschub. Globalisierung und neue Technologien wirken gleichzeitig als Katalysatoren hybrider Kriegführung.
Cyber-Angriffe, besonders vonseiten Russlands, haben in den vergangenen Jahren massiv zugenommen.Bild: dpa / Sina Schuldt
Globalisierung befeuert also die hybride Kriegsführung?
Ja. Globalisierung bedeutet im Kontext der Sicherheitspolitik, dass die vielfältigen Verbindungen nicht nur Möglichkeiten für Kooperation, für wirtschaftliches Handeln oder gesellschaftlichen Austausch im positiven Sinne darstellen, sondern gleichzeitig auch als Ausgangspunkt für hybrides Agieren genutzt werden können. Man könnte hybride Kriegführung auch als so etwas wie Gelegenheits-Kriegführung bezeichnen.
"Wir sind in gewisser Weise im Modus des Schlafwandelns unterwegs und sehen viele hybriden Gefahren nicht."
Johann Schmid, Experte für hybride Kriegsführung
Also nach dem Motto: Gelegenheit schafft Kriegshandlungen?
Genau, ein hybrider Aggressor nutzt Gelegenheiten dort, wo sie entstehen. Er geht den Weg des geringsten Widerstandes und eskaliert erst dann, wenn andere Methoden versagen. Wir in Europa – aber ganz besonders in Deutschland – sind in hohem Maße unbedarft gegen derartige unorthodoxe Herausforderungen. Wir sind in gewisser Weise im Modus des Schlafwandelns unterwegs und sehen viele hybriden Gefahren nicht. Damit machen wir unser Land und unsere Gesellschaft zu einem Eldorado für hybride Glücksritter unterschiedlichster Couleur.
Zeit, aufzuwachen also. Welchen hybriden Angriffen ist Deutschland derzeit ausgesetzt?
Auch ohne Kriegspartei zu sein, ist Deutschland durch die Auswirkungen des Ukraine-Russland-Krieges in hohem Maße negativ betroffen: wirtschaftlich, energietechnisch, finanziell, gesellschaftlich. Aber auch durch Agitation, Sabotage und die indirekte militärische Bedrohung. Die Lücken in unserer normativen Orientierung und Rechtsordnung sind breit und tief und werden umfänglich gegen uns instrumentalisiert. Der Angriffsvektor, mit dem wir am wenigsten zurechtkommen, sind Migrationsangriffe im Sinne von "weaponized migration".
Warum ist "weaponized migration" so gefährlich?
Die Instrumentalisierung irregulärer Migrationsströme durch unsere hybriden Herausforderer führen zur Destabilisierung unserer Gesellschaft im Inneren. Häufig geht dies mit ideologischer Radikalisierung islamistischer Prägung und dem Import externer Konfliktlinien und krimineller Strukturen einher. Im Gegensatz zu fast allen anderen Staaten der EU und Nato haben wir diese hybriden Angriffsvektoren noch nicht vollumfänglich erkannt.
Auch Desinformation ist ein Problem. Inwiefern gehört diese zur hybriden Kriegsführung?
Desinformation und Propaganda gehören zum Grundrauschen hybrider Kriegführung. Der Informationsraum ist eine Domäne, die besonders billig und gefahrlos zu bespielen ist und auf der trotzdem eine gewisse Wirkung erzielt werden kann. Dazu wird der Informationsraum mit einer Unmenge an Unfug geflutet, wodurch an der Schnittstelle zwischen Wahrheit und Lüge eine Grauzone für hybrides Operieren geschaffen wird. Dadurch kann die Glaubwürdigkeit der eigenen Medien und der eigenen Politik in Mitleidenschaft gezogen werden. Auf diesem Feld sind Demokratien besonders verwundbar, da sie auf den demokratischen Diskurs angewiesen sind.
Wie kann man der Destabilisierung durch Fake News entgegenwirken?
Mit Fake News allein lässt sich eine gut etablierte demokratische Diskussionskultur kaum in Schieflage bringen. Sind die Glaubwürdigkeit von Politik und Medien jedoch bereits angeschlagen, so können von außen gestreute Desinformation und Fake News den Vertrauensverlust weiter beschleunigen. Es ist daher ratsam, im politischen Diskurs wie auch in der medialen Berichterstattung, grundsätzlich bei der Wahrheit zu bleiben.
Was muss die Bundesregierung konkret tun, um Deutschland gegen hybride Angriffe zu schützen?
Im Bereich der militärischen Verteidigung haben wir mit der "Zeitenwende" eine notwendige Weichenstellung in die richtige Richtung eingeleitet. Gleichzeitig müssen wir unsere Gesellschaft im Inneren schützen. Ein konsequenter Schutz unserer Außengrenzen gegen Migrationsangriffe und die Beseitigung entsprechender Pull-Faktoren für illegale/irreguläre Migration in Form der leichten Zugänglichkeit unserer Sozialsysteme, etwa das Bürgergeld, wären erste notwendige Schritte.
Ist die reine Reaktion auf solche Angriffe ausreichend für eine effiziente Verteidigung?
Eine wirksame Verteidigung ist eine aktive Verteidigung. Daher müssen wir zuallererst den Status des Schlafwandelns beenden und zu aktiven Verteidigern unseres Landes, unserer Gesellschaft und unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung werden. Als Ausgangspunkt benötigen wir dafür ein ganzheitliches "Hybridlagebild" zu dem alle relevanten staatlichen und gesellschaftlichen Teilakteure beitragen. Gleichzeitig müssen wir die Räume für hybride Grauzonenoperationen proaktiv verengen, indem wir Verantwortungslücken an Schnittstellen schließen und Gesamtverantwortung herstellen. Schließlich geht es darum, unsere Antizipationsfähigkeit bezüglich unorthodoxer hybrider Strategieansätze unserer Gegner zu verbessern und auch ein besseres Verständnis unserer eigenen Verwundbarkeiten zu entwickeln.